F1-Hybrid-Saatgut rehabilitiert

oder: F1-Hybrid-Saatgut ist nachbaubar und damit besser als sein Ruf.

F1-Hybrid-Saatgut wird aus bestimmten Gründen in weiten Kreisen der Hobby-Gärtner und Sortenerhalter abgelehnt: Es sei nicht nachbaubar und verdränge die samenfesten Sorten, die für die genetische Vielfalt der Nutzpflanzen stehen. Ich finde diese Kritik unberechtigt: F1-Hybrid-Saatgut kann nachgebaut werden und der angebliche Nachteil, dass die F2-Generation aufspaltet, ist für Menschen, die die genetische Vielfalt unserer Nutzpflanzen mehren wollen, sogar von Vorteil.

Ich werde in diesem Beitrag aufzeigen, dass nicht F1-Hybrid-Saatgut das eigentliche Problem ist, sondern der ständige Neukauf von Saatgut: Ich behaupte nämlich, dass auch diejenigen, die regelmäßig neue Samen von samenfesten Sorten kaufen, nur geringfügig mehr für die genetische Vielfalt der Nutzpflanzen tun als diejenigen, die jedes Jahr F1-Hybrid-Saatgut in die Erde bringen.

Ich weiß, das klingt ketzerisch; aber vielleicht habe ich ja recht und die Sonne kreist tatsächlich nicht um die Erde…

Auch im Hobby-Gartenbereich: Jede Menge F1-Samentütchen

Bevor Ihr mich steinigt, lest bitte den Beitrag bis zum Schluss, auch wenn er mal wieder lang ist und teilweise aus Fachchinesisch besteht (obwohl ich mich in diesem Fall besonders bemüht habe, allgemeinverständlich zu bleiben).

Warum hat F1-Hybrid-Saatgut einen schlechten Ruf?

Die Expertin Andrea Heistinger schreibt im „Handbuch Samengärtnerei“ (8. Auflage, 2015) auf S. 29 folgendes: „Hybridsorten sind ‚Einmalsorten‘. Hybridsaatgut kann im Hausgarten nicht sinnvoll weiter vermehrt werden und muss jährlich neu gekauft werden. Wird eine Hybridsorte weiter vermehrt, bildet sie nur unfruchtbare Samen aus oder spaltet sie in verschiedene Formen auf: Die Sorte als solche ist nicht beständig. … Da Hybride nur einmal gesät werden können, können sie sich nicht verändern oder einem Standort anpassen. Sie bieten keine Grundlage für eine weitere Entwicklung der Kulturpflanzen und der Sortenvielfalt.“

Gärtner*innen sollten deshalb F1-Hybrid-Saatgut meiden, ist die gängige Schlussfolgerung aus den genannten Tatbeständen.

Ist der gute Ruf von samenfesten Sorten gerechtfertigt?

Wer dagegen samenfeste, vor allem „alte“ Sorten für seinen Anbau verwendet, der tut etwas Gutes, der tut etwas für die Sortenvielfalt und die genetische Vielfalt der Nutzpflanzen, lautet die verbreitete Ansicht.

Zukkini-Sorte „Tondo chiara di Nizza“

Ja, jede Sorte, die neben den „Industrie-Sorten“ angebaut wird, vermehrt die Sortenvielfalt; doch können sich samenfeste Sorten „verändern oder einem Standort anpassen“, wenn ihr Saatgut jährlich neu gekauft wird?

Diese Frage muss klar und eindeutig mit „Nein“ beantwortet werden; auch samenfeste Sorten entwickeln sich dann nicht.

Auch samenfeste Sorten sorgen nur begrenzt für mehr Vielfalt

Nehmen wir an, es gäbe von jeder Nutzpflanzenart nur eine einzige samenfeste Sorte und diese Sorte würde nur von einem einzigen Züchter erhalten, vermehrt und verkauft, alle Gärtner*innen in Deutschland würden also immer wieder das Saatgut von diesem einen Züchter kaufen, wohlgemerkt: Saatgut einer samenfesten Sorte; dann würden in allen Gärten Deutschlands genetisch gleiche Pflanzen wachsen.

Die Sorte würde sich nur bei dem einen Züchter weiterentwickeln (soweit dieser das zulässt).

Die Sortenvielfalt würde nur um diese eine Sorte vermehrt.

Richtig?

Blüten einer samenfesten Auberginen-Sorte

Erhöht sich die Anzahl der Sorten sowie die Anzahl der Züchter (Vermehrer), erhöht sich dadurch automatisch auch die genetische Vielfalt der Nutzpflanzen: Es gibt mehr unterschiedliche Sorten in den Gärten.

Doch dies gilt für F1-Hybrid-Saatgut entsprechend; auch hier erhöht sich die genetische Vielfalt, wenn sich die Anzahl der angebotenen F1-„Sorten“ und die Anzahl ihrer Züchter erhöht.

Hinsichtlich der genetischen Vielfalt macht es bis hierher keinen Unterschied, ob Deutschlands Gärtner*innen F1-Hybrid-Saatgut oder das von samenfesten Sorten kaufen und verwenden: Die genetische Vielfalt wird allein durch die Anzahl der angebauten Sorten bestimmt.

Wodurch wird die genetische Vielfalt einer Nutzpflanzenart vermehrt?

Die genetische Zusammensetzung einer Nutzpflanzenart wird immer dann verändert, wenn die Anbau- und Klimabedingungen sowie die subjektiven Auswahlkriterien auf Pflanzen dieser Art einwirken. Zu genetischen Unterschieden innerhalb einer Nutzpflanzenart kommt es, wenn die Samenträger unter unterschiedlichen Bedingungen wachsen und sie nach unterschiedlichen Kriterien ausgewählt werden.

Das bedeutet, dass sich Nutzpflanzen und ihre genetischen Grundlagen also immer dann verändern, wenn regelmäßig an vielen Orten und von vielen Menschen Saatgut gewonnen wird; dann wird die genetische Vielfalt der Nutzpflanzenarten vermehrt.

Pflanzen von zwei Kohlrabi-Sorten haben den Winter überlebt und blühen nun zusammen

Über die Frage, ob F1-Hybrid-Saatgut nun positiv oder negativ zu bewerten ist, entscheidet also letztlich allein die Tatsache, ob Saatgut von F1-Pflanzen gewonnen wird.

Dazu ist die Frage zu klären, ob überhaupt Saatgut von F1-Hybrid-Pflanzen gewonnen werden kann.

Kann man fruchtbare Samen von F1-Hybrid-Pflanzen gewinnen?

Andrea Heistinger behauptet: „Hybridsaatgut kann im Hausgarten nicht sinnvoll weiter vermehrt werden und muss jährlich neu gekauft werden.“

Wenn ich aber nun zeigen kann, dass es möglich ist, ohne große Probleme auch von F1-Hybrid-Pflanzen fruchtbares, sprich: keimfähiges Saatgut zu gewinnen, wäre F1-Hybrid-Saatgut kein bisschen schlechter zu bewerten als das Saatgut von samenfesten Sorten, oder?

Nun an denn: Ich werde im folgenden nachweisen, dass man fruchtbares Saatgut von F1-Hybrid-Pflanzen gewinnen kann.

Ergebnis Gurkenkreuzung (Chinesische Schlangengurke x Schlangengurke „Bella“, F1 / parthenocarp)

Doch vorweg will ich klären, was unter F1-Hybrid-Saatgut zu verstehen ist – nur damit keine Missverständnisse auftreten.

Ich werde versuchen, mich heute kurz zu fassen und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Wer eine ausführliche Darstellung vor allem über den Herstellungsprozess von F1-Hybrid-Saatgut braucht, kann meinen Beitrag „F1, F2, F3, hybrid-frei ist die Paprika“ studieren. Etwas kürzer habe ich den Sachverhalt schon in „Besser wissen“ dargelegt.

Was ist F1-Hybrid-Saatgut und welche Eigenschaften zeichnet es aus?

Als F1- oder Hybrid-Saatgut wird jede Art von Saatgut bezeichnet, das von (gezielt) gekreuzten Pflanzen geerntet wird. F1 bezeichnet die erste Kind-Generation nach einer (gezielten) Kreuzung; nichts weiter.

Für eine gezielte Kreuzung werden zumeist zwei Pflanzen verwendet, die unterschiedlichen, möglichst reinerbigen (homozygoten) Sorten, Linien bzw. Inzucht-Linien angehören.

Die 1. Kind-Generation (F1), also die Pflanzen, die aus solchem Kreuzungssaatgut (F1-Hybrid-Saatgut) erwachsen, haben zwei ganz besondere Eigenschaften: Sie erfreuen sich besonderer Wüchsigkeit und sie sind extrem einheitlich; ersteres beruht auf dem so genannten Heterosis-Effekt, das zweite ist durch die Regelmäßigkeiten der Vererbung bedingt, hier: durch die Uniformitätsregel (1. Mendel’sche Vererbungsregel).

Die 2. Kind-Generation (F2), also die Pflanzen, die aus den Samen der F1-Pflanzen erwachsen, zeigen das genaue Gegenteil: Sie sind extrem unterschiedlich; sie können besonders wüchsig sein, aber auch besonders mickrig. Die Eigenschaften der restlichen Pflanzen einer F2-Generation liegen dann irgendwo zwischen diesen beiden Extremen.

Hier werden die 2. und 3. Vererbungsregel wirksam, die so genannte Spaltungs- und Unabhängigkeitsregel (die Eigenschaften spalten sich maximal auf und zwar meistens unabhängig voneinander).

Damit ist F1-Saatgut völlig hinreichend erklärt und beschrieben; mehr gäbe es dazu nicht zu sagen.

Also ist alles in Butter mit F1-Hybrid-Saatgut, nichts Schlimmes und Schlechtes haftet ihm an, wenn – ja wenn es da diese Geschichte über die „Unfruchtbarkeit“ der Samen von F1-Pflanzen nicht gäbe.

Was hat es mit der „Unfruchtbarkeit“ der F1-Pflanzen auf sich?

Wenn man über die Unfruchtbarkeit von F1-Hybrid-Pflanzen redet, muss man sehr genau zwischen „normalen“ Kreuzungen zweier homozygoter Sorten oder (Inzucht-)Linien und dem daraus entstehenden Saatgut und zwischen gewerblich erzeugtem Kreuzungssaatgut unterscheiden, dem gemeinhin unter der Bezeichnung „F1“ verkauften Saatgut.

Kohlweißling hilft bei der Züchtung von Radieschen

In beiden Fällen hält man F1-Hybrid-Saatgut in Händen; denn auch bei den Kreuzungen zwischen zwei verschiedenen, reinerbigen (samenfesten) Sorten, die ich z. B. in meinem Garten vornehme (oder die Wind und Insekten tätigen), entsteht F1-Hybrid-Saatgut, das aber niemals (niemals!) irgendeine Unfruchtbarkeit in sich trägt.

Nur die heutigen, gewerblich erzeugten F1-Hybrid-Sorten besitzen eine Unfruchtbarkeit.

Es sind jedoch auch hier nicht grundsätzlich die Samen unfruchtbar, sondern der männliche Pollen kann bei einem Teil der F1-Pflanzen oder sogar bei allen unfruchtbar (steril) sein.

Die weibliche Geschlechtsanlage der F1-Hybrid-Pflanzen ist aber immer und in jedem Fall fruchtbar; das ist ganz wichtig zu wissen, das ist sogar entscheidend. Diese Tatsache wird im folgenden noch eine wichtige Rolle für die Einschätzung von gewerblichem F1-Hybrid-Saatgut spielen; ich komme gleich darauf zurück.

Pflanzen mit sterilen Pollen können sich aber nicht selbst („Selbstbefruchter“) oder andere Pflanzen („Fremdbefruchter“) befruchten; bei der Bestäubung mit unfruchtbaren Pollen bilden Pflanzen keine (fruchtbaren) Samen.

Diese Unfruchtbarkeit des männlichen Pollens ist aber keine prinzipielle Eigenschaft von F1-Hybrid-Saatgut, wie z. B. die Aufspaltung in der F2-Generation; sie ist allein dadurch bedingt, dass F1-Hybrid-Saatgut rationell und in großem Maßstab hergestellt wird, um das noch einmal zu wiederholen.

Warum haben F1-Hybrid-Pflanzen aus gewerblicher Zucht unfruchtbaren Pollen?

Bei der gewerblichen Erzeugung von F1-Hybrid-Saatgut ist die Pollensterilität aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten notwendig und zwar aus folgendem Grund:

Damit die beiden, vom Züchter ausgewählten (Inzucht-)Linien, aus denen das F1-Saatgut erzeugt werden soll, vom Wind oder von Insekten, also rationell, ohne aufwändige Handarbeit, korrekt miteinander befruchtet werden, müssen die Pollen der „Mutter“-Pflanzen steril sein.

„Korrekt miteinander befruchtet werden“ bedeutet: Die Blüten der „Mutter“-Linie, die das F1-Saatgut liefern sollen, dürfen nur mit dem Pollen der „Vater“-Pflanzen befruchtet werden, nicht mit den eigenen Pollen oder den Pollen benachbarter „Mutter“-Pflanzen.

F2-Generation einer Maiskreuzung (Zuckermais „Earlibird“, F1 x Körnermais „Schwarzer Tessiner“)

Wenn die Pollen der „Mutter“-Linie nicht steril wären, müsste diese „korrekte“ Kreuzung in den meisten Fällen händisch/manuell mit einem unbezahlbaren Aufwand durchgeführt werden.

Der Pollen der „Vater“-Linie muss aber in jedem Fall fruchtbar (fertil) sein, damit eine Befruchtung der „Mutter“-Linie stattfinden und verkaufsfähiges, keimfähiges F1-Saatgut entstehen kann.

F1-Hybrid-Feuerbohnen entstehen…

Diese Unfruchtbarkeit des Pollens kann auf verschiedene Weise bewirkt werden: Sie kann mit Hilfe von Chemikalien verursacht werden; aber oft liegt ihr ein „Gen-Schaden“ zugrunde. Manchmal liegt das schaden-auslösende Gen in einem Zellapparat / Zellorganell, einem so genannten Mitochondrion; dann spricht man von einer cytoplasmatischen männlichen Sterilität („Cytoplasmatic Male Sterility“, CMS).

Wenn die Pollen der F1-Pflanzen steril sind, können sie sich nicht selbst oder untereinander befruchten; dann bilden die F1-Hybrid-Pflanzen keinen fruchtbaren Samen und manche  auch keine Früchte.

Deshalb müssen die Züchter von F1-Hybrid-Saatgut bei allen Pflanzen, deren Früchte und Samen genutzt werden (Paprika, Auberginen, Tomaten, Gurken, Zukkini, Melonen, Roggen, Mais), darauf achten, dass nur die Pollen der „Mutter“-Pflanzen, nicht aber die Pollen ihrer Nachkommen, der F1-Pflanzen, unfruchtbar sind.

Das geschieht dadurch, dass die „Vater“-Linie entsprechende Korrektur-Gene in die F1-Generation einbringt, so genannte „Restorer“-Gene, die den Gen-Schaden wieder „reparieren“.

In allen Fällen, in denen die Pollensterilität durch ein „normales“ Gen bewirkt wird, müssen die Züchter dabei nur die normalen Vererbungsregeln beachten.

Bei den „Frucht- und Samen“-Pflanzenarten sind die Pollen der F1-Pflanzen also (bisher) in jedem Fall fruchtbar; denn es sollen ja Früchte bzw. Samen entstehen. Somit sind auch die Samen dieser Arten bei F1-Pflanzen in jedem Fall fruchtbar (Ich habe bisher keine Probleme gehabt, Pflanzen aus den Samen gekaufter Paprika-Früchte oder Melonen zu ziehen, obwohl diese Früchte in der Regel von F1-Hybrid-Pflanzen des Massenanbaus stammen).

2. Nachbau einer Hybrid-Tomate (nahezu identisch mit dem Original)

Bei „Nicht-Frucht“-Pflanzenarten (Zwiebeln, Möhren, Kohlarten), bei denen andere Teile als die Früchte bzw. Samen genutzt werden, können die Züchter die Sterilität des Pollens auch in den F1-Pflanzen wirksam bleiben lassen, da eine Samen- und Fruchtbildung hier nicht notwenig ist.

In diesem Fall können tatsächlich alle F1-Pflanzen unfruchtbare Samen haben – wenn nur F1-Pflanzen mit sterilen Pollen zusammen blühen.

Hat Andrea Heistinger also recht: „Wird eine Hybridsorte weiter vermehrt, bildet sie nur unfruchtbare Samen aus…“?

Nun, für „Frucht- und Samen“-Pflanzenarten stimmt das garnicht, wie ich gerade gezeigt habe, und bei „Nicht-Frucht“-Pflanzenarten hängt das ganz davon ab, unter welchen Bedingungen man sie weitervermehrt.

Wie bilden auch F1-Pflanzen mit unfruchtbaren Pollen sicher fruchtbare Samen?

Die Antwort auf die Frage der Kapitelüberschrift habe ich im vorigen Abschnitt schon angedeutet: Probleme gibt es nur „wenn allein F1-Hybrid-Pflanzen mit sterilen Pollen zusammen blühen“.

Die Lösung ist also ganz einfach: F1-Hybrid-Pflanzen mit unfruchtbaren Pollen bilden auf jeden Fall fruchtbaren, keimfähigen Samen aus, wenn sie mit fruchtbaren Pollen bestäubt werden; denn die weiblichen Geschlechtsanlagen der F1-Hybrid-Pflanzen sind ja in jedem Fall fruchtbar und können fruchtbare Samen bilden, sie müssen eben nur mit fruchtbarem Pollen bestäubt werden.

Wie schon gesagt: Bei „Frucht“-Arten besitzt die F1-Generation immer fruchtbaren Pollen. Falls in späteren Generationen jedoch teilweise pollensterile Pflanzen auftreten, bilden auch diese fruchtbare Samen und somit Früchte, wenn ihre weiblichen Geschlechtsanlagen von Insekten, vom Wind oder durch die menschliche Hand mit fruchtbarem Pollen bestäubt werden.

Hummel auf Oregano

Ebenso funktioniert das bei den „Nicht-Frucht“-Arten: Wenn man die pollensterilen F1-Hybrid-Pflanzen zusammen mit Pflanzen derselben Art blühen lässt, die fertilen Pollen besitzen, bilden auch die pollensterilen F1-Hybrid-Pflanzen fruchtbare Samen.

So lange es also Pflanzen mit fruchtbaren Pollen gibt, kann man auch F1-Hybrid-Pflanzen mit sterilen Pollen fruchtbare Samen bilden lassen: Man muss sie nur zusammen blühen lassen.

Wenn man sich auf diesem Wege erst einmal keimfähiges (fruchtbares) Saatgut von F1-Hybrid-Pflanzen verschafft hat, kann man die Pollensterilität, wenn sie durch ein „normales Zell-Gen“ bedingt ist, mit der Zeit vollständig beseitigen.

Pflanzen mit unfruchtbaren Pollen können sich weder selbst noch andere Pflanzen befruchten, sie können diese Eigenschaft somit auch nicht weitervererben; deshalb wird die Pollensterilität nach einigen Generationen automatisch „wegselektiert“ – und schlussendlich bleiben nur noch Pflanzen mit fruchtbaren Pollen übrig.

Wie schon oben erwähnt, können die Pollen der „Mutterlinie“ auch mit chemischen Mitteln unfruchtbar gemacht worden sein; dann ist die Sterilität in den Folgegenerationen vollkommen verschwunden und der Nachbau der F1-Pflanzen somit überhaupt kein Problem.

Nur bei Pflanzen, deren Pollen durch den Gen-Schaden eines Zellorganells unfruchtbar sind, die also cytoplasmatisch steril sind, besitzen alle Nachkommen ebenfalls sterile Pollen, da die Mitochondrien nur von der Mutterpflanze weitergegeben werden; diese „unfruchtbaren“ Pflanzen fallen jedoch nicht auf, so lange Pflanzen mit fertilen Pollen zusammen mit ihnen  blühen.

Manche Kartoffelsorten haben natürlicherweise sterile Pollen…

…und bilden nur Kartoffelbeeren, wenn sie mit fruchtbaren Pollen anderer Sorten bestäubt werden

Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass es auf jeden Fall möglich ist, fruchtbare Samen von F1-Hybrid-Pflanzen und ihren Nachkommen zu gewinnen.

Außerdem muss man wissen, dass Züchter gern auch samenfestes Saatgut mit dem Zusatz „F1“ versehen, um den Nachbau auf diesem Wege auszuschließen; denn aufgrund des herrschenden Vorurteils – F1-Pflanzen kann man nicht nachbauen – versucht dies niemand, wenn auf einem Samentütchen „F1“ steht.

Die Bewertung von F1-Hybrid-Saatgut

Wie ich oben gesagt habe, ist das einzige Kriterium für die Bewertung von F1-Hybrid-Saatgut: Kann man fruchtbare Samen von den F1-Hybrid-Pflanzen und ihren Nachkommen gewinnen oder nicht.

Wenn man das kann, ist F1-Hybrid-Saatgut genauso positiv zu bewerten wie samenfestes Saatgut; denn dann können sich die Nachkommen der F1-Hybrid-Pflanzen ebenfalls „verändern oder einem Standort anpassen“, F1-Hybride können dann genauso „Grundlage für eine weitere Entwicklung der Kulturpflanzen und der Sortenvielfalt“ sein wie samenfeste Pflanzen.

Mischung aus Zukkini und Pattison

Ich hoffe, ich konnte im vorhergehenden Abschnitt klar genug darstellen, dass man auch von F1-Hybrid-Pflanzen fruchtbare Samen gewinnen kann; deshalb ist F1-Hybrid-Saatgut eindeutig positiv zu bewerten. Es gibt keinen Grund für die verbreitete, negative Einschätzung dieses Saatguts.

F1-Hybrid-Saatgut sollte hiermit vollständig rehabilitiert sein.

Warum sollte man Samen von F1-Hybrid-Pflanzen gewinnen?

F1-Hybrid-Saatgut kann also grundsätzlich nachgebaut werden, das sollte jetzt klar sein.
Es ist auch nicht verboten, es nachzubauen.

„Aber die Nachkommen der F1-Hybrid-Pflanzen spalten doch maximal in verschiedene Formen auf“, wirst Du jetzt einwenden, oder wie A. Heistinger formuliert: „Die Sorte als solche ist nicht beständig.“

F1-Hybrid-Tomate im Original…

…und im Nachbau

„Na und?“ frage ich, „das ist ein Grund für den gewerblichen Land- und Gartenbau, F1-Hybrid-Saatgut nicht weiterzuvermehren und nachzubauen; denn dieser muss konkurrenzfähig bleiben und maximale Erträge von einheitlichem Erntegut erzielen; aber ist das auch für Dich als Hobby-Gärtner*in relevant?“

Nein, für Dich bietet diese Aufspaltung im Gegenteil eine großartige Chance! Du hast eine reiche Auswahl an Formen, Du hast unterschiedlich reagierende Pflanzen, Du hast die guten Gene der F1-Pflanzen in Deinem Garten!

Du solltest Dich freuen und einen Luftsprung machen! Aus F1-Hybrid-Saatgut kannst Du ausgezeichnete, eigene Sorten auslesen.

Ich möchte Dich in diesem Zusammenhang auf Informationsblätter des Kultursaat e. V. aufmerksam machen; dort wird berichtet, wie aus F1-Hybrid-Sorten von Zuckermais samenfeste Zuckermais-Sorten wie „Damaun“, „Mezdi“ und „Tramunt“ gezüchtet wurden, die heute von der Bingenheimer Saatgut AG vermarktet werden; auch die samenfeste Zuckermais-Sorte „Dolcina“ wurde aus F1-Hybrid-Mais entwickelt.

Wenn Du immer wieder Saatgut von den Nachkommen der F1-Pflanzen gewinnst, werden auch diese Pflanzen an Deine Standortbedingungen angepasst, sie entwickeln sich weiter und vermehren die genetische Vielfalt.

Voraussetzung dafür ist aber, dass Du eigenes Saatgut gewinnst. Allein durch die Saatgutgewinnung entwickeln sich Pflanzen, passen sich Pflanzen den Umweltverhältnissen an, vermehrt sich die genetische Vielfalt der Nutzpflanzen. Die Saatgutgewinnung ist also entscheidend und nicht, ob das Saatgut ursprünglich von F1-Hybrid- oder samenfesten Pflanzen gewonnen wurde.

Belebtes Paprikablatt (Unterseite)

Ich möchte deshalb hiermit ausdrücklich dazu aufrufen, eigenes Saatgut zu gewinnen!

Dazu sollten neben samenfesten Sorten auch F1-Hybrid-Sorten genutzt werden; denn dieses Saatgut enthält wertvolle Gene der betreffenden Nutzpflanzenart, die dadurch in unsere Hände gelangen.

Beuten wir die großen Züchter-Konzerne aus, eignen wir uns ihr „genetisches Material“ an, anstatt dieses wertvolle „Material“ zu verteufeln und den Züchter-Konzernen das Monopol auf ihre hochwertigen Gene zu belassen!

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es

Allen, die die genetische Vielfalt unserer Nutzpflanzen maximal vermehren wollen, Spaß an eigenen Varietäten und Mischungen haben, lege ich ans Herz, eigenes Saatgut zu gewinnen, es mit anderen zu tauschen, es zu verschenken und es maximal zu verbreiten; auch selbst erzeugtes (F1-Hybrid-)Saatgut bringt genug Ertrag, wie ich hoffentlich in vielen meiner Beiträge mit den Abbildungen meines Ernteguts, z. B. bei Zwiebeln, zeigen konnte.

Ob Du zur Samengewinnung Pflanzen von samenfesten Sorten oder Pflanzen verwendest, die aus F1-Hybrid-Saatgut entstanden sind, oder ob Du beide als Ausgangsmaterial verwendest, ist völlig wurscht, Hauptsache Du gewinnst eigenes Saatgut!

Wenn Du regelmäßig neues Saatgut kaufst…

Nicht alle Gärtner*innen werden eigenes Saatgut erzeugen wollen oder können und deshalb regelmäßig neues Saatgut kaufen.
Wie sollte sich diese Gruppe zu F1-Saatgut verhalten?

Meine Empfehlung lautet: Wenn Du Dein Saatgut regelmäßig neu kaufst, solltest Du vor allem Saatgut von samenfesten Sorten kaufen. Damit unterstützt Du einerseits Erhaltungszüchter*innen und Initiativen, die diese Sorten erhalten (möchten) und kleine Firmen, die vom Samenbau leben (wie z. B. Dreschflegel oder Samenbau-Nordost). Andererseits erhöht jede Sorte, die zusätzlich zu den agro-industriell genutzten Sorten angebaut wird, die Sortenvielfalt und damit auch die genetische Vielfalt der Nutzpflanzen.

Schwalbenschwanz-Raupen auf Dill (haben nichts mit dem Thema zu tun)

Wer auf maximalen Ertrag wert legt und optimale Anbaubedingungen bieten kann, sollte ohne schlechtes Gewissen F1-Hybrid-Saatgut verwenden; denn dieses dient diesem Zweck am besten. Man vermehrt damit zwar nicht die genetische Vielfalt, da das F1-Hybrid-Saatgut schon von den gewerblichen Anbauer*innen genügend genutzt wird; aber die Vermehrung der genetischen Vielfalt muss nicht unbedingt jedermanns Sache sein (auch wenn ich das gerne so sähe).

Jetzt aber Schluss; ich hoffe, ich konnte Dich überzeugen, dass F1-Hybrid-Saatgut nicht des Teufels ist.

Das darfst du ruhig auch weitererzählen.