Der Roggenfänger von Schwedt

oder: Warum ich in meinem Garten jetzt auch Getreide anbaue.

Hä, wirst Du denken, ist er doch noch unter die Selbstversorger gegangen, die er bisher immer als selbstsüchtig und rückwärtsgewandt abgetan hat?

Ja, wer wirklich Selbstversorgung betreiben will, der muss auch Getreide anbauen. Ohne Weizen, Reis, Mais, Roggen, Gerste, Hafer und Hirsen gäbs weder die jetzige Menschheit noch ihre kulturellen Höhenflüge.

Zugegeben, Kartoffeln und ein paar andere stärkehaltige Knollen, wie Maniok/Cassava oder Yams, können Menschen auch am Leben erhalten und durch Kalorien-Überschüsse kulturelle Leistungen derjenigen möglich machen, die sich nicht mit ihrem Anbau beschäftigen müssen; aber mit den konzentrierten Kalorien von Getreide geht das eben am besten.

Roggenkörner

Roggenkörner, konzentrierte Energie…

Aber keine Bange, ich bin nicht konvertiert, ich bin und bleibe Vielfaltsmehrer, Vermehrer der genetischen Vielfalt unserer Nutzpflanzen – und entschiedener Propagandist derselben! Ich will zwar auch für mich selbst etwas ernten, aber mehr noch will ich für die Zukunft säen.

Das ist der einzige Grund, warum ich jetzt Roggen (Secale cereale) anbaue: Ich will seine genetische Vielfalt (wieder) vermehren bzw. wenigstens zeigen, dass es möglich ist, auch wenn die riesigen Felder um meinen Garten herum, auf denen einheitlicher Roggen wächst, diesem Vorhaben beträchtliche Schwierigkeiten in den Weg legen, indem sie meine paar Roggenpflanzen mit ihren Pollenstaubwolken genetisch dominieren.

Ich will ja nur ein Beispiel liefern und Propaganda betreiben, um möglichst viele Bio-Bäuer:innen zu animieren, ebenfalls die genetische Vielfalt (nicht nur) dieses Getreides wieder zu vermehren. Hieß es doch schon 1944 bei Hans Klapp (Acker- und Pflanzenbau, S. 201/202): „…die früher vorhandene Vielförmigkeit in Ährenformen, Halmlänge und Kornfarbe hat infolge gleichgerichteter („konvergenter“) Züchtung zu verhältnismäßig großer Ähnlichkeit der Sorten geführt…“

…und diese Vereinheitlichung ist seitdem nur stärker geworden…

Ob die Vermehrung der genetischen Vielfalt unserer Nutzpflanzen irgendwann für alle Menschen von Nutzen sein wird, kann nur die Zukunft zeigen. Dazu muss die Vielfaltsmehrung allerdings eine weltweite (Massen)Bewegung werden; denn nur in massenhafter Vielfalt finden sich vielleicht! ein paar nützliche Varianten im Fall des Falles, z. B. einer krassen Klimaänderung…

Wie ich zum Roggen kam, lest Ihr hier und heute; außerdem müsst Ihr auch wieder lesen, warum ich Vielfaltsmehrung für dringend notwendig halte.

Da ich mich in meinem Leben noch nie intensiver mit Getreide – und mit Roggen schon garnicht – beschäftigt habe, musste ich wieder jede Menge Wissenswertes sammeln und verarbeiten – mit einem Wort: jede Menge lernen. Davon bekommt Ihr Euren Teil ab: Ich hoffe, Ihr lernt den Roggen durch diesen Beitrag (besser) kennen, auch wenn Ihr ihn nicht gleich anbauen wollt.

Milchreife Roggenkörner in der Ähre

Prall voll Milch: Roggenkörner in der Ähre und in der Milchreife am 11. Juli…

Ich würde mich aber auch schon freuen, wenn ich in Euch ein wenig Interesse an Getreide ganz allgemein wecken könnte; denn ohne Getreide könnten wir nicht (über)leben…

Das beweist nicht nur die Geschichte der menschlichen Nahrungsmittelerzeugung, sondern auch die Tabelle ziemlich eindeutig, die mein jüngster Sohn neulich zusammengestellt hat: Wovon lebt der Mensch? Sie illustriert, wie viele Menschen ungefähr von einem Hektar Anbaufläche leben können, wenn dieser Hektar mit unterschiedlichen Kulturen bebaut wird.

Man kann aus ihr aber auch ablesen, wie viele Kilogramm einer Fruchtart mensch pro Tag zu sich nehmen müsste, um davon satt zu werden: Ein halbes Kilo Getreide würde reichen; aber wenn wir allein von Zukkini leben wollten, müssten wir 12 Kilogramm dieser jungen Gartenkürbisse zu uns nehmen.

Diese Erkenntnis ist aber auch dem einen oder anderen ernsthaften Selbstversorger schon gekommen…

Wie ich Körner statt Kinder entführte

Es war 2020, Hochsommer, auf der 6. Gartenfahrt per Rad. Die beeschen Roggenfelder zwischen Berlin und Bralitz reichten unter einem wunderbaren Wolkenhimmel bis an den Horizont und wogten sachte im Wind. Sie waren erntereif und warteten auf ihren Schnitter, den Großen Mähdrescher. An jedem Roggenfeld, an dem wir vorbeifuhren, musste ich anhalten und einigen prächtigen Ähren zuflöten, mir doch zu folgen.

Roggenfeld in Brandenburg

Roggenfeld bei Brunow am 23. Juli 2020, auf unserer 6. Gartenfahrt gestreift

Die Ähren folgten mir zwar nicht so willig wie die Kinder; aber letztlich konnten auch sie meinen Schalmeienklängen nicht widerstehen, so dass ich sie ohne Probleme in meinen Garten entführen konnte.

Hier hüte ich die Körner nun und versuche mit ihrer Hilfe zu verhüten, dass die Menschheit in den Abgrund stürzt.

Zerpflückte Roggenähre

In ihre Bestandteile zerlegte Roggenähre

Ja, ich weiß, ich trage wieder ein bisschen dick auf; aber ein bisschen fühle ich mich wie J. D. Salingers Romanfigur „Der Fänger im Roggen“, der 1951 unschuldige, spielende Kinder vor dem Sturz über eine Klippe bewahren wollte.

Mir kommt es heute so vor, als müsste ich viele unschuldige Menschen retten, die schrecklich leiden werden, wenn die wenigen, genetisch sehr einheitlichen Hochleistungsgetreidesorten, die heute genutzt werden, einen weltweiten, abrupten Klimawandel nicht überstehen werden.

Der erhöhte CO2-Gehalt der Atmosphäre kann (nein, wird!) zu einem noch nie dagewesenen Klima führen; so viel ist zumindest sicher. Für diese Vorhersage muss ich weder Prophet noch Wischenschaftlerin sein; denn jede Veränderung in einem (natürlichen) System hat Folgen…

Pflanzenzüchtung falsch verstanden?

Vielleicht verstehe ich auch etwas falsch, so wie der Fänger im Roggen damals.

Vielleicht verstehe ich die Pflanzenzüchter nicht richtig, die sagen, es gäbe genügend genetisches Material, aus dem sie jederzeit passende Pflanzen schaffen könnten, wenn sie nur die dafür nötigen finanziellen Mittel und gen-technischen Werkzeuge bekämen.

Ich verstehe nicht, wie sie glauben können, dass unter den paar tausend Varianten, die sie nach der Katastrophe möglicherweise herstellen können, auf jeden Fall die „richtigen“ sein werden, die für unbekannte, klimatische Verhältnisse taugen?

(Wilder) Roggen am Wegesrand

Auch bei der nächsten Vorbeifahrt waren wieder (verwilderte?) Roggenpflanzen an dieser Stelle zu finden…

Noch viel weniger verstehe ich, wie die Pflanzenzüchter Pflanzen erschaffen wollen, die unter völlig neuen Bedingungen die notwendigen Höchsterträge bringen; denn sie können bestenfalls Vorhandenes neu kombinieren, aber wirklich Neues erschaffen können sie nicht.
Das kann nur der Zufall…

Deshalb ist mir völlig unverständlich, dass eine knapp zweihundert Jahre alte Wissenschaft glauben kann, ein besseres Konzept für den Notfall zu haben als eines, das sich über Jahrmillionen bewährt hat, das gewaltigere Veränderungen erfolgreich überstanden hat, als es die jetzige Klimaveränderung sein wird, ein Konzept, welches das Leben in jeder Katastrophe am Leben erhalten, ja, sogar immer wieder zu neuer Blüte geführt hat: das Konzept „Variantenreichtum“, „genetische Vielfalt“.

Ja, bei so viel Unverständnis bin ich möglicherweise nur ein trauriger Spaßvogel, der verzweifelt versucht, für neue genetische Vielfalt auch (und vor allem) unserer Getreidearten zu werben, und der auf eine lächerliche Art und Weise zeigen will, dass sich alle unsere Nutzpflanzen wieder genetisch vervielfältigen (lassen).

Ähre mit roten Staubbeuteln

Sind rote Staubbeutel schon eine neue Variante?

Ja, belächelt mich nur, aber ich stehe dazu und beschreibe Euch, wie er war:

Mein erster Versuch, Roggen anzubauen

Aus den 55 Ähren, die ich 2020 entführt habe, konnte ich ein kleines Beutelchen nackte Roggenkörner befreien, von denen ich dann eine Handvoll im Oktober in die Erde brachte. Mein Bruder, der Profi-Anbauer, gab mir zwar die notwendigen Abstandsmaße, wie sie im nachfolgenden Kasten dargestellt sind…

SAATDICHTE /-TIEFE / REIHENABSTAND:
Je nach Standortbedingungen, Sorte und Saattermin liegt die optimale Saatdichte bei 250 bis 350 Körner pro m2. Bei TKG von 25 – 38 Gramm ergibt dies eine Saatmenge von 0,9 – 1,2 kg pro Are
[100 m2]. Die erwünschte Anzahl ährentragender Halme beträgt 350 – 400 pro m2. Die optimale Saattiefe liegt bei 1 – 2 cm. In der Regel wird Roggen mit einem Reihenabstand von 12 – 18 cm gesät. (aus: Steckbrief Roggen)Bei einem Reihenabstand von 15 cm und einer Aussaat von 300 Körnern würde der Abstand von Roggenkorn zu Roggenkorn ca. 2,3 cm betragen

…die ich aber – wie meistens – nicht einhielt. Auch den Roggen säte ich „nach Gefühl“, d. h., ich zog vier Rillen im Abstand „Augenmaß“ in den Boden, den ich mit dem „Dreizack“ notdürftig aufgerissen hatte, und streute die Roggenkörner hinein, lieber ein paar mehr als zu wenig – aus gefühlsmäßiger Vorsicht halt…

Sehr bald zeigten sich dann die kleinen Roggenpflänzchen und bildeten vier grüne Linien im kahlen Wintergarten, die auch im Frühjahr (großteils) noch vorhanden waren.

Über den weiteren Verlauf des Anbauversuchs will ich mich heute mal kurz fassen; denn Bilder sagen mehr als tausend Worte.

Das Ergebnis waren zumindest rund 3,6 Kilogramm Roggen auf geschätzten 10 Quadratmetern. Hochgerechnet auf einen Hektar (10.000 Quadratmeter) wären das 3,6 Tonnen gewesen, knapp zwei Drittel des momentan profi-mäßig erzeugbaren Durchschnittsertrages von 5,2 Tonnen (der allerdings in Brandenburg bei nur rund 4,2 Tonnen liegen soll).

Ja, Ihr dürft herzlich lachen, wenn Ihr die Bilder betrachtet; es ist lustig zu sehen, wie ich sichele, dresche und die Körner mit Hilfe meiner Puste-Windfege von der Spreu trenne; das gebe ich zu…

Vielleicht ist das ganze ja auch nicht mehr als ein Scherz; denn erst in diesem Jahr wird sich zeigen, wie sich die bunte Sammlung aus F1-Hybrid-Roggen (wahrscheinlich der größte Teil – 2012 sollen es 85% gewesen sein) und Populationssorten (die es auch noch gibt), bei der „Fremdbestäubung“ geschlagen hat (alle anderen Getreidearten bestäuben sich selbst; Roggen ist – neben Mais – die einzige Getreideart, die von Nachbarpflanzen bestäubt werden muss).

Im Beutel ausgeschlagene Roggenkörner mit Spreu

Das Dreschergebnis

Reine Roggenkörner

Nachdem mir die Puste ausgegangen ist: nichts als reine Roggenkörner

Deshalb folgt in diesem Jahr

Mein zweiter Versuch, Roggen anzubauen

Die mögliche neue Roggenvielfalt wächst auf jeden Fall schon wieder munter ins gegenwärtige Jahr (siehe das Beitragsbild oben); sie hat den „Winter“ überstanden, obwohl ich sie erst Ende Oktober in die Erde gebracht hatte (laut Profi-Anleitung sollte das bis Ende September geschehen sein) und die jungen Schneckchen sich noch einen Teil der jungen Pflänzchen einverleibt haben…

Gefrorene Roggensaat im April 2022

Das, was Winter und Schnecken überlebt hat, friert am 12. April 2022

Da sich bei der Erntetechnik in diesem Jahr keine Änderungen abzeichnen, wird nur das Erntergebnis ein anderes sein (das ich dann in einem anderen Beitrag präsentieren werde)…

Vielfaltsmehrung ist auf jeden Fall weitaus einfacher als die Züchtung von Hochleistungssorten. Ersteres kann jede:r, letzteres nur noch ein paar Großkonzerne. Um die Menschheit vor dem Absturz zu bewahren, brauchen wir allerdings beides: Maximale Erträge (zur Sicherung des Überlebens aller jetzigen Menschen) und maximale genetische Vielfalt (zur Versicherung gegen alle Eventualitäten der Zukunft). Auch hier sehe ich eine Arbeitsteilung: Ersteres erledigen ein paar Großlandwirte, letzteres eine Vielzahl von überzeugten Bio-Bäuer:innen…

Roggenbeet am 1. Mai 2022

Hier grünt und blüht die Hoffnung auf genetische Vielfalt…

„Im Übrigen bin ich der Meinung…“

Ich befürchte, dass ich langsam zum nervtötenden Mahner werde: So wie einst der Römer Cato jede seiner Reden im Senat mit dem Satz „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss“ beendete, so will ich jeden meiner Beiträge in Zukunft mit dem Satz enden lassen: „Übrigens meine ich, dass die genetische Vielfalt unserer Nutzpflanzen unbedingt vermehrt werden muss“… (Um Missverständnisse zu vermeiden, schreibe ich dazu: Die Erhaltung von ein paar „alten“ Sorten und ihre „sanfte Weiterentwicklung“ hat wenig mit Vermehrung der genetischen Vielfalt zu tun. Warum, das habe ich ausführlich in „Sorten erhalten war gestern“ dargelegt).

Damit ich mein Versprechen halte, Euch ein Bisschen (neues) Wissen mitzugeben, habe ich ein paar

Informationen über Roggen

aus meinen besten, alten Landwirtschafts- und Pflanzenzuchtbüchern vervielfältigt bzw. von einigen Internet-Seiten kopiert.

Wer also mehr als die paar folgenden Häppchen Roggenwissen konsumieren will, muss die Auszüge lesen, die ich (im PDF-Format) erstellt und unten aufgelistet habe; aber ich gehe davon aus, dass die Bio-Landwirte und -Landwirtinnen unter Euch, das bevorzugte Zielpublikum meiner Propaganda für die Vermehrung der genetischen Vielfalt des Getreides, ihr Handwerkszeug beherrschen, das frühere Wissen über Roggen also kaum brauchen.

Ich biete es somit denjenigen an, die einfach wissensdurstig sind sowie Spaß an Experimenten und Vielfaltsmehrung haben.

Letztlich leben wir allein vom Getreide (was den meisten Menschen nur nicht bewusst ist), auch wenn unsere Seelenretter in ihren Schriften, dem Alten und Neuen Testament behaupten: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein…

Ich finde, es kann nicht schaden, auch ein wenig über Getreide zu wissen.

So sieht Roggen unter der Erde aus…

Aus den alten Büchern kann mensch auf jeden Fall sehr viel über vergangene Getreidevielfalt und den Weg ihres Verschwindens erfahren…

Bestockung einer Roggenpflanze

An der Wurzelkrone entspringen zahlreiche, weitere Halme…

Literatur:

  1. [Paul Gisevius, Eduard Birnbaum: Pflanzenbau (S. 2-12 und 28-33); 3. Aufl., 1896, Verlagsbuchhandlung Paul Parey, Berlin]
  2. [Guido Krafft, Carl Fruhwirth: Lehrbuch der Landwirtschaft auf wissenschaftlicher und praktischer Grundlage, 2. Band: Pflanzenbaulehre (S. 2-6 und 25-31); 12. Aufl., 1920; Verlagsbuchhandlung Paul Parey, Berlin]
  3. [Hans Klapp: Acker- und Pflanzenbau (S. 189-204); 2. Aufl., 1944; Verlagsbuchhandlung Paul Parey, Berlin]
  4. [Carl Fruhwirth, Theodor Roemer, Erich Tschermak: Handbuch der landwirtschaftlichen Pflanzenzüchtung (S. 200-248); 4. Aufl. 1923; Verlagsbuchhandlung Paul Parey, Berlin]
  5. [Hans Kappert, Wilhelm Rudorf: Handbuch der Pflanzenzüchtung (S. 35-102); 2. Aufl. 1959; Verlagsbuchhandlung Paul Parey, Berlin]
  6. [Thomas Miedaner: Roggen – Vom Unkraut zur Volksnahrung; 1. Aufl. 1997; DLG-Verlags-GmbH]

Woher stammt der Roggen?

Das Mannigfaltigkeitszentrum liegt im Gebiet der Weizenkultur in Transkaukasien von Ostanatolien bis Persien, wo auch das Ursprungszentrum des Kulturroggens zu suchen ist.

[Hans Kappert, Wilhelm Rudorf: Handbuch der Pflanzenzüchtung, Band II, Züchtung der Getreidearten, 1959, S. 37]

Wie entstand unser „Kultur-Roggen“?

Die Entstehung des Kulturroggens aus den vollbrüchigen Wildgrasformen über die mehr oder minder zähspindeligen Unkrautformen läßt sich noch heute in den Weizenfeldern Vorderasiens beobachten, wo der oft widerstandsfähigere, wenig brüchige Unkrautroggen mit dem Weizen geerntet und wieder ausgesät wird. … Beim Vordringen des Weizenanbaus in höhere Gebirgslagen oder in höhere Breiten mit kälteren Wintern oder leichteren Böden nahm der Roggenanteil in den Feldern ständig zu, bis schließlich der Weizen durch den Roggen völlig verdrängt war. In diesen Gebieten, in denen der Roggen selbst nicht angebaut wird, findet sich – im Gegensatz zu den wohl durch bewußte Selektion auf helle Formen entstandenen einheitlichen Typus europäischer Kulturroggen – eine große Formenmannigfaltigkeit der Unkrautroggen. Die verschiedensten Ährenfarben und Ährenformen von gelb über rotgelb, von braun zu schwarz und schwarzgrau treten neben dichten und lockeren, langen und kurzen Ähren mit langen und kurzen Grannen, mit lockerem und festem Spelzenschluß und verschiedenartiger Behaarung auf. …

[Hans Kappert, Wilhelm Rudorf: Handbuch der Pflanzenzüchtung, Band II, Züchtung der Getreidearten, 1959, S. 37]

Roggenkörner verschiedener Eltern aus der Nähe betrachtet

Sind die Körner nach der ersten Vermehrung schon sehr unterschiedlich?

Seit wann wird Roggen in Deutschland angebaut?

„In der römischen Kaiserzeit [(27 v. Chr. bis 284 n. Chr.)] etablierte sich der Roggen (Secale cereale) in Brandenburg endgültig als geschätzte Feldfrucht. Möglicherweise verhalf ihm eine neue Erntetechnik, die bodennahe Ernte [mit der Sense], zum Durchbruch.“
[Zur Geschichte der nacheiszeitlichen Umwelt und der Kulturpflanzen im Land Brandenburg]

Erst seit der Eisenzeit, also ungefähr ab 750 vor Chr., hat Roggen in Mittel-, Nord- und Osteuropa größere Bedeutung, hierzulande hauptsächlich im Norden und Osten; darüber hinaus wurde und wird er in Tschechien, Polen, der Ukraine und Russland angebaut

Wie sieht eine Roggenblüte aus?

Oben habe ich ja schon ein paar schematische Zeichnungen über den Aufbau einer Roggenblüte eingefügt: Diese sitzen zumeist zu zweit in einem Ährchen, aus denen zwei Roggenkörner entstehen können. Bis zu 40 Ährchen wiederum bilden eine Roggenähre.

In der nachfolgenden Galerie habe ich versucht, eine Roggenähre mit ihren Blütenorganen in natura darzustellen, ohne sie in ihre Einzelteile zu zerlegen (das konnte man früher an diesem Modell üben).

Welche Probleme treten beim Roggenanbau auf?

Bei ungünstigen Bedingungen ist allerdings bei den meisten Roggensorten mit Lager zu rechnen. Auch die kürzeren Sorten im gegenwärtigen Prüfsortiment weisen nur eine mittlere Standfestigkeit auf. Braunrost ist in der Regel die wichtigste Blattkrankheit. Schwarzrost tritt normalerweise selten in Erscheinung. Wie die Versuche in Nossen in den letzten Jahren zeigen, besteht bei dieser Krankheit eine ausgeprägte Sortendifferenzierung mit deutlichen Auswirkungen auf die Ertragsleistung.

Bei der Erzeugung von Brotroggen ist eine Fallzahl von mindestens 120 sec und ein Mutterkornbesatz von max. 0,05 Gewichtsprozent einzuhalten. Das Auftreten von Mutterkorn wird durch feuchte Witterung während der Blüte begünstigt.

[Öko-Sortenempfehlungen 2021 – Winterroggen]

Mit Braunrost übersätes Roggenblatt

Braunrost auf Roggenblatt…

Welche Eigenschaften der Roggenpflanze beeinflussen den Körnerertrag?

Drei Eigenschaften spielen die wichtigste Rolle (neben Pflanzengesundheit und Düngung): Die Anzahl der Halme (und damit der Ähren), die aus einem Roggenkorn entspringen können („Bestockung“; siehe Grafik oben), die Anzahl der Körner pro Ähre sowie das Gewicht der einzelnen Roggenkörner.

Roggenkörner verschiedener Ähren

12 Ähren, einzeln ausgezählt…

Wozu wird Roggen heute verwendet?

Die Vermarktung von Roggen umfasst im Wesentlichen drei Bereiche:

  1. Als Brotgetreide ist Roggen ein wichtiger Bestandteil der menschlichen Ernährung
  2. Winterroggen findet weiterhin Verwendung in der Mischfutterindustrie und direkt im Einsatz als hofeigenes Mischfutter…
    Auch die Nutzung im Winterzwischenfruchtanbau als Grünschnittroggen ist möglich. Dafür stehen traditionell spezielle Sorten zur Verfügung, die durch das Bundessortenamt auch in dieser Nutzungsrichtung geprüft und zugelassen werden.
  3. Weiterhin kann Roggen auch als nachwachsender Rohstoff Anwendung finden. Der Einsatz von Roggen als Ethanolgetreide wird im Wesentlichen von der Wirtschaftlichkeit der Bioethanolproduktion bestimmt (Rohstoffpreis, Ethanolpreis) und unterliegt jährlichen Schwankungen. Sowohl Körner- und Grünschnittroggen als auch Roggen-Ganzpflanzensilage können als Substrate in Biogasanlagen zu Strom veredelt werden. Insbesondere für Ganzpflanzensilage werden in der letzten Zeit spezielle Sorten mit hohen Biomasseerträgen gezüchtet. Ebenso ist es möglich, Roggen (Korn) der thermischen Verwertung zuzuführen.

[Thüringische Leitlinie zur effizienten und umweltverträglichen Erzeugung von Winterroggen]