Die Leichtigkeit der Zwiebelvermehrung
oder: Ausführliche Anleitung für den Anbau und die Saatgutgewinnung der Küchenzwiebel (Allium cepa L.).
Im Beitrag „Auf, auf zur Saatgut-Selbstversorgung!“ habe ich am Beispiel der Speise- oder Küchenzwiebel ausführlich dargelegt, warum es sowohl im eigenen Interesse als auch im Interesse der Menschheit liegt, Nutzpflanzen wieder vermehrt selbst zu vermehren.
Nun steht oft zwischen dem Wissen, dass etwas sinnvoll ist, und der praktischen Ausführung ein Hindernis und zwar der Glaube, dass die Tat zu arbeitsaufwändig sei und/oder zu viel Fachkenntnis verlange.
Dass dem bei der Saatgutgewinnung niemals so ist, möchte ich am Beispiel der Zwiebel aufzeigen, die ja häufig zu den „Schweren Fällen“ gerechnet wird, nur weil sie überwintert werden muss.
Aber nichts ist schwer, wenn man weiß, wie es geht…
…auch wenn Übung letztlich erst den Meister macht; aber es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, wie ein weiteres Sprichwort besagt.
Also…
Los!
Zwiebeln säen
Wenn Hobby-Gärtner:innen heute noch Zwiebeln anbauen, verwenden sie dazu in der Regel (F1-Hybrid-)Steckzwiebeln aus dem Baumarkt. Wer aber den vollständigen Kreislauf des Zwiebelanbaus in Gang setzen will, muss Zwiebeln säen.
Zwiebelsaat und Steckzwiebeln schließen sich nicht gegenseitig aus; denn jede:r kann schließlich auch Steckzwiebeln selbst produzieren oder Steckzwiebeln zu Samenzwiebeln auswachsen lassen (den Steckzwiebeln widme ich deshalb unten einen eigenen Abschnitt).
Mittlerweile lassen sich auch in Deutschland wieder Samen von einigen Zwiebelsorten kaufen (in Frankreich, Italien und Spanien aber weitaus mehr; Bezugsquellen habe ich unten aufgelistet).
Wenn Du vermehrungsfähige Zwiebelsamen (egal welcher Sorte/n) hast, kannst Du loslegen, sobald der Boden im Frühjahr so weit abgetrocknet ist, dass Du ihn bearbeiten kannst. Bei mir ist das meistens Mitte März der Fall.
Zwiebeln wachsen gut und gern auf einem lockeren, tiefgründigen Boden, der nur nicht frisch gedüngt sein darf.
Weil ich sehr viel organisches Material im Boden habe – ich lasse nahezu alle Pflanzenreste auf den Beeten und mulche mit dem Rasenschnitt von Nachbarn – kratze ich den Boden zumeist nur oberflächlich mit dem Dreizack auf. Das hat bisher gereicht. Wenn im Vorjahr Kartoffeln auf dem Beet waren, ist der Boden ohnehin tiefgründig genug gelockert (gute Vorfrüchte für Zwiebeln nennt J. Becker, S. 807).
Ich ziehe mit dem Harkenstiel eine Rille in den gelockerten Boden und streue großzügig Zwiebelsamen hinein, zusammen mit ein paar Radieschensamen (diese keimen schneller als die Zwiebelsamen und zeigen somit die Reihen an, falls man Beikraut jäten oder hacken muss), bedecke die Samen dünn mit Erde und laufe zum Schluss ein-zweimal über die Reihe, damit sich Erde und Samen gut verbinden. Letzteres ist wichtig; aber man kann das natürlich auch anders machen…
Das dichte Säen hat den Vorteil, dass immer genug Zwiebeln auflaufen und – durch zu dichten Stand (aber auch genetisch bedingt) – jede Menge Zwiebeln so klein bleiben, dass ich sie im darauf folgenden Jahr als Steckzwiebeln verwenden kann.
Eine Voranzucht halte ich bei Zwiebeln nicht für nötig – es sei denn, Du magst das Beikraut-Jäten nicht. Vorgezogene Zwiebelpflänzchen können sich besser gegen die Beikräuter behaupten, so wie auch Steckzwiebeln.
Die Verlängerung der Wachstumszeit durch Voranzucht soll aber unbedingt notwendig sein, wenn man hierzulande Riesen-Gemüse-Zwiebeln, wie die „Madeira“ oder die „Doux des Cevennes“, ziehen will (im folgenden Filmausschnitt über die „Süßen Cevennen-Zwiebeln“ kannst Du eine Methode studieren, wie vorgezogene Zwiebeln einfach auszupflanzen sind).
Zwiebeln pflegen
Nachdem die Zwiebeln nach zwei bis drei Wochen gekeimt sind und als kleine, grüne Hälmchen mit der schwarzen Samenhülle an der Spitze sichtbar werden, besteht die einzige, aber wichtige Arbeit darin, sie vor Beikraut zu schützen: Alle Gräser und Kräuter in ihrer Nähe müssen sorgfältig ausgezupft werden.
Manchmal gibt es Probleme mit anderen Zwiebel-Liebhaberinnen: So können zu Beginn des Wachstums in manchen (Zwiebelanbau-)Gebieten die Larven der Zwiebelfliege (Delia antiqua) ihren Tribut fordern, indem sie die kleinen Zwiebelchen fressen; bei überreichlicher Aussaat fällt das aber kaum auf.
Im Sommer schlägt bei feucht-warmer Witterung außerdem oft der Falsche (Zwiebel-)Mehltau (Peronospora destructor) zu und lässt die Schlotten (die rundlichen, hohlen Blätter der Zwiebel) früher absterben als nötig, wodurch die Zwiebeln kleiner bleiben als möglich.
Im konventionellen Anbau wird das Kraut oftmals vor dem Ende der Wachstumszeit „totgespritzt“ oder frühzeitig abgeschlagen, damit die Zwiebeln nicht zu groß werden: ein Irrsinn! Alle, die kleinere Zwiebeln bevorzugen, sollten sich lieber über Mehltaubefall freuen, der das auf natürliche Weise erledigt.
Es wird zwar in „Krankheiten und Schädlinge in Zwiebelgemüse“ (S. 20) behauptet, „Befallene Zwiebeln sind anfällig für Fäulnis während der Lagerung. Die Haltbarkeit der Zwiebel wird deutlich gemindert.“
Ich habe bei meinen paar Zwiebeln im Winterlager bisher keine Probleme feststellen können, obwohl sie häufig vom Mehltau befallen werden, weil die Uckermark und mein Talgrund nicht (mehr) optimal für den Zwiebelanbau geeignet sind – Zwiebeln bevorzugen während der Hauptwachstumszeit und der Abreife trockenes Sommerklima; aber die Info zur Haltbarkeit nach Mehltaubefall stammt ja aus einer Anleitung für Profi-Anbauer – und für die Lagerung in großen, professionellen Kühllagern mag sie zutreffen…
Zwiebeln ernten und lagern
Wenn Du nun Deine Zwiebeln im Frühjahr gesät (gesteckt oder ausgepflanzt) und sie gut vor Beikraut geschützt hast, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Du ab Ende Juli haufenweise (dicke) Zwiebelknollen ernten kannst. Die „Bollen“ oder „Bülle“ sind erntereif, wenn die Zwiebeln fest werden, der Zwiebelhals (die Stelle, an der die Blätter aus der Knolle entspringen) weich wird und sich leicht zusammendrücken lässt, die grünen Blätter langsam gelb werden, eintrocknen und von selbst umknicken.
Die Schlotten umzutreten, um die Abreife der Zwiebeln zu beschleunigen, wie es von älteren Gärtner:innen oft noch empfohlen wird, ist nicht notwendig.
Im nachfolgenden Film, der den Anbau und die (In)Zucht der Bamberger Birnförmigen zeigt, meint ihr letzter Anbauer Adalbert Eichelsdörfer jedoch, dass durch die „Notreife“, die beim gewaltsamen Umknicken der Schlotten einsetzt, keine (oder weniger) Krankheitserreger in die Zwiebelknolle eindringen würden.
Das halte ich zumindest für eine bedenkenswerte Erklärung des Umtretens der Schlotten, das früher verbreitet vorgenommen wurde (so wurden die Bamberger früher „Zwiebeltreter“ genannt).
Du kannst die Zwiebeln aus der Erde ziehen, wenn mindestens die Hälfte der Zwiebelpflanzen umgeknickte Blätter aufweisen; aber Du kannst sie auch so lange im Boden lassen, bis sie auf natürlichem Wege alle Nährstoffe aus den Blättern in die Knolle eingelagert haben.
Wichtig ist auf jeden Fall, die Zwiebeln aus dem Boden zu ziehen, bevor im Spätsommer/Frühherbst wieder feuchtere Witterung einsetzt; denn Feuchtigkeit ist für Zwiebeln das Signal, weiterzuwachsen, also wieder Wurzeln und Blätter zu treiben.
Die Nährstoffspeicherung im Blattboden, die Knollenbildung also, und das Absterben der Blätter sind vor allem Anpassungen an die winterliche Trockenzeit in ihrer Ursprungsheimat Zentralasien (Afghanistan, Turkmenistan u.a.)
Zwiebelknollen müssen nach der Ernte vor allem trocken und luftig gelagert werden. Jeder trockene Raum ist dazu geeignet. Keller sind oft viel zu feucht. Besser geeignet sind das Schlafzimmer, die Speisekammer oder auch die Küche.
Zwiebeln sollen sogar Frost bis -15 Grad Celsius vertragen können; sie dürfen in gefrorenem Zustand nur nicht berührt werden.
Helligkeit ist für Zwiebeln kein Problem, auch wenn Du überall lesen kannst, Zwiebeln sollten dunkel gelagert werden, damit sie nicht austreiben.
Wenn Zwiebeln im Winterlager austreiben, ist dies entweder genetisch bedingt (meistens) oder durch Feuchtigkeit. Wenn Zwiebeln (nach einer kurzen Ruhephase bzw. im Frühjahr) mit Feuchtigkeit in Berührung kommen (selbst wenn sie nur einen Zentimeter über Wasser hängen), treiben alle (gesunden) Zwiebeln Blätter und Wurzeln.
Zwiebeln, die austreiben, lassen sich in aller Regeln noch verwerten. Die grünen Blätter sind in der kalten Jahreszeit sogar eine vitaminreiche Delikatesse; sie lassen sich wie Lauchzwiebeln verwenden.
Zwiebeln zu überwintern, ist somit weitaus einfacher als die Überwinterung von Pflanzenteilen, die unter der Erde wachsen und somit feucht und frostfrei gelagert werden müssen, wie z. B. Kartoffeln, Sellerie, Möhren und anderes Wurzelgemüse.
Zwiebelsamen gewinnen
Nun aber endlich mal zum entscheidenden Punkt, der Samengewinnung.
Um Saatgut zu ernten, brauchst Du immer „fertige“ Zwiebeln, also solche, die Du eigentlich essen würdest. Im ersten Jahr bilden Zwiebelpflanzen die essbaren Knollen; im zweiten Jahr treiben diese Knollen einen (oder mehrere) Blütenstände, in denen sich dann die Samen bilden (wenn Du Steckzwiebeln verwendest, findet die Blüte im dritten Jahr statt).
Du kannst aber schon Zwiebelsamen gewinnen, indem Du ausgewachsene Zwiebeln kaufst.
Dazu brauchst Du nur Zwiebeln, die keine F1-Zwiebeln und auch nicht mit trieb-hemmenden Mitteln behandelt sind, die ein Wachsen der Zwiebel verhindern (im konventionellen Anbau werden solche Maleinsäurehydrazid-haltigen Mittel bei Kartoffeln und Zwiebeln schon regelmäßig eingesetzt).
Am besten sind Zwiebeln aus dem Bioladen geeignet, da der Biohandel oft auch noch samenfeste Zwiebeln verkauft. Manchmal werden aber auch bei Discountern spezielle Sorten, wie die französische „Rosa Roscoff“, angeboten, die ebenfalls keine F1-Zwiebeln und unbehandelt sind (Lidl hat sie im Moment im Sortiment).
Mit solchen Zwiebeln kannst Du schon Samen gewinnen, bevor Deine eigenen Sä- und/oder Steckzwiebeln ausgewachsen und zur Saatgutgewinnung zu gebrauchen sind.
Samenzwiebeln auswählen
Auch wenn Du Deine Zwiebeln luftig und trocken lagerst, wirst Du feststellen, dass einige Zwiebeln sehr bald austreiben; diese sind oft krank und sollten deshalb rechtzeitig aussortiert und verwertet werden.
Andere Zwiebeln treiben schon mitten im Winter aus, weil sie aus Gegenden stammen, in denen es niemals oder wenig friert und deshalb ganzjährig Zwiebeln angebaut werden können; solche Zwiebeln sind nicht auf Lagerfähigkeit selektiert worden, d. h., ihr früher Austrieb ist genetisch bedingt. Die „Höri-Bülle“ ist z. B. solch eine Zwiebel.
Auch wenn die Zwiebeln, aus denen Zwiebelsaatgut professionell erzeugt wird, nicht gründlich auf Lagerfähigkeit selektiert wurden, können viele Zwiebeln im Erntegut sein, die früh austreiben. Ich hatte zu Anfang mal Saatgut der „Zittauer Gelben“, das nur schlampig (oder garnicht) auf spätes Austreiben selektiert worden war; nahezu alle Samenzwiebeln hatten im Frühjahr lange, frische, grüne Blätter…
Solche, früh treibenden Zwiebeln sollten möglichst nicht für die Vermehrung verwendet werden. Zu Anfang Deiner Vermehrungsversuche kannst Du sie aber ruhig nutzen, damit Du überhaupt genug Zwiebeln für die Vermehrung hast. Auf Lagerfähigkeit selektieren kannst Du später immer noch, wenn Du genügend Zwiebeln aus eigener Ernte vorliegen hast…
Andere Zwiebeln vertrocknen sehr schnell und sind somit ebenfalls nicht für die Vermehrung zu gebrauchen.
Wir sollten hierzulande Zwiebeln haben, die sich bis Mai/Juni nicht verändern, die hart und fest bleiben, die wir so lange lagern können, bis uns unsere gesäten Zwiebeln oder unsere ausgepflanzten Steckzwiebeln schon wieder erste, frische Zwiebeln liefern.
Du kannst selbstverständlich auch Zwiebelsorten vermehren wollen, die nicht lagerfähig sind; dann pflanzt Du einfach im Frühjahr (April) die ausgetriebenen Zwiebeln zur Samengewinnung aus.
Im besten Falle sollten sich im April noch 100 (wenn es weniger sind, ist das kein Problem!) schöne, feste Zwiebeln in Deinem Lager befinden; das sind dann Deine perfekten Samenzwiebeln.
Mehr Auswahl muss nicht sein, es sei denn Du bevorzugst Zwiebeln mit bestimmten Farb- und/oder Form-Merkmalen; dann suchst Du Dir aus Deinem Lager selbstverständlich nur die Zwiebeln für die Samengewinnung aus, die diese Merkmale besitzen.
Eine solche Auswahl nach Farbe und Form ist natürlich auf jeden Fall notwendig, wenn Du eine bestimmte Sorte vermehren willst; denn Du willst ja ihre Sorten-Merkmale erhalten, oder? Dann darfst Du auch nur eine Zwiebelsorte vermehren, damit sie sich nicht mit anderen Sorten kreuzt (die Feinheiten der „Sorten-Erhaltung“ lernst Du im 2. Teil des Kurses).
Samenzwiebeln pflanzen
Die ausgewählten Zwiebeln pflanzt Du dann ab Mitte April im Abstand von ungefähr zehn Zentimetern (Reihenabstand ca. 25 – 30 Zentimeter) auf ein Beet, das genauso vorbereitet sein sollte wie das für die Zwiebelaussaat im Vorjahr. Der ehemalige Blattansatz sollte dabei noch ein wenig aus der Erde herausschauen.
Bald werden nahezu alle Zwiebeln Blätter (und Wurzeln) treiben und nach einiger Zeit auch bis zu fünf (je nach Größe der Zwiebel) Stängel bilden, die einen Meter hoch und in der Mitte aufgeblasen sind. Am oberen Ende der Stängel sitzt anfangs ein häutiger Zipfel, der später eine dicke Kugel (eine Scheindolde) mit mehreren hundert weißen Blüten freigibt. Im Norden Deutschlands ist das ungefähr ab Mitte Juli der Fall.
Ich empfinde diese Zeit als die schönste Zeit des Jahres, da ich mich an einem wunderbaren Beet mit hundert Zwiebelblütenständen erfreuen kann, die von Hunderten von Insekten besucht werden.
Sicherheitshalber kannst Du immer die Stängel von vier Zwiebeln, die in einem Quadrat stehen, an einen Stab binden, den Du in ihre Mitte steckst. Dadurch wird verhindert, dass die Blüten umknicken und den Boden berühren, was die Samen verderben kann (im nachfolgenden Filmausschnitt von „Erntezeit für die Höri-Bülle vom Bodensee“ kannst Du gut sehen, wie das dort gemacht wird)…
Nach vier Wochen endet die Pracht und die Samen beginnen zu reifen. Jede Blüte verwandelt sich in eine grüne Kapsel mit drei Kammern, in denen sich jeweils zwei, manchmal drei Samen befinden. Ab Mitte August werden die ersten Kapseln braun und trocken, platzen auf und zeigen die eckigen, schwarzen, reifen Samen.
Nun wird es Zeit, die Blüten, nun „Samenstände“ genannt, zu ernten.
Zwiebelsamen ernten und verarbeiten
Wenn die ersten Samenkapseln aufplatzen und schwarze Samen zeigen, ist es notwendig, den Samenstand vorsichtig mit einem kurzen Stück des Stängels abzuschneiden und in einen Stoffbeutel zu geben. Wenn Du damit zu lange wartest, fallen zu viele Samen aus.
Die Samenstände werden danach im Stoffbeutel nachgetrocknet, indem dieser luftig und trocken aufgehängt und öfters durchgeschüttelt wird. Die Samenstände dürfen nicht schimmeln. Man kann die Samenstände auch flach an einem luftigen, trockenen Ort ausbreiten und ab und zu umwenden.
Nach einigen Wochen sollten dann alle Samen getrocknet und auch aus den Kapseln ausgefallen sein. Du kannst das Ausfallen befördern, indem Du die Samenstände in einem Beutel einige Male kräftig auf den Boden oder gegen einen Gegenstand schlägst, darüber läufst oder die Samenstände kräftig reibst und durchknetest.
Sollten aus dem Beutel kleine Schmetterlinge entweichen, so haben sich ein paar Raupen der Lauchmotte (Acrolepiopsis assectella) darin verpuppt. Die Räupchen fressen an den Blüten und fallen beim Abschneiden der Samenstände nicht weiter auf. Sie richten aber keine (großen) Schäden an, so dass Du die Kleinschmetterlinge ruhig fliegen lassen kannst.
Wenn Du glaubst, dass die meisten Samen ausgefallen sind, entfernst Du die trockenen Samenstände aus dem Beutel und kippst den verbleibenden Rest in einen Eimer mit kaltem Wasser, rührst die Masse kräftig um und gibst dann den schwimmenden Teil in den Kompost-Eimer. Zum Schluss gießt Du das Wasser vorsichtig ab, bis am Grunde die schwarzen Samen sichtbar werden. Du kannst noch mehrere Male Wasser aufgießen und vorsichtig wieder abgießen, bis Du alles „Bei-Material“ abgeschwemmt hast und nur noch die schwarzen Samen am Grunde des Eimers zu sehen sind.
Nun füllst Du noch einmal ein wenig Wasser auf und gießt den gesamten Inhalt des Eimers in ein Sieb, dessen Löcher kleiner sein müssen als die Samen (schreibe ich nur sicherheitshalber, damit Deine kostbaren Samen nicht durch den Abfluss entschwinden!).
Schütte die Samen dann sofort (sie dürfen sich nicht mit Wasser vollsaugen!) auf ein Handtuch, reibe sie trocken und lasse sie anschließend wieder vollständig trocknen.
Du solltest nun genügend Zwiebelsamen für mindestens drei Jahre besitzen; so lange bleibt Zwiebelsamen bei trockener, kühler Lagerung gewöhnlich keimfähig. Trocken und gut verpackt im Eisfach gelagert halten sich die Samen auch bis zu acht Jahre.
Zwiebelsamen-Statistik I
Anzahl Samen pro Zwiebelblütendolde: 690 – 1.150 Samen.
Ein Gramm Zwiebelsamen enthält rund 230 Samen (S. Ashworth S. 41). Ein Blütenstand bringt drei bis fünf Gramm Samen (J. Becker S. 813).
In einer Zwiebelblüte befinden sich in der Regel sechs Samen. Rund 38 Blüten liefern demnach ein Gramm Samen. Somit sollte eine Blütendolde aus 115 bis 190 Einzelblüten bestehen.
Ich habe in diesem Jahr 460 Gramm Zwiebelsamen geerntet, genug für genau 105.800 Zwiebeln.
Zwiebelsamen-Statistik II
Die Größe einer früheren Landsorten-Population: 200 (blühende) Zwiebeln.
Die Rechnung basiert auf folgenden Annahmen: Ein (mittelalterliches) Dorf mit 1.000 Einwohnern und einem (angenommenen) jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 20 Kilogramm Zwiebeln (der Pro-Kopf-Verbrauch liegt heute in Albanien bei ungefähr 30 Kilogramm, in Deutschland bei ca. 10 Kilogramm.)
Das Gewicht einer Zwiebel liegt im Mittel (heute) bei ungefähr 100 Gramm.
Unter diesen Annahmen brauchten die Einwohner:innen des Dorfes pro Jahr rund 200.000 Zwiebeln.
Wenn eine Zwiebelblüte drei bis fünf Gramm Samen abwirft und ein Gramm gut 200 Samen enthält (s. Zwiebelsamen-Statistik I), lassen sich aus den Samen einer Zwiebelblüte mindestens 500 Pflanzen ziehen (ich kalkuliere bewusst niedrig).
Um also die benötigte Menge von 200.000 Zwiebelpflanzen ziehen zu können, mussten in den Gärten des Dorfes pro Jahr rund 400 Zwiebeln blühen, wenn jede Pflanze nur einen Blütenstand treibt (es können zwei bis drei sein).
Da Zwiebelsaatgut ca. zwei Jahre lagerfähig ist, muss eine Samenernte nur alle zwei Jahre stattfinden, d. h., pro Jahr mussten nur 200 Zwiebelpflanzen blühen.
Nehmen wir jetzt noch die Zahl der Haushalte (und damit die Zahl der einzelnen Gärten) der Einfachheit halber mit 100 an, dann kommen wir auf zwei Zwiebeln pro Garten, die blühen mussten.
Zwiebelsamen-Statistik III
Anzahl Samenzwiebeln, um heute den Bedarf einer vier-köpfigen Familie an Zwiebeln zu erzeugen: Eine blühende Zwiebel pro Jahr (oder zwei alle zwei Jahre; zugrunde liegende Annahmen s. Zwiebelsamen-Statistik I und II).
Der Bedarf für einen Vier-Personen-Haushalt beträgt pro Jahr 40 Kilogramm Zwiebeln insgesamt; das Durchschnittsgewicht einer Zwiebel liegt bei 100 Gramm. Folglich braucht der Haushalt 400 Zwiebeln.
Eine Zwiebelblüte produziert 500 Samen, d. h., eine blühende Zwiebel pro Jahr würde völlig ausreichen, das benötigte Saatgut zu erzeugen.
Wenn alle Nachbarn ebenfalls eine Zwiebel blühen ließen, gäbe es keine Inzucht-Probleme; aber da dies (bisher) nicht der Fall ist, sollten fünf Zwiebeln das Minimum sein (ein Saatgut-Tausch mit anderen Gärtner:innen, die Zwiebeln selbst vermehren, sollte zusätzlich alle paar Jahre stattfinden, um jegliche Inzucht-Probleme auszuschließen).
Samenzwiebeln essen oder mehrfach blühen lassen
Die Samengewinnung hat noch einen schönen Nebeneffekt, den ich auch erst in diesem Jahr mitbekommen habe: Neben den Samen kannst Du zumeist auch noch Zwiebeln ernten!
Viele der Samenzwiebeln bilden nämlich neben den Blüten noch brauchbare (Neben)Zwiebeln aus. Diese Zwiebeln kannst Du ebenfalls verspeisen oder im kommenden Jahr erneut für die Samenproduktion verwenden; denn sie blühen dann noch einmal, manchmal sogar mehrere Jahre hintereinander…
Zwiebeln mit Hilfe von Steckzwiebeln anbauen
Steckzwiebeln sind kleine, noch nicht ausgewachsene Zwiebeln. Wenn sie nur haselnussgroß (Durchmesser bis 1,5 Zentimeter, platt-runde Zwiebeln bis 2,5 Zentimeter) sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie im zweiten Jahr keine Blüte, sondern nur dicke, große Zwiebelknollen bilden.
Größere (Steck)Zwiebeln blühen aber oft schon im zweiten Jahr.
Es lohnt sich, wirklich nachzumessen. Als ich das jetzt erstmals getan habe, musste ich feststellen, dass mein Gefühl mich trügt: Zwiebeln, die ich für brauchbar gehalten habe, waren oft bis zu 2,5 Zentimeter im Durchmesser, also viel zu groß.
J. Böttner (S. 361) und J. Becker (S. 814) schreiben, dass die Blütenbildung im zweiten Jahr auch genetisch bedingt sei und somit manche Zwiebeln/Sorten überhaupt nicht als Steckzwiebeln zu verwenden seien, weil auch schon die kleinsten Zwiebeln im zweiten Jahr blühen. Das sei dadurch bedingt, dass Sä-Zwiebelsorten (wie z. B. die „Zittauer Gelbe“) auf schnelles Wachstum gezüchtet worden seien; Steckzwiebelsorten (wie die „Stuttgarter Riesen“) dagegen müssten sich langsam entwickeln.
Unter meinen selbst vermehrten Landsorten-Zwiebeln werden also immer welche sein, die nicht gut als Steckzwiebeln zu verwenden sind.
J. Becker (S. 810) empfiehlt auch, die Steckzwiebeln ein paar Wochen vor dem Auspflanzen zu „darren“, d. h., sie an die Heizung oder in die Nähe eines Ofens zu hängen und sie damit einer Temperatur von 30° bis maximal 40° C. auszusetzen; diese Behandlung würde den Blühimpuls der Steckzwiebeln deutlich verringern und den Ertrag um 50 – 60 % erhöhen.
Das Darren habe ich noch nicht konsequent getestet. Im vorletzten Jahr habe ich die Steckzwiebeln an die Heizung gehängt und ich meine, nur wenige „Schosser“ gehabt zu haben, im Gegensatz zu diesem Jahr, als ich alle Steckzwiebeln kühl gelagert hatte. Die meisten Steckzwiebeln sind in Blüte geschossen; aber möglicherweise waren sie auch einfach schon zu groß und damit „blühreif“ (s. o.)
Im kommenden Jahr werde ich mit Steckzwiebeln einen exakten Versuch unternehmen, indem ich verschiedene Größen nebeneinander pflanze, die sämtlich in einem warmen Raum überwintert wurden.
In diesem Jahr habe ich ebenfalls gelernt, dass ich Steckzwiebel-Zwiebeln, die Blütenstände bilden, noch ganz normal verwenden kann, wenn ich die Blüte abgeknipse, sobald sie erscheint. Dann bildet die Zwiebel zwar trotzdem einen aufgeblasenen Blütenstängel (ohne Blüte), aber auch eine mehr oder weniger große Zwiebelknolle.
Die Blütenstängel trocknen später genauso ein wie die Blätter, nur evtl. etwas später, sind aber hin und wieder noch von äußeren, nicht eingetrockneten Zwiebelschalen eingeschlossen.
Vorteile von Steckzwiebeln
Steckzwiebeln haben folgende Vorteile: Sie sind früher ausgewachsen/reif und werden durchschnittlich dicker. Sie lassen sich im perfekten Abstand von ca. fünf bis zehn Zentimetern stecken. Sie sind nicht so stark von Beikräutern bedroht, da sie schneller und kräftiger wachsen als Zwiebeln, die direkt ins Freiland gesät werden.
Wie oben schon erwähnt, hatte ich in den letzten Jahren jede Menge Steckzwiebeln dadurch, dass ein Teil der gesäten Zwiebeln ziemlich klein blieb (auf den nachfolgenden Bildern kannst Du Zwiebeln erkennen, die trotz des Platzangebots, das ihnen zur Verfügung stand, kleiner geblieben sind als direkt neben ihnen wachsende).
Gut gediehene Steckzwiebeln kannst Du im dritten Jahr selbstverständlich auch zur Samenproduktion verwenden.
Im kommenden Frühjahr pflanze ich erstmalig ein Gemisch von ein- und zweijährigen Zwiebeln aus, um Landsorten-Samen zu erzeugen. Die Samenzwiebeln von „Höri-Bülle“ und „Bamberger Birnförmige“ sind dieses Mal komplett zweijährig, also aus Steckzwiebeln entstanden.
Auf neue Zwiebel-Vielfalt hoffen
Ich hoffe, die vielen Worte, die Du bis hierher lesen musstest, haben Dir nicht das Gefühl gegeben, Zwiebelvermehrung sei genauso viel Arbeit. Ich finde die Samengewinnung bei Zwiebeln kinderleicht; man kann eigentlich nichts falsch machen: Zwiebeln einpflanzen, blühen lassen und anschließend die Samen ernten. Fertich.
Die eigene Zwiebelvermehrung erhält und vermehrt nicht nur die Zwiebel-Vielfalt, sondern bietet auch die Möglichkeit, viele verschiedene Zwiebeln aus aller Welt anzubauen, sortenrein oder gemischt…
Wenn das allerdings wieder ganz viele von Euch machen, besteht die „Gefahr“, dass wir am Ende nur noch „Landsorten“ haben, weil alle unsere Zwiebelsorten von den fliegenden Vielfaltsmehrern vermischt werden…
…aber dann hätten wir auch wieder die größtmögliche genetische Vielfalt der Zwiebeln – und darüber hinaus vielleicht sogar einige Exemplare mit neuen, noch unbekannten Eigenschaften, die durch Mutationen entstehen können, vielleicht solche, die es dem Mehltau schwerer machen, an unseren Zwiebeln teilzuhaben…
Das wäre dann die Art Anpassung, die 10.000 Jahre lang stattgefunden hat und die heute garnicht mehr stattfindet, aber unbedingt wieder stattfinden sollte…
Deshalb: Fangt an, Euch eigene Zwiebeln zu ziehen! Fangt an, mit Landsorten-Zwiebeln zu gärtnern! Fangt an, die frühere Zwiebelvielfalt und deren Anpassungsfähigkeiten wiederherzustellen!
Aber auch, wenn Ihr nur eine bestimmte Sorte selbst vermehrt, vermehrt ihr damit ihre genetische Vielfalt; denn Eure Umwelt- und Anbaubedingungen wirken sich ohne Euer Zutun selektiv auf diese Sorte aus – aber nur, wenn Ihr sie selbst vermehrt…
Ja, ja, auch wenn Ihr Euer Zwiebelsaatgut immer wieder neu kauft, gibt es mehr (Klein)Betriebe, die es erzeugen; deshalb – und weil Ihr ja irgendwie anfangen müsst – nachfolgend die versprochene Liste mit Anbietern von Zwiebel-Saatgut, bei denen ich selbst auch schon bestellt habe:
Erzeuger von Zwiebelsamen
Deutschland
- Dreschflegel
- Samenbau Nordost
- Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen (VERN)
- Saatgut-Liste des Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN)
- Bingenheimer Saatgut
- Die Vielfaltsgärtner
- Exotic-Samen
- Genbank des IPK Gatersleben
Österreich
Schweiz
Italien
- Stochay – Italienische Samen (kein Erzeuger, nur Anbieter)
Frankreich
Spanien
- Cocopot (kein Erzeuger, nur Anbieter)
Anbieter von Saatgut der „Höri-Bülle“ (unter anderen Namen)
Wer zum Vergleich auch noch Anleitungen zur Zwiebelvermehrung von Anderen studieren möchte, dem habe ich nachfolgend eine Auswahl zusammengestellt, die ich mir erlaubt habe, aus alten und neuen Büchern zu kopieren:
Kapitel zum Zwiebelsamenbau aus verschiedenen Büchern
- Andrea Heistinger: Handbuch Samengärtnerei – Zwiebelgewächse, 2003
- Suzanne Ashworth: Seed to seed – Allium cepa – Common onions and multipliers, 2002
- Suzanne Ashworth: Samengewinnung im Hausgarten – Die Amaryllisgewächse (Amaryllidaceae), 1993
- Dominique Guillet: The Seeds of Kokopelli, A manual for the production of seeds in the family garden – Alliaceae Family, 2002
- Cora Leroy: Gemüsesamen selbst gezogen – Zwiebel (Allium cepa), 2016
- Mechtild Hubl: Meine Samengärtnerei – Küchenzwiebel, 2023
- Bernward Geier: Biologisches Saatgut aus dem eigenen Garten – Zwiebel (Allium cepa), 1982
- Paul Kaiser: Die Anzucht von Gemüsesamen für den eigenen Bedarf des Gärtners – VI. Zwiebeln und Porro, 1905
- Marc Rogers: Gemüsesamen aus dem eigenen Garten – Zwiebel (Allium cepa). Zweijährig, Insektenbestäubung, 1984
- Marlies Ortner: Saatgut aus dem Hausgarten – Alliaceae, Zwiebelgewächse, 2010
- Ingeborg Haensel: Gemüse- und Blumensamen aus dem eigenen Garten – Zwiebel, 1998, 2015
- Constanze von Eschbach: Meine eigene Samengärtnerei – Zwiebel, 2015
- Wilhelm Westermann: Gemüsesamen-Vermehrungsanbau – Zwiebelsamenkultur, 1947
- Rudolf Trenkle: Gemüsesamenbau – Zwiebel, Bolle (Allium cepa, L.), 1919
- Hermann Jäger: Die Erziehung der Pflanzen aus Samen – Zwiebel und Laucharten, 1887
- Johann Christian Gotthard: Der deutsche Saamengärtner – Zwiebelgewächse, 1806
- Josef Becker-Dillingen: Handbuch des gesamten Gemüsebaus – Pflanzen aus der Familie der Liliaceae, Liliengewächse, 1943
- Johannes Böttner: Wie züchte ich Neuheiten – Zwiebeln, 1909
Im Beitrag „Versunkene Kultur“, der sich mit dem Aussterben der Saatgutgewinnung im Hausgarten beschäftigt, sind einige alte Bücher gelistet, in denen auch der Samenbau der Zwiebel beschrieben wird; auch auf der Seite „Samen gewinnen“ sind Anleitungen zu finden.
Botanisch gesehen ist die genetische Vielfalt bei Populationssorten natürlich größer. Aber ich hätte schon gerne die Wahl, welche Eigenschaften mein angebautes Gemüse haben soll und kein Überraschungspaket. Und nicht Zwiebel: rund, platt oder birnenförmig, weiß, rot oder gelb, mild bis scharf.
Letztlich: wenn viele Menschen viele verschiedene Sorten anbauen ist das ein Beitrag zur Diversität.
Liebe Susanne,
vielen Dank für Deinen Kommentar!
In einem Punkt muss ich Dir sofort energisch widersprechen; Du behauptest: „Wenn viele Menschen viele verschiedene Sorten anbauen, ist das ein Beitrag zur Diversität.“
Der Anbau allein trägt überhaupt nichts zur Diversität bei.
Das wird sofort klar, wenn ich sage, dass das Saatgut der angebauten Sorten einzig von einem Mega-Konzern in den USA (oder sonstwo) geliefert werden könnte.
Dann wäre das Saatgut jeder Sorte, das alle Anbauer:innen auf der gesamten Welt nutzen, genetisch gleich – und würde es auch bleiben.
Nur die Vermehrung trägt zur Vielfalt bei. Nur bei der Saatguterzeugung führen Umwelt-, Anbau- und Auswahlbedingungen zu genetischen Veränderungen – und damit zu mehr Diversität innerhalb unserer Nutzpflanzen-Arten.
Wenn Du also lieber eine bestimmte Eigenschaft nutzen oder lieber essen möchtest – was ich sehr gut nachvollziehen kann und auch nicht „abschaffen“ will – dann solltest Du zumindest das Saatgut Deiner Lieblingssorten möglichst selbst gewinnen, um ihre Diversität zu vermehren und auf einem hohen Niveau zu erhalten…
…aber ich werbe natürlich vor allem dafür, sich überhaupt mal mit den Ernteprodukten von Mischlingspopulationen auseinanderzusetzen; denn möglicherweise werden dann einige Menschen feststellen, dass ihre Vielfalt mehr Geschmäcker, mehr Möglichkeiten und mehr Auswahl bietet – und dass in den meisten Fällen die Unterschiedlichkeit der „Früchte“ nahezu keine Relevanz besitzt…
Viele Grüße
J:)rgen
Ich hielt es für selbstverständlich, dass keine Sorten von den Megakonzernen gemeint sind. Ich selber kaufe kaum noch Saatgut, vermehre alles selber und finde mit der Zeit die für mich perfekten Sorten, die von Jahr zu Jahr immer besser werden. In dem Sinne: viele Menschen-viele Sorten.
Das ist das, was Arche Noah, VEN und Konsorten betreiben. Ich verstehe deine Kritik an ihnen nicht.
Aber als Experiment kann Deine Vermehrungstaktik sicher interessant sein.
Beste Grüße von Susanne
Liebe Susanne,
die Mega-Konzerne waren nur als extremes Beispiel gedacht. Wenn es ein paar mehr kleinere Saatgutvermehrer:innen gibt, ist die genetische Vielfalt insgesamt etwas höher, aber immer noch nicht so hoch, wie sie sein könnte. Wie gesagt: Je mehr Vermehrer:innen, desto mehr Vielfalt. Je weniger dabei auf Sortenreinheit geachtet wird, desto besser…
Meine Kritik an den Erhalter-Vereinen bezieht sich darauf, dass sie sich für Sorten und deren Anbau stark machen (so, wie Du oben geschrieben hast) und nicht für Individuen-Vielfalt und eigene Saatgut-Vermehrung (es ist wunderbar, dass Du Deine eigenen Samen gewinnst!). Unterschiedliche Individuen machen Vielfalt aus!
Es sollte zentral um die (genetische) Vielfalt unserer Nutzpflanzen gehen!
Die „Sorten-Erhalter:innen“ setzen m. E. den Fokus zu stark auf das Konservieren von Altem, nicht auf das Wachsen, Vermehren, Blühen- und Entstehenlassen von Neuem. Ich möchte vor allem in die Zukunft blicken und nicht ständig in die Vergangenheit!
Wenn noch nicht klar ist, warum ich die Sorten-Erhaltung kritisiere, dann muss ich weiterschreiben…
Ich hatte gehofft, dass das langsam klarer wird…
Viele Grüße
J:)rgen
Lieber Jürgen,
Zitat von Dir: ‚Wenn es ein paar mehr kleinere Saatgutvermehrer:innen gibt, ist die genetische Vielfalt insgesamt etwas höher‘
Ich glaube Du unterschätzt, was sich in der Republik abspielt. Allein die Informationen aus dem Dunstkreis des VEN sind:
150 Bibliotheken fordern zur Saatgutvermehrung auf.
Erhaltergruppen mit geschätzt 100 Teilnehmern vermehren verschiedene Kulturen.
Es finden mindestens 50 Saatgutbörsen in D statt, die dann Informationen dazu verbreiten.
Allein auf dem VEN – Kalender werden 13 Vermehrungskurse angeboten.
Im Ganzen gesehen ist das nicht wenig. Ich vertraue auf die Erhaltung der Diversität durch Viele.
Dir wünsche ich mit Respekt Erkenntnisse und kulinarische Genüsse auf Deinem individuellen Weg.
Gruß von Susanne
Liebe Susanne,
danke für den regen Austausch; der fehlt mir manchmal…
Die Aktivitäten, die Du aufzählst, sind aller Ehren wert – und nicht wenig, wie Du sagst; da stimme ich Dir zu.
Ich glaube jedoch, dass dies im Zusammenhang gesehen werden muss: Das Gärtnern hat den Geruch des Spießigen verloren und ist ein Hobby unter vielen geworden; dafür wird wieder mehr Saatgut gebraucht. Das hat u. a. zu den Aktivitäten geführt, die Du aufgezählt hast; auch der Umsatz der großen und kleinen Samenhändler:innen ist in den letzten 20 Jahren stark gestiegen.
Letztlich geht es darum, was Du (und andere) unter „Diversität“ (unserer Nutzpflanzen) verstehst. Für mich kann Diversität nur die Anzahl unterschiedlicher Individuen sein, so wie bei der Art Homo sapiens; aber darüber kann mensch natürlich streiten…
Ich versuche mit meinen Beiträgen nachzuweisen, dass die Erhaltung von ein paar „alten“ Sorten die Diversität nur auf einem niedrigen Level erhält. Darüber hinaus möchte ich zeigen, wie Diversität wieder enorm gesteigert werden könnte…
Dazu halte ich es für nötig, die „Sorten-Scheuklappen“ abzulegen; so hat sich die Menschheit z. B. 10.000 Jahre lang ohne Sorten kulinarische Genüsse verschafft.
Auch wenn meine Sicht noch sehr individuell ist: Neues bringen immer nur einzelne Individuen in die Welt, so auch neue Gen-Kombinationen. Letztere können sich nur durch Vermehrung der Individuen vermehren; in der menschlichen Gesellschaft vermehren sich individuelle Sichtweisen heute (auch) über das Internet…
Darauf setze ich zumindest meine Hoffnung…
Viele Grüße
J:)rgen
…
Vorneweg: ich schätze Deine Gedanken und Versuche zur genetischen Vielfalt der Nutzpflanzen.
Jetzt besteht die Frage, für was oder wem nützt diese Diversität. Bei den Wildpflanzen ist die Antwort eindeutig. Überlebensnotwendige Lebensräume für alles was da kreucht und fleucht. Bei den Nutzpflanzen ist die Wichtigkeit außerdem noch anders gelagert. Genannt werden der kulturhistorische Aspekt, der Erhalt von ganz speziellen äußerlichen und innerlichen Eigenschaften und regionale Angepasstheit, auch im Hinblick auf zukünftige, robuste Züchtungen.
Wie sieht das bei den Populationssorten aus? Die obengenannten Kriterien treffen hier nur bedingt zu. Man geht davon aus, dass es etwa 10 Generationen akribische Auslese benötigt, um Eigenschaften samenfest in dem Pflanzengenom zu etablieren. Wer, außer vielleicht Dir, hat diese Ausdauer?
Bei den verarmten Zwiebeln kann ich diese Vorgehensweise verstehen. Sie kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn jemand den Biss hat, den Züchtungsvorgang bis zum Ende durchzuziehen.
Das führt wieder zum Sortenerhalt hin: Viele Menschen sollten viele verschiedene Sorten anbauen und vermehren. Als Nebeneffekt würden dann auch naturgemäß genetische Vermischungen entstehen, vielleicht mit einem guten Resultat…
Nix für ungut, mit Gruß von Susanne
Liebe Susanne,
möglicherweise liegt hier ein Missverständnis vor: Du schreibst, Populationssorten bräuchten 10 Generationen lang akribische Auslese, „um Eigenschaften samenfest in dem Pflanzengenom zu etablieren.“
Das macht Züchtung! Erst eine ordentliche Mischpopulation herstellen und dann wieder ein paar Individuen auswählen und zu Stammmüttern von samenfesten Sorten machen.
Das ist nicht das, was ich meine!
Die Populationen aus gemischt-erbigen Individuen, wie ich sie sehe, sollen niemals samenfest werden; sie sollen „divers/vielfältig“ bleiben; aus ihnen wird nichts ausgelesen. Meine „neuen“ Landsorten sollen dauerhaft vielfältig weitervermehrt werden, so wie die „alten“ Landsorten 10.000 Jahre lang vermehrt wurden.
Es geht mir doch darum, eine möglichst große Anzahl an genetisch unterschiedlichen Individuen herzustellen; in ihnen sehe ich Vielfalt/Diversität … milliardenfach…
Andere Aspekte, die Du für den „Sorten-Erhalt“ für wichtig erachtest (ganz spezielle äußerliche und innerliche Eigenschaften und regionale Angepasstheit), erfüllen auch vielfältige Populationen, wahrscheinlich sogar in weitaus größerem Ausmaß.
Bliebe der „kulturhistorische Aspekt“, den meine Populationen nicht erfüllen können (und sollen). Um diesem Aspekt gerecht zu werden, können ein paar Museen und Schaugärten „alte“ Sorten anbauen und ausstellen, ohne die Besucher:innen darauf hinzuweisen, dass nichts an den Sorten alt ist – außer ihr äußerer Schein…
Ich will Vielfalt bei unseren Nutzpflanzen, die Vielfalt unterschiedlicher Individuen, so wie sie die Menschheit und wilde Populationen besitzen! Darauf hinzuwirken, ist mein Ziel!
Viele Grüße
Jürgen
Sehr schöner Artikel. Habe nur eine Ergänzung, auch der VEN e.V. bietet Zwiebelsaatgut an.
https://www.nutzpflanzenvielfalt.de/
Liebe Gisa,
danke für den Hinweis!
Natürlich weiß ich, dass auch die Mitglieder des VEN Saatgut anbieten; Dein Link zeigt aber genau den Grund, aus dem ich nicht auf dieses Angebot hingewiesen habe: Mensch muss es suchen. Außerdem ist nicht leicht zu verstehen, wer wie Saatgut bestellen, bekommen, kaufen kann; dazu muss mensch erst einige Anleitungen lesen…
Ich verlinke hiermit einmal auf die Startseite der Saatgut-Liste des VEN, damit jede:r Besucher:in schon mal einen Schritt näher an der Zwiebelsamen-Bestellung ist…
Viele Grüße
J:)rgen