Vom Heterozygosis- zum Heterosis-Effekt

oder: Wie es dazu kam, dass die besondere Lebenskraft, die allen „Mischlingen“ (Heterozygoten) eigen ist, auf F1-Hybride beschränkt wurde.

Heute möchte ich den so genannten „Heterosis-Effekt“ ein wenig beleuchten, von dem die meisten sicher schon mal in Verbindung mit F1-Hybriden gehört haben werden.

Dass der Heterosis-Effekt aber nicht nur ein Merkmal der modernen F1-Hybriden ist, sondern als ein ganz allgemeines Phänomen bei allen Mischlingen auftritt – mit „Mischlingen“ sind hier alle gemischt-erbigen (heterozygoten) Lebewesen gemeint, wird nicht allen von Euch bewusst sein; früher hieß dieser Effekt deshalb auch „Heterozygosis-Effekt“.

Blick in Garten am 3. März 2024

Neben Infos über „Heterosis“ bekommt Ihr heute einen Rundgang durch meinen Hauptgarten vom 3. März 2024

Wenn Ihr bedenkt, dass der überwiegende Teil der Lebewesen auf dieser Erde heterozygot (gemischt-erbig und somit genetisch einzigartig) ist, könnt Ihr ermessen, dass die Hetero(zygo)sis einen gewissen Nutzen haben muss; deshalb möchte ich diesen wunderbaren Effekt in ein etwas anderes Licht rücken – weg von den F1-Hybriden…

Auf folgende Fragen könnt Ihr Antworten erwarten:

Woher stammt der Begriff „Heterosis“ und was bedeutet er?
Was ist unter dem Heterosis-Effekt zu verstehen?
Wann wurde der Heterosis-Effekt entdeckt?
Wer hat entdeckt, dass der Heterosis-Effekt für die Pflanzenzüchtung von Nutzen ist?
Welche Vorteile bietet der Heterosis-Effekt gewerblichen Pflanzenbauern?
Wie wirkt sich der Heterosis-Effekt auf die Vielfalt unserer Nutzpflanzen aus?
Wie können vielfaltsliebende Pflanzenbauer den Heterosis-Effekt nutzen?

Ich komme zur ersten Frage:

Woher stammt der Begriff „Heterosis“ und was bedeutet er?

„Heterosis“ ist eine verkürzte Form des Begriffs „Heterozygosis“ und wurde vom Erfinder der Hybrid-Züchtung im Jahre 1914 kreiert (dazu später mehr).

Genaueres zur Herkunft und Bedeutung des Wortes „Heterozygosis“ finden alle, die es genauer wissen wollen, im nachfolgenden Kasten.

Heterozygosis

Heterozygosis wurde von „Heterozygotie“ abgeleitet, indem das altgriechische Wort phýsis (φύσις) „Natur, natürliche, körperliche Beschaffenheit, Wuchs, Wesen“ mit ihm verbunden wurde.

„Heterozygotie“ wiederum ist aus den beiden altgriechischen Wörtern „heteros“ und „zygotos“ zusammengesetzt.

héteros (ἕτερος) bedeutet „der andere, verschiedene (von zweien)“ (nach Wiktionary und DWDS);

zygotos – zygōtos (ζυγωτός) meint „zusammengespannt, durch ein Joch verbunden“, abgeleitet vom Verb ζυγόω (zygoō) „zusammenspannen, durch ein Querholz verbinden“ (Wiktionary).

Als Zygote (das „Zusammengespannte“) wird die Zelle bezeichnet, die entsteht, wenn sich eine Samenzelle mit einer Eizelle verbindet (eine Befruchtung stattfindet), aus der sich dann alle weiteren Zellen eines mehrzelligen Organismus entwickeln.

Wenn die beiden Geschlechtszellen (Gameten) jeweils unterschiedliche Eigenschaften (Allele) an ihren einzelnen Gen-Orten besitzen, wird die entstehende Zygote als „heterozygot“ bezeichnet (das Gegenteil ist „homozygot“, von homós (ὁμός) „gemeinsam, derselbe, gleich, ähnlich“; laut Wiktionary und DWDS).

Möhren im Boden ohne Blätter, teilweise von Schnecken angefressen

Vergessene Möhren, die vielleicht teilweise noch zur Saatgutgewinnung taugen…

Austreibende Pastinakenwurzeln

Das Grün von ebenfalls vergessenen Pastinaken; evtl. auch noch zur Produktion von Samen geeignet…

Was ist unter dem Heterosis-Effekt zu verstehen?

Die überwiegende Mehrzahl von Euch wird die Antwort auf diese Frage kennen, wird sie doch jedes Mal genannt, wenn von F1-Hybrid-Saatgut und seinen Vorteilen die Rede ist: F1-Hybride sind wüchsiger, gesünder und ertragreicher als ihre reinerbigen (homozygoten) Eltern, heißt es dann; die heterozygoten Hybriden zeichnet also eine besondere „Lebenskraft“ oder Vitalität aus.

Diese Überlegenheit der heterozygoten Kinder über ihre homozygoten Eltern wird heute mit „Hybrid-Vitalität“ (Englisch „hybrid vigour“) oder „Heterozygosis“ (kurz „Heterosis“) bezeichnet.

Bis heute konnte nicht geklärt werden, warum gemischterbige Kulturpflanzen (es gilt aber für alle Lebewesen) ihren homozygoten Artgenossen in den allermeisten Fällen überlegen sind, warum sie also „Heterozygosis“ zeigen.

Eine mögliche Erklärung ist, dass bei gemischterbigen Wesen negative Erbfaktoren (Gene), die auf einem Chromosom liegen, von ihrem homologen Gegenpart auf dem anderen Chromosom aufgehoben werden.

Es muss jedoch weitaus mehr Gründe für die Vorteile der Gemischterbigkeit (Heterozygotie) geben, da der überwiegende Teil der Lebewesen auf diesem Planeten gemischterbig ist. Mit der Heterozygotie stehen nämlich die geschlechtliche Fortpflanzung und der doppelte Chromosomensatz in direktem Zusammenhang; beide haben sich über Jahrmillionen als vorteilhaft erwiesen und nahezu überall durchgesetzt.

Ich behaupte ja, dass „Variation/Varianz“ eine absolut notwendige Grundlage des „Lebens“ ist, die sich selbstverständlich auf allen Ebenen des Lebendigen bis hinein in die Molekülstruktur zeigt (ich habe darauf schon in „Die Kehrseite der Pflanzenzüchtung“ hingewiesen und werde mich mit „Variation“ demnächst in einem weiteren Beitrag noch einmal gesondert befassen).

Heterozygote Lebewesen sind eindeutig variabler als homozygote Lebewesen; sie tragen eine größere Anzahl verschiedener Eigenschaften/Gene in sich. Die Wahrscheinlichkeit, dass eines der beiden unterschiedlichen Allele eines Gens einen Vorteil bietet bzw. einen Nachteil ausgleicht, ist groß…

Gekruezte Bambusstangenreihe für den Feuerbohnenanbau

An diesen Bambusstangen haben sich die Feuerbohnen hochgehangelt…

Auf jeden Fall ist durch exakte Versuche zweifelsfrei erwiesen, dass heterozygote Lebewesen in vielen Fällen homozygoten überlegen sind, was schon kein Geringerer wusste als…

Wann wurde der Heterosis-Effekt entdeckt?

Charles Darwin (1809 – 1882).

Ich wollte diesen Beitrag über den Heterosis-Effekt ursprünglich nutzen, ein weiteres Argument zu liefern, „Mischlingssaatgut“ (Landsorten-Saatgut) zu verwenden statt samenfestem Saatgut. Ich dachte mir: „Der Heterosis-Effekt zeichnet Hybriden aus und was sind Sorten-Mischlinge anderes als Hybriden; also sollten auch sie vom Heterosis-Effekt profitieren.“

Da ich aber über den Heterosis-Effekt auch nicht mehr wusste, als überall bei der Erwähnung von F1-Hybrid-Saatgut so dahingesagt und -geschrieben wird, habe ich doch erst einmal eine Suchmaschine beauftragt, mir tiefschürfendere Erkenntnisse zu liefern. Ich veröffentliche ja ungern nur das, was sich zufällig so in meinem Kopf angesammelt hat…

…und ich muss sagen, dass ich (wieder einmal) nahezu erschlagen wurde von den Wissensbrocken, die sie ausspuckte, und die mir eine beachtliche Anzahl an Wissenslücken offenbarten.

So wusste ich z. B. nicht, dass schon Charles Darwin 1876 ein Werk verfasst hatte mit dem Titel „The effects of Cross and Self Fertilization in the Vegetable Kingdom“ (auf Deutsch: „Die Wirkungen der Kreuz- und Selbstbefruchtung im Pflanzenreich“), in dem er ausführlichst beschreibt, wie er verschiedene Pflanzenarten im Hinblick auf ihre Entwicklung bei Selbst- und Fremdbefruchtung untersucht hat (Die Einleitung sowie das Kapitel über die Ergebnisse seiner Untersuchungen habe ich Euch im Original mit deutscher Übersetzung zusammengestellt).

Als Resultat hält er fest (die Übersetzung folgt im Anschluss an das Original):

„The first and most important of the conclusions which may be drawn from the observations given in this volume, is that cross-fertilisation is generally beneficial, and self-fertilisation injurious. This is shown by the difference in height, weight, constitutional vigour, and fertility of the offspring from crossed and self-fertilised flowers, and in the number of seeds produced by the parent-plants.“ (S. 436)

„Die erste und bedeutungsvollste Folgerung, welche aus den in diesem Bande gegebenen Beobachtungen gezogen werden kann, ist die, dasz Befruchtung durch Kreuzung meist wohlthätig und Selbstbefruchtung schädlich ist. Dies zeigt sich durch den Unterschied an Höhe, Gewicht, constitutioneller Kraft und Fruchtbarkeit der Nachkommen aus gekreuzten und selbstbefruchteten Blüthen, und in der Zahl der von den elterlichen Pflanzen producirten Samenkörner.“, (S. 418

Unter „Selbstbefruchtung“ ist immer die Befruchtung der Eizelle(n) einer Blüte mit den Pollen derselben Blüte zu verstehen. Schon wenn die Eizelle einer (Zwitter)Blüte mit dem Pollen einer benachbarten (Zwitter)Blüte derselben Pflanze befruchtet wird, ist das genaugenommen keine Selbstbefruchtung mehr, sondern eine „Fremdbefruchtung“.

Darwin hatte damals auch festgestellt, dass der positive Effekt einer Fremdbefruchtung um so größer ist, je unterschiedlicher die Verhältnisse waren, aus denen die Kreuzungspartner stammten, je größer also ihr verwandtschaftlicher Abstand ist.

Er ist am größten, wenn die Gene auf den beiden Chromosomen maximal variieren, wenn also an allen Gen-Orten unterschiedliche Allele sitzen.

Die Befruchtung mit dem Pollen einer Blüte derselben Pflanze hat also einen deutlich geringeren positiven Effekt, als wenn der Pollen von der Blüte einer anderen Pflanze stammt.

Wildes Ducheinander von Himbeerruten neben dem Folientunnel

Die ungehemmte Ausbreitung der Himbeeren ist nicht zu übersehen…

Was Darwin damals aber noch nicht wusste, war, dass dieser positive Effekt, der durch die Kreuzung zweier entfernt Verwandter einer Art entsteht, einmal „Heterozygosis-/Heterosis-Effekt“ genannt werden würde…

Um uns aber nun dem Mann anzunähern, der die Vorteile der „Hetero(zygo)sis“ für unseren Pflanzenbau entdeckt hat, müssen wir noch einen kleinen Abstecher zur „Pflanzenzüchtung“ und ihren Erfolgen machen; denn der „Hetero(zygo)sis-Effekt“ ist vor allem im Zusammenhang mit dem Nutzpflanzenbau für uns von Bedeutung.

Pflanzenzüchtung: Ertragsteigerungen durch Vereinheitlichung

Wir müssen uns nämlich vor Augen halten, was Pflanzenzüchtung in erster Linie macht: Sie vereinheitlicht die Pflanzen, die auf unseren Feldern (und in unseren Gärten) wachsen, um dadurch die Erträge zu steigern. Nur wenn ausschließlich die „beste“ Pflanze – in großer Zahl – auf den Feldern wächst, ist der maximale Ertrag erreichbar.

Wie ich schon häufiger erwähnt und in „Die Kehrseite der Pflanzenzüchtung“ ausführlicher dargestellt habe, wurden anfänglich (ungefähr ab 1850) diese „besten“ Pflanzen aus dem Pflanzengemisch von Landsorten ausgelesen, durch Inzucht vervielfacht und so in „Zucht-Sorten“ verwandelt.

Später, als die Vererbungsregeln bekannt wurden (ab 1900), kombinierten die Pflanzenzüchter die besten Eigenschaften (Gene) zu neuen, „besten“ Pflanzen, vermehrten sie durch Inzucht und schufen so noch bessere, noch ertragreichere Zuchtsorten, die unsere Felder mit einheitlichen, leistungsfähigen Pflanzen bedecken.

Diese Vereinheitlichung gelingt aber, wie die Mehrheit von Euch ebenfalls wissen wird, ausschließlich bei Nutzpflanzen-Arten, die zur Selbstbefruchtung oder zur vegetativen Vermehrung fähig sind; bei Arten, die fremdbefruchtet werden müssen, gelingt dies nicht so gut, zumindest nicht durch Inzucht…

…und damit komme ich zu dem Mann, der die richtige Idee hatte, wie auch Fremdbefruchter 100%ig einheitlich zu machen sind:

Wer hat entdeckt, dass der „Heterosis-Effekt“ für die Pflanzenzüchtung von Nutzen ist?

Dieser Mann hieß George Harrison Shull (1874 – 1954) und war ein us-amerikanischer Pflanzengenetiker.

Shull veröffentlichte in den Jahren von 1908 bis 1910 jeweils einen Beitrag im „Jährlichen Bericht der Amerikanischen Pflanzenzüchter-Vereinigung“ (Annual Report of the American Breeders Association), in denen er sein Konzept (ja, er nannte es später das „Heterosis-Konzept“) vorstellte:

  1. „The composition of a field of maize“, Vol. IV, S. 296–301, 1908;
  2. „A pure-line method in corn breeding“, Vol. V, S. 51–59, 1909;
  3. „Hybridization methods in corn breeding“, Vol VI, S. 63–75, 1910.

Wie im vorigen Abschnitt schon angedeutet, beruht der maximale Ertrag im Pflanzenbau in erster Linie darauf, nur „beste“ Pflanzen unter bestmöglichen Bedingungen anzubauen. Das ist bei Pflanzen-Arten, die sich vegetativ oder durch Selbstbefruchtung sortenrein (homozygot) vermehren lassen, relativ einfach, bei Fremdbefruchtern, wie gesagt, kaum möglich.

Nachdem die Vererbungsregeln um 1900 wiederentdeckt und verbreitet wurden, erkannte George H. Shull als erster, dass Maispflanzen, die einige Generationen zwangsselbstbefruchtet („geselbstet“) und so homozygot (reinerbig) gemacht wurden, schöne, (normal) große Maiskolben von wunderbarer Einheitlichkeit produzierten, wenn sie miteinander gekreuzt wurden.

Kisten mit Maiskolben in Schwarz-Weiß

Maiskolbenernte von geselbsteten Maispflanzen, einer F1- und F2-Generation (aus: East, 1912)

Er kombinierte also die Erkenntnisse von Charles Darwin über die Heterozygosis, die ich oben angeführt habe, mit denen von Greogor Mendel, und zwar mit dessen 1. Vererbungsregel, der „Uniformitätsregel“, um genau zu sein; diese besagt, dass die Nachkommen zweier unterschiedlicher, reinerbiger Linien in der ersten Generation (F1) genetisch zu hundert Prozent einheitlich sind.

Shull hatte damit einen Weg gefunden, auch „Fremdbefruchter“ 100%ig zu vereinheitlichen und dadurch ihren Ertrag zu maximieren; aber nicht nur das: Darüber hinaus zeigten seine Hybriden den positiven Effekt der Heterozygotie, der Gemischterbigkeit, den von ihm so genannten Heterosis-Effekt.

Shull war der Meinung, dass „heteros“ und „zygotos“ im Grunde das Gleiche bedeuten würden („zwei verschiedene“; s. o.) und das Wort „zygotos“ deshalb überflüssig sei, weshalb er ab 1914 den Begriff „Heterosis“ statt „Heterozygosis“ verwendete, der dann bald allgemein übernommen wurde.

Der Begriff „Heterozygosis“ verschwand anschließend aus dem Bewusstsein; der Begriff „Heterosis“ aber verband sich wundersamerweise mit der von Shull propagierten Hybrid-Züchtung, mit den F1-Hybriden.

Zufall oder beabsichtigt?

Wie schon Darwin festgestellt hatte, ist der Effekt der Hetero(zygo)sis umso größer, je mehr Gene bei den Kreuzungspartnern unterschiedliche Allele besitzen, je weiter entfernt sie also verwandt sind. Da die genetische Unterschiedlichkeit zweier verschiedener, homozygoter Linien vor ihrer ersten Kreuzung am größten ist, ist auch der Effekt der Heterosis in der F1-Generation am größten.

George H. Shull war somit nicht nur der Erfinder der Hybrid-Züchtung bzw. ihr erster Propagandist, sondern auch des Begriffs „Heterosis“. Vor ihm hatten zwar schon andere die Vorteile dieser Art der Züchtung festgestellt, sie jedoch nicht explizit als Zuchtmethode formuliert.

In „Heterozygosis in Evolution and in Plant Breeding“ schildert Edward M. East, ein Zeitgenosse von Shull, 1912 den damaligen Wissenstand über die Heterozygosis (auch Darwin war nicht ihr Entdecker, sondern nur derjenige, der sie zuerst exakt untersucht sowie ihre Effekte klar und deutlich benannt hat).

Erdbeerbeet mit Knoblauch im Überblick

Hinter dem Folientunnel soll die diesjährige Erdbeerschwemme stattfinden…

Die Hauptaufgabe bei der Hybrid-Züchtung besteht also darin, zwei genetisch maximal unterschiedliche Linien zu finden/zu kreieren, die den maximalen Hetero(zygo)sis-Effekt zeigen, eine Aufgabe, die bisher nur durch „Versuch und Irrtum“ gelöst werden kann.

Erdbeeren und Knoblauch

Das Beet mit Erdbeersämlingen, im Garten zusammengesammelt, und Knoblauch…

Das Heterosis-Konzept in Form der Hybrid-Züchtung wird heute als der letzte große Züchtungsfortschritt bezeichnet – und dass die Leute, die das sagen, recht haben, könnt Ihr daran erkennen, dass in der gewerblichen Landwirtschaft und im gewerblichen Gartenbau fast ausschließlich F1-Hybride angebaut werden.

Insofern erübrigt sich eigentlich die Frage:

Welche Vorteile bietet der Heterosis-Effekt (in Form der Hybrid-Züchtung) gewerblichen Pflanzenbauern?

Weil aber immer wieder behauptet wird, dass die großen Pflanzenzucht-Konzerne die kleinen Bauern gezielt in die Abhängigkeit treiben wollen, indem sie nur noch F1-Hybrid-Saatgut anbieten, Hybrid-Züchtung mithin ein Komplott sei, möchte ich die Vorteile von F1-Hybrid-Pflanzen (und -Tieren) noch einmal kurz zusammenfassen.

F1-Hybrid-Pflanzen garantieren unter optimalen (Anbau-)Bedingungen

  1. den maximal möglichen Ertrag durch 100%ige Einheitlichkeit;
  2. den größtmöglichen Zuwachs an Masse (Vitalität/“Lebenskraft“) bei maximaler genetischer Unterschiedlichkeit ihrer Eltern.

Beide Punkte können sich nur bei Fremdbefruchtern, wie Mais, Roggen, Raps, Möhren oder Zwiebeln, optimal auswirken.

Bei Selbstbefruchtern, wie Weizen, Erbsen, Bohnen, Tomaten oder Paprika, kann nur Punkt 2 positiv auf den Gesamtertrag Einfluss nehmen; aber die höheren Erträge, die allein der Heterosis-Effekt bewirkt, reichen anscheinend Pflanzenzüchtern und -anbauern häufig, um auch bei Selbstbefruchtern bevorzugt auf F1-Hybride zu bauen und die entsprechenden Mehrkosten zu tragen, die ihre Saatgut-Produktion erfordert.

Bei allen vegetativ vermehrten Nutzpflanzen, wie Kartoffeln, Beeren und sonstigem Obst, spielen beide Punkte kaum eine Rolle, da diese Arten weder homozygot zu machen sind noch regelmäßig geschlechtlich vermehrt werden.

Auf diese Tatsachen sei hier ausdrücklich hingewiesen.

Plaste-Blumentöpfe bis zum Rand eingegraben, in denen Obst- und Beerensamn keimen

In den Boden eingelassene Blumentöpfe mit keimenden Obst- und Beerensämlingen

F1-Hybrid-Saatgut ist keine böswillige Erfindung der Pflanzenzüchter, um die Saatgutgewinnung und den Nachbau zu verhindern, so wenig wie der Trecker eine böswillige Erfindung der Maschinenbauer war, um die Pferdehaltung und -nachzucht abzuschaffen. F1-Hybride steigern aus den zuvor genannten Gründen eindeutig die Erträge.

Freilich passt F1-Hybrid-Saatgut Pflanzenzucht-Konzernen hervorragend ins Konzept. Der Nachbau der F1-Generation, die F2, besitzt weder die Einheitlichkeit der F1 noch deren ausgeprägte „Lebenskraft“; die Anbauer sind somit gezwungen, jedes Jahr F1-Hybrid-Saatgut neu zu kaufen, um den maximalen Ertrag einzufahren. Dieser „Zwang“ sichert den Züchtern einen Gewinn sowie das Eigentumsrecht an ihrer „geistigen Leistung“, den Ausgangslinien/-sorten der F1-Hybriden.

Im gewerblichen, konkurrenz-bestimmten Massenanbau entscheidet jedes Prozent Mehrertrag über die Existenz eines landwirtschaftlichen Betriebes (und den Tod von zwei anderen Betrieben, die auf ungünstigeren Standorten keine Chance haben, im Konkurrenzkampf mitzuhalten). Auch im Hinblick auf die Ernährungssicherheit der Menschheit insgesamt sowie die Anzahl der Menschen, die sich nicht mit der Nahrungsmittelerzeugung beschäftigen müssen, ist jede Tonne „Nährstoff“, die mehr erzeugt wird, von Bedeutung.

Unter diesen Gesichtspunkten macht die Verwendung von F1-Hybrid-Saatgut durchaus Sinn und kann als Fortschritt bezeichnet werden; aber…

Wie wirkt sich der Heterosis-Effekt auf die Vielfalt unserer Nutzpflanzen aus?

Der Heterosis-Effekt in Form von F1-Hybrid-Pflanzen wirkt sich nicht direkt auf die Vielfalt unserer Nutzpflanzen aus. Die Individuen-Vielfalt – sie allein ist ein Maß für die Vielfalt unserer Nutzpflanzen – wird ausschließlich durch die immense Vereinheitlichung unserer Nutzpflanzen beeinträchtigt, die durch die Einführung von Zuchtsorten stattgefunden hat und weiterhin stattfindet.

Wie ich schon in „Die Kehrseite der Pflanzenzüchtung“ gezeigt habe, ist „Pflanzenzüchtung“ die Ursache der Vereinheitlichung und somit verantwortlich dafür, dass die (Individuen-)Vielfalt unserer Nutzpflanzen erheblich abgenommen hat.

F1-Hybriden haben die Vereinheitlichung schlussendlich nur auf die Klasse der Fremdbefruchter ausgedehnt, die bis zum Siegeszug der F1-Hybriden noch in gewissem Rahmen (innerhalb ihrer Zuchtsorten) eine genetische Unterschiedlichkeit der Einzelpflanzen besaß; aber F1-Hybriden sind nicht die „Bösewichter“, die für den Rückgang der Individuen-Vielfalt verantwortlich sind und die es deshalb zu meiden gälte, um der Nutzpflanzen-Vielfalt wieder auf die Sprünge zu helfen.

„Zuchtsorten“ sind die Übeltäter – und damit sind sowohl Hybrid-Sorten als auch samenfeste Sorten gemeint – und alle, die solche Sorten züchten, erhalten und als Hybrid- oder samenfestes Saatgut anpreisen…

Wer für Nutzpflanzen-Vielfalt ist, muss Zuchtsorten meiden wie der Teufel das Weihwasser und auf Landsorten setzen: Jede einzelne Pflanze einer Landsorte ist ein einzigartiges Individuum; deshalb stellen Landsorten die größtmögliche Vielfalt unserer Nutzpflanzen-Arten dar.

Bleibt die letzte Frage, die Ausgangspunkt meiner Überlegungen war:

Welche Vorteile bietet der Heterosis-Effekt Hobby-Gemüse-Gärtnern und Bio-Bäuerinnen, die Nutzpflanzen-Vielfalt befördern wollen?

Wie Ihr jetzt hoffentlich wisst, ist der „Heterosis-Effekt“ alt-bekannt und nicht erst seit der Entdeckung der Hybrid-Züchtung von Bedeutung: Alle Heterozygoten, d. h., alle „Mischlinge“ (Gemischterbigen) profitieren von diesem Effekt, aber wie schon Charles Darwin wusste – unterschiedlich stark.

Die wüchsigsten und gesündesten Pflanzen sind aber auf jeden Fall nicht die samenfesten, die homozygoten, rein-erbigen, sondern die gekreuzten, die heterozygoten, mischerbigen Pflanzen.

Vier Apfelbaumsämlinge mit Leitungsrohrstücken gegen Biberfraß geschützt sowie eine Anzahl Johannisbeerbüsche vor Wassergraben

Vier Sämlinge von Reinetten, mit Leitungsrohrstücken gegen Biberfraß gesichert…

Ihr wisst also, was zu tun ist, wenn Ihr den Heterosis-Effekt für Euch nutzen wollt…

Ja, „Gärtnert mit Landsorten!“, gewinnt Euer Saatgut selbst – und meidet dabei jegliche „Sorten-Reinheit“, denn sie bedeutet Inzucht und somit Homozygotie!

Der Heterosis-Effekt kann also auch Euer Freund sein, ohne dass Ihr großtechnisch erzeugten und (aufgrund von CMS) teil-defekten F1-Hybriden Zutritt zu Euren Anbauflächen gewähren müsst. Euer Ertrag wird nicht maximal sein, aber Eure Pflanzen werden gesund, vielfältig und anpassungsfähig sein…

Zusätzliche Informationen zur „Heterosis“