Die Vermehrung der Nutzpflanzen-Vielfalt
oder: Willkommen auf meinem Blog und zu der Erklärung, was ich unter Nutzpflanzen-Vielfalt verstehe und wie ich sie vermehre.
Viele Menschen glauben, dass „Biologische Vielfalt“ (Biodiversität) „die Vielzahl der Arten, die genetischen Besonderheiten innerhalb der Arten und die Vielfalt der Lebensgemeinschaften“ sei.
„Nutzpflanzen-Vielfalt“ soll eine Vielfalt an Sorten sein.
Das ist aber weit gefehlt!
Denn diese beiden Definitionen beschreiben meines Erachtens nur eine Vielfalt künstlicher Kategorien (Art, Gen, Lebensgemeinschaft, Sorte), aber nicht die Vielfalt des Lebens und auch nicht die Vielfalt unserer lebensspendenden Nutzpflanzen.
Nutzpflanzen-Vielfalt = Individuen-Vielfalt
Die einzige lebende Vielfalt auf diesem Planeten ist die Vielfalt an unterschiedlichen Einzelwesen (von mir Individuen-Vielfalt genannt). Nur die einzelnen Individuen leben und pflanzen sich fort oder sterben, ohne sich fortzupflanzen; die Individuen sind die Subjekte, die sich mit den Widrigkeiten der Umwelt auseinandersetzen (müssen).

Keine Dicke-Bohnen-Sorten! Aus jeder Bohne kann eine einzigartige Pflanze entstehen, da die Eltern zusammen gewachsen sind und sich untereinander genetisch vermischt haben können!
Anpassung und Entwicklung (Evolution) können nur stattfinden, Resistenzen können sich nur bilden, wenn eine Vielfalt an unterschiedlichen Individuen existiert; deshalb ist die Natürliche Selektion auf die Vermehrung der Individuen-Vielfalt ausgerichtet, wie ich im Beitrag „Das Wesen der Biodiversität“ aufgezeigt habe, und nicht auf die Auswahl der am besten angepassten Individuen.
Das Wesen der Biodiversität und der Nutzpflanzen-Vielfalt kann deshalb nur Individuen-Vielfalt sein, die Vielfalt unterschiedlicher, einzigartiger Individuen!
Diese reale Vielfalt können alle leicht studieren, die sich unter ihren Mitmenschen umschauen. Aber auch alle wild lebenden, sich geschlechtlich vermehrenden Tiere und Pflanzen sind einzigartige Individuen, obwohl die meisten von uns das meistens schlecht oder garnicht erkennen können (wir haben schon Schwierigkeiten, die Individualität von Menschen anderer Hautfarbe wahrzunehmen).
Also, die Nutzpflanzen-Vielfalt, die ich meine und um die es in diesem Blog geht, ist Individuen-Vielfalt – und keine Zucht-Sorten-Vielfalt, wie Nutzpflanzen-Vielfalt bisher gemeinhin verstanden wird.
Die Erhaltung von „Alten (Zucht)Sorten“ halte ich deshalb für einen Irrweg und für eine außerordentliche Verschwendung wertvoller Ressourcen, wenn es um Nutzpflanzen-Vielfalt geht!
Wie Nutzpflanzen-Vielfalt wirklich wiederherzustellen und zu erhalten ist, beschreibe ich (ansatzweise) in den folgenden Absätzen; ausführlicher dargestellt findet Ihr es in vielen Beiträgen in diesem Blog, vor allem unter „Vielfalt vermehren“.
Nutzpflanzen + Individuen-Vielfalt = Landsorten
Innerhalb unserer Nutzpflanzen-Arten gab es einst eine gewaltige Individuen-Vielfalt. Die regionalen und lokalen Populationen unserer Nutzpflanzen bestanden 10.000 Jahre lang zu mindestens 80% (geschätzt) aus genetisch einzigartigen Einzelpflanzen.
Ab 1890 wurden solche Populationen – zuerst von deutschen Wissenschaftlern – „Landsorten“ genannt; in anderen Ländern heißen sie Landrassen bzw. lokale, primitive, bäuerliche oder traditionelle Sorten (Populationen).
Wie Landsorten tatsächlich früher aussahen, lässt sich sehr schön in Beiträgen erkennen, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts von Pflanzenzüchtern und Genetikern veröffentlicht wurden; als Beispiel gebe ich im folgenden die einführenden Sätze eines Vortrages wieder, den der Genetiker Erwin Baur 1912 gehalten hat (S. 32) (neben „Landsorte“ verwendet er für Landsorten auch die Bezeichnungen „Sorten, die schon vorhanden sind“, oder „alte Sorten“; mit „kleinste Rasse“ oder „Linie“ sind sowohl Linien im heutigen Sinne als auch einzelne Individuen gemeint).
Einige für die züchterische Praxis wichtige Ergebnisse der neueren Bastardierungsforschung.
„Ein Weg, der heute noch eine große Rolle spielt und am meisten angewendet wird, ist der, daß man sich aus der großen Menge von Sorten, die schon vorhanden sind, diejenige aussucht und rein züchtet, die für den speziellen Zweck am brauchbarsten ist. Auf diesem so einfach scheinenden Wege ist auch heute noch sehr viel zu erreichen. Es liegt das daran, daß unsere alten Sorten, auch wenn sie ziemlich einheitlich erscheinen, in Wirklichkeit ganz erstaunlich bunt zusammengesetzt sind, daß sie ein Gemisch von sehr zahlreichen Rassen darstellen.“
Nutzpflanzen + Künstliche Selektion = Zuchtsorten
In den zuerst industrialisierten Ländern wurden die Landsorten bis ca. 1950 von Zuchtsorten vollständig verdrängt.
Zuchtsorten entstanden, indem anfangs die „besten“ Pflanzen der Landsorten (durch Künstliche Selektion) aus-sortiert und getrennt (durch Inzucht) vermehrt wurden. Nach der (Wieder)Entdeckung der Vererbungsregeln wurden diese „besten“ auch miteinander gekreuzt und der Prozess der Aus-sortierung und Weitervermehrung an ihren Nachkommen vollzogen.
Einige für die züchterische Praxis wichtige Ergebnisse der neueren Bastardierungsforschung.
„Der Wert, die Brauchbarkeit aller dieser verschiedenen Rassen, die in jeder von unseren alten Sorten noch drin stecken und die alle erblich konstant gezüchtet werden können, ist sehr ungleich, und wenn wir eine von diesen alten Sorten „verbessern“, „hochzüchten“ wollen, so kommt es im allgemeinen nur darauf an, aus dem großen bunten Gemenge von kleinsten Rassen, von „Linien“, wie man meist sagt, aus denen unsere Landsorten bestehen, diejenige Rasse oder Linie herauszuholen, zu isolieren, welche am besten unseren Ansprüchen genügt.
Wir „verbessern“ also auf diesem Züchtungswege nicht eigentlich eine Landsorte, wir schaffen nichts neues, sondern wir holen uns nur durch streng durchgeführte Individualauslese eine schon vorhandene besonders gute einzelne Linie heraus und bauen sie weiterhin allein an, an Stelle des Gemenges von guten und schlechten Linien, das wir in der „unveredelten“, noch nicht hochgezüchteten Landsorte vor uns hatten.“
Zuchtsorten zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Individuen genetisch und phänotypisch (äußerlich) möglichst einheitlich („samenfest“) sind.
Die Herstellung von Zuchtsorten wird „Pflanzenzüchtung“ genannt.
Nutzpflanzen-Vielfalt vermehren = neue Landsorten (Individuen-Vielfalt) schaffen
Ohne Individuen-Vielfalt ist Anpassung (z. B. an den Klimawandel) und die Enstehung (neuer, noch unbekannter Formen) nicht möglich; deshalb gilt es, die ursprüngliche Individuen-Vielfalt unserer Nutzpflanzen-Arten – zumindest so weit wie möglich – wiederherzustellen, damit wir in Zukunft auf der sicheren Seite sind.
Im folgenden liste ich ein paar Beispiele auf, wie ich die Individuen-Vielfalt unserer Nutzpflanzen wieder zu vermehren suche:
- Reinerbige (samenfeste) Zuchtsorten unserer Nutzpflanzen-Arten miteinander verkreuzen und anbauen.
- Kartoffeln aus Samen ziehen sowie auch andere Nutzpflanzen-Arten, die normalerweise vegetativ vermehrt (geklont) werden.
- Neue Bäume und Büsche unserer Obst- und Beeren-Arten aus Samen ziehen, d. h., möglichst viele Sämlinge aufziehen.
Genau so können oder sollten alle Pflanzenbauer:innen verfahren, die entweder nicht auf den Ertrag ihrer Bemühungen angewiesen sind (Selberversorger, SoLawis, und Kleingärtnerinnen) oder ihren Käufer:innen den Sinn und die Bedeutung von Landsorten erklären können (Direktvermarkter und Marktgärtnereien).
In diesem Blog erfahrt Ihr vor allem, was bei mir bisher beim Anbau von Proto-Landsorten (Grexen) herausgekommen ist.
Speisezwiebeln, Honigmelonen, Gartenbohnen und Stachelbeeren sind meine Paradebeispiele, da an ihnen die Individuen-Vielfalt wunderbar zu demonstrieren ist: Jede Pflanze zeigt deutliche Unterschiede in Form und Farbe ihrer „Früchte“.
Die meisten meiner neuen Beiträge handeln in irgendeiner Weise von der Vermehrung der Individuen-Vielfalt unserer Nutzpflanzen„Sonstiges“ und „Nachdenkliches“ gibt es weitere, (ich hoffe) eigenständige, neue und anregende Gedanken zu lesen.
Viel Spaß dabei!
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