Im Tauschrausch

oder: Welche Fragen bei meinem ersten Ringtausch von Saatgut aufgetaucht sind.

Warum tauschen Gärtner*innen Saatgut? Soll man auch F1-Hybrid-Saatgut tauschen? Wo kann man Saatgut tauschen? Wie sieht das Kosten-Nutzen-Verhältnis beim Tauschen aus? Was bringt der Saatgut-Tausch außer Saatgut? Besteht eine Notwendigkeit, Saatgut zu tauschen? Wie tauscht man Saatgut am besten? Worauf sollte beim Tauschen geachtet werden? Wie könnte das Tauschen von Saatgut mehr Spaß machen? Was habe ich bei meinem ersten Saatgut-Tausch gelernt?

Das sind die Fragen, um die es hier geht und über die ich mir mal ein paar Gedanken gemacht habe; über die grün markierten Wörter springt Ihr direkt zu meinen Antworten.

Falls ich Aspekte unbedacht gelassen oder sogar falsch dargestellt habe, würde ich mich freuen, wenn Ihr Eure Ansichten dazu in den Kommentaren ergänzt; es handelt sich hier, wie gesagt, um meine erste Erfahrung mit dem Saatgut-Tausch.

Warum ich bisher kein Saatgut getauscht habe

Bisher habe ich mir noch kein Saatgut auf dem Tauschweg beschafft. Saatgut-Börsen, Saatgut-Festivals oder Webseiten zum Saatgut-Tausch habe ich noch nie besucht.

Saatgut-Tauschbörsen in Deutschland: Der „Verein für die Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt“ (VEN) listet hier Termine & Veranstaltungen auf.
Webseiten zum Saatgut-Tauschen: Saatgut-tauschen.de | Tauschgarten.de | Tauschgnom.de

Auch an Saatgut-Rotationen, die von Garten-Blogger*innen veranstaltet werden, habe ich bisher nicht teilgenommen.

Tauschhandel erschien mir zu aufwändig oder zu unspezifisch: Ich hätte mir Termine merken und mich dann noch rechtzeitig irgendwo hinbegeben müssen oder ich habe befürchtet, „Wundertüten“ zu bekommen, in denen Samen von Pflanzenarten stecken, die ich aus Platzmangel nicht aussäen kann oder aus mangelndem Interesse nicht anbauen will.

So viel Rationalisierung musste jetzt sein.

Kleines Weihnachtsgeschenk

Ehrlich gesagt habe ich nur deshalb bisher an keinem Saatgut-Tausch teilgenommen, weil ich noch nie in dem Moment auf einer Webseite eingetroffen bin, als dort zu einer Tausch-Aktion aufgerufen wurde.

Oder ich von Live-Tausch-Börsen in meiner Nähe nicht rechtzeitig erfahren habe.

Oder ich von manchen Tauschmöglichkeiten einfach nichts wusste, wie z. B. den Gruppen, die sich zu diesem Zweck beim, von mir persönlich wenig gelikten Netzwerk FACEBOOK gebildet haben. Auch auf (der zu FACEBOOK gehörigen) Plattform INSTAGRAM organisieren zahlreiche Gärtner*innen einen Saatgut-Tausch, wie ich jetzt weiß.

Das sollte sich Ende September diesen Jahres ändern: Im sympathischen Blog von Frau K. und Herr L. „Der Kleine Horrorgarten“ las ich: „Wir rufen auf zur großen Saatgut-Tausch-Aktion!“ Im Nu war ich von ihrem feurigen Aufruf entflammt und gewillt, endlich einmal an einer Tauschrunde teilzunehmen.

Bevor ich mich den oben zahlreich aufgeworfenen Fragen widme, beschreibe ich erst einmal (kurz), wie die Tausch-Aktion, bei der ich nun mitgemacht habe, genau verlief; es gibt ja einige Möglichkeiten für derartige Saatgut-Vertauschungen.

Saatgut-Tauschbörse mit Auswahlverfahren

Ich war also bereit für meinen ersten Samentausch; doch die Sache hatte einen Haken: Die Teilnahmebedingungen ließen nur die Einsendung von sortenechtem und samenfestem Saatgut zu.

Diese Einschränkung wird nahezu bei jeder Ankündigung einer Tauschbörse gemacht; so soll vor allem (gewerblich erzeugtes und genutztes) F1-Hybrid-Saatgut ausgeschlossen werden.

Samentütchen mit Kohlrabi-Mischlingssamen

F1-Hybrid-Saatgut und Saatgut-Tausch

Obwohl ich es in meinem Blog schon öfter getan habe, möchte ich auch an dieser Stelle eine Lanze für F1-Hybrid-Saatgut brechen: Dieses Saatgut enthält in der Regel sehr wertvolle Gene der jeweiligen Nutzpflanze. Gärtner*innen, die eigenes Saatgut gewinnen – und das sollten ja alle Teilnehmer*innen eines Saatguttausches getan haben, können aus den Nachkommen der F1-Pflanzen, deren Gene maximal neu kombiniert werden (aufspalten), sehr brauchbare Varianten auslesen und diese weitervermehren. Nach einigen Jahren können sie sich daraus sehr gute, eigene Varietäten ziehen (fast möchte ich hier sogar „Sorten“ schreiben).

Bei Pflanzenarten, bei denen nicht die Früchte oder Samen genutzt werden (Möhren, Zwiebeln, Sellerie, Kohl), ist es allerdings teilweise notwendig, ein paar samenfeste Pflanzen zusammen mit den F1-Pflanzen blühen zu lassen, damit die F1-Pflanzen überhaupt Samen bilden. Viele F1-Pflanzen bilden nämlich keinen fruchtbaren männlichen Pollen. Dieser Gen-Defekt wurde ihnen eingesetzt, damit das F1-Saatgut rationell, d. h., in industriellem Maßstab erzeugt werden kann. Wenn nur Pflanzen mit unfruchtbarem Pollen zusammen blühen, können sich diese Pflanzen nicht untereinander befruchten und somit auch keinen fruchtbaren Samen bilden; aber F1-Hybrid-Pflanzen können grundsätzlich fruchtbaren Samen bilden, das möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen (Für alle, die es genau wissen wollen: In meinem Beitrag „F1-Hybrid-Satgut rehabilitiert“ habe ich mich ausführlichst über die Möglichkeiten ausgelassen, F1-Hybrid-Saatgut zu vermehren sowie die Probleme, die dabei auftreten können).

Von den meisten Nutzpflanzen baue ich zumeist mehrere Sorten nebeneinander an. So kommt es selbst bei Selbstbefruchtern wie Tomaten, Paprika, Auberginen, Erbsen und Bohnen immer mal wieder zu zufälligen Kreuzungen; bei Fremdbefruchtern wie Möhre, Mais, Kohlrabi, Melone, Zukkini und Speisezwiebel findet eine Verkreuzung der Sorten dann sogar ziemlich unausweichlich statt.

Sorten sind mir jedoch mittlerweile völlig schnurz. Ich mische und kreuze Sorten (ok, ich lasse das den Wind und die Insekten tun), was das Zeug hält, und freue mich darüber, wenn ich Pflanzen bekomme, die vom Sortenbild abweichen. Ich produziere „Selektionsmaterial“ für neue Varietäten, für eigene Sorten. „Neue Vielfalt braucht das Land!“, lautet mein Wahlspruch.

Ich habe also vor allem „Hybrid-Saatgut“ (von F1 bis F5), das weder sortenrein noch samenfest ist. Aus meinem Saatgut entsteht eine „bunte Mischung“, Pflanzen einer Art in allen möglichen Formen und Farben, die genießbar sind und sehr interessant sein können – aber eben keinem „Sortenbild“ entsprechen (nicht samenfest sind).

F1-Hybrid-Mais. Die zukünftige maximale Aufspaltung (in der F2) ist schon sichtbar.

Freundlicherweise ließ Organisatorin Anja mein Mischlingssaatgut an der Börse zu und versprach, in den Verteilungslisten einen entsprechenden Hinweis an meinen Saatgut-Tütchen zu platzieren. Ich wollte ja nicht, dass jemand später enttäuscht ist, wenn er*sie im kommenden Jahr einen „Kessel Buntes“ essen bzw. einkochen muss.
Nicht jede*r weiß eine bunte Vielfalt für die Auslese eigener Varietäten zu nutzen bzw. zu schätzen.

Die Tausch-Aktion sollte nun folgendermaßen über die Bühne gehen: Jede*r Teilnehmer*in ward gebeten, drei bis fünf Samentütchen einzuschicken, und sollte sich dafür später drei bis fünf Tütchen anderer Teilnehmer*innen aussuchen dürfen.

Nachdem ich den Persilschein für Hybrid-Saatgut in der Tasche hatte, stopfte ich einen gefütterten Umschlag mit Samenpäckchen voll – ich dachte, zu viel Saatgut kann es bei einer Verteilung nicht geben – und wartete auf den Tag der „Freien Auswahl“.

Am 20. November um 12:42 war der Moment da: In meinem Postfach lag der versprochene Newsletter mit den Auswahllisten.

Was soll ich sagen: Auch viele andere Mitspieler*innen schienen die Spielregeln großzügig ausgelegt zu haben. 140 Gärtnerinnen (ja, wirklich, es waren in der absoluten Mehrzahl weibliche Namen in den später erscheinenden Listen!) überschwemmten den Garten von Anja und Andreas mit mehr als 1.000 Samentütchen (das sind durchschnittlich sieben pro Person) und machten ihn damit wirklich zu einem Horrorgarten.

20 Stunden Saatguttausch im Zeitraffer; die Viertelgärtnerin rotiert (2020)

Einige „vergnügliche“ Stunden mussten die beiden nun damit verbringen, die eingelieferte Menge übersichtlich in DOODLE-Listen einzutragen, damit wir wählen konnten.

Ich rief die Listen Gott-sei-Dank rechtzeitig auf, so dass ich noch eine gewisse Auswahl hatte; die Verteilung erfolgte (leider) nach dem Prinzip: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. Spätaufsteher guckten somit in die Röhre (aber jedes Tütchen zu verlosen, hätte noch mehr Arbeit bedeutet).

Anschließend mussten Anja und Andreas weitere Stunden damit verbringen, die gewählten Tütchen in die mitgeschickten Umschläge zu sortieren und diese zu verschicken.

Am 18. Dezember hatten sie es geschafft (ein „Hoch“ auf Euch beide und ein ganz besonderes Dankeschön von mir an dieser Stelle!). Ich hatte deshalb am Folgetag die Bescherung: Neun, unterschiedlich gefaltete und gestaltete Saatgut-Tütchen lagen in meinem Briefkasten.

Mein Tauschergebnis (in der Übersicht (Vorderseite)

Alle meine (möglichen) Wünsche waren mir erfüllt worden. Ich war ob der bunten und hübschen Tütchen-Vielfalt angetan.

Rückenansicht

Nachdem ich nun mein neues Saatgut in Händen hielt und es von allen Seiten begutachtet hatte, stellte ich mir endlich die Frage: Warum hast Du das getan?

Eigentlich kam diese Fragestellung viel zu spät, aber eine Reflektion über das eigene Handeln ist nie verkehrt, auch wenn ich im folgenden (wie immer) versuche, ein wenig zu verallgemeinern.

Warum tauschen Gärtner*innen Saatgut?

In diesem Jahr habe ich ziemlich viel Möhren- und Zwiebel-Saatgut geerntet. Außerdem habe ich die Marotte, nicht nur die paar Samen von meinem besten Gemüse (Tomate, Paprika, Gurke, Zukkini, Melone, Kürbis) zu ernten, die ich vielleicht im nächsten Jahr brauchen werde, sondern möglichst alle.

Ich kann nämlich den Gedanken nicht ertragen, vielleicht gerade das „beste“ Samenkorn nicht behalten zu haben, also das, aus dem möglicherweise eine ganz besonders außergewöhnliche Pflanze hervorgeht; deshalb habe ich immer viiiiel mehr Saatgut, als ich während der Dauer seiner Keimfähigkeit verbrauchen könnte. Und das ist jedes Jahr das gleiche; so wächst der Saatgutberg und wächst.

Ein Saatgut-Tausch ist also eine Chance, überdimensionale Saatgutberge abzutragen oder auch überschüssiges, gekauftes Saatgut weiterzugeben (Warum ich letzteres in der gegenwärtigen Form für äußerst bedenklich halte, darüber schreibe ich unter „Worauf beim Saatguttausch geachtet werden sollte“ noch etwas).

Der Nachteil einer Tausch-Aktion: Man bekommt Saatgut zurück.

Nein, das ist natürlich ein Vorteil: Ich kann Samen bekommen, die in keinem Saatgut-Katalog der Welt verzeichnet sind, die ich nirgendwo kaufen kann.

Wer über Jahre eigenes Saatgut einer Pflanzenart oder -sorte gewinnt, hat eine eigene Sorte (Varietät) in seinem Garten, eine Varietät, die den eigenen klimatischen und Anbau-Bedingungen angepasst ist. Diese Varietät kann sich dann in einem anderen Garten nochmals weiterentwickeln. So wird die genetische Vielfalt der Nutzpflanzen größtmöglich vermehrt.

Weiterhin kann ich durch einen Saatgut-Tausch zu ungewöhnlichen Kreuzungen kommen, da die meisten Samengärtner*innen sicher nicht peinlich genau darauf achten, dass sich ihre verschiedenen Sorten nicht vermischen. Manche – so wie ich – lassen auch ganz bewusst unverhüteten Geschlechtsverkehr zwischen ihren unterschiedlichen Sorten zu.

Durch eine Saatgut-Rotation kann ich auch zu Arten bzw. Sorten kommen, an die ich bisher noch nie gedacht habe, von denen ich nicht einmal wusste, dass es sie gibt, ich kann also positiv überrascht werden. So bin ich bei diesem Tausch zur “Zuckerwurzel”, die mir bisher unbekannt war, und zum “Fenchel” gekommen.

Seltene Sorten bekommt man zumeist nur auf diesem Wege, da sich gewerbliche Saatguthändler*innen auf die gängigsten Sorten konzentrieren (müssen).

Mehr Vorteile fallen mir im Moment nicht ein. Seht Ihr noch welche?
Aus welchen Gründen tauscht Ihr Saatgut (falls Ihr das schon mal getan habt)?

Welche Kosten verursacht der Saatgut-Tausch?

„Saatgut tauschen kostet was? Wieso denn das? Wir tauschen doch!“

Jetzt kommt er wieder raus, der alte Korinthenkacker und Miesmacher, und redet über Geld. Komm hör‘ auf! („Geld hat man, darüber redet man nicht“, war ein Spruch meines Großvaters, den ich meistens auch beherzige, aber hier und heute nicht)

Ich weiß, es bringt keine Pluspunkte, bei einer guten Sache das Haar in der Suppe zu finden; aber ich will den „Seed-Swap“ von allen Seiten beleuchten – und da gehören die Nebenkosten nun mal dazu.

Nur der Samentausch mit den Nachbarn verursacht keine Kosten, alle anderen Saatgut-Tausch-Aktionen kosten Geld.

Wer z. B. 100 Kilometer mit dem Auto zum nächsten Saatgut-Festival fährt, der zahlt für seine Samen rund 15 Euro (10 Liter Sprit auf 200 Kilometer zum Preis von 1,50 Euro) und lässt die Allgemeinheit den Rest bezahlen (Straße, Kohlendioxid, Lärm etc.).

Die Kosten beim online initiierten Samentausch sehen ungefähr so aus: Ein einzelnes Samen-Päckchen zu verschicken, kostet einen Umschlag plus Briefmarke, also ca. einen Euro; dafür erhält man von jemand anderem eine Portion Saatgut. Das neue Saatgut hat also einen Euro gekostet.

Wenn man erst einen frankierten Umschlag verschicken muss, um Samen zu bekommen, kostet die Sache knapp zwei Euro (zwei Briefumschläge und zwei Briefmarken).

Falls ein Paket mit Saatgut herumgeschickt wird, aus dem jede*r einige Portionen entnehmen kann, die dann mit eigenem Saatgut zu ersetzen sind, belaufen sich die Kosten für das erhaltene Saatgut auf ca. fünf bis acht Euro, den Preis für den (versicherten) Versand eines Pakets. Der Einzelpreis eines Samentütchens ist dann davon abhängig, wie viele Saatgut-Portionen man sich aus dem Paket aneignen kann.

Ich habe für meine neun Saatgut-Portionen, die ich vom Kleinen Horrorgarten im Gegenzug für mein Saatgut bekommen habe, einen gefütterten Briefumschlag, einen normalen Briefumschlag und zwei mal Porto zu 1,55 Euro verauslagen müssen. Der gefütterte Briefumschlag war kostenlos, weil wiederverwendet, der neue kostete fünf Cent, die Briefmarken 3,10 Euro, summa summarum also 3,15 Euro.

Der Preis für jedes Portiönchen Samen belief sich somit auf exakt 0,35 Euro.

Das ist günstig; aber schon wenn ich nur dreimal Saatgut zurückbekommen hätte, wäre der Preis auf 1,05 Euro pro Tüte emporgeschnellt.

Trotzdem: Eine solche Sammeltauschaktion ist die preisgünstigste Lösung für das Saatguttauschen. Weil: Der Veranstalter sponsort die Aktion.

Dieser investiert nämlich ordentlich viel Zeit in die Organisation und das Zusammenstellen der „Sammelbestellungen“. Solche Aktionen sind deshalb zumeist „Eintagsfliegen“ und keine Dauerlösung.

Wenn sie allerdings reihum von vielen Gartenblogger*innen organisiert würden oder eine gemeinnützige Organisation eine „Dauer-Tauschbörse“ mit entsprechender Webseite unterhalten würde, könnte das eine Lösung sein.

Vielleicht können wir Garten-Blogger*innen uns ja zu „Tauschringen“ zusammenschließen?

Sich auf dem Tauschwege Saatgut von guten, alten, samenfesten Gemüsesorten zu besorgen – was die meisten Veranstalter*innen von Tauschaktionen als Hauptargument für eine Saatgut-Börse anführen, ist nicht unbedingt zielführend: Saatgut von Saatgut-Tauschbörsen ist nicht in jedem Fall preisgünstig (s. o.), man bekommt kein garantiert sortenreines, keimfähiges Saatgut und man bekommt nicht immer das, was man sucht, oft sogar nur ein „Überraschungspaket“.

Professionelle Anbieter, die es mittlerweile zahlreich gibt, sollten in diesem Fall – zumindest für Anfänger – die erste Wahl sein (die besten habe ich neulich unter meinem Beitrag „Die Saatgutfrage“ aufgelistet).

Was bringt das Tauschen von Saatgut also, wenn man dadurch nicht günstig an gutes, gewöhnliches Saatgut gelangt?

Der unsichtbare Nutzen des Saatgut-Tauschens

Bei einer Saatgut-Rotation sehe ich neben dem oben schon genannten Vorteil, ungewöhnliches Saatgut zu bekommen, einen Nutzen, der allerdings nicht direkt sichtbar ist: Kontakt und Austausch mit anderen Gärtner*innen. Das ist für mich der wahre Nutzen.

Die Möglichkeit zu Kontakt und Austausch ist natürlich vor allem bei analogen Saatgut-Börsen gegeben (auch wenn dort das Gedränge oft zu groß und damit die Zeit zu knapp ist), bei digitalen ist das Austauschpotential noch deutlich ausbaufähig: Nur bei vier meiner Saatgutproben sind z. B. Kontaktdaten (Facebook-, Instagram- oder Blog-Adressen) aufgedruckt. Dabei würde ich gern mehr über die Gärten und Gärtner*innen wissen, deren Saatgut ich nun nutzen werde. Andererseits würde ich auch gern von denjenigen eine Meinung erfahren, denen mein Saatgut zugeteilt wurde.

Diesem Aspekt wird zu selten Aufmerksamkeit geschenkt; auch der Kleine Horrorgarten legte hierauf keinen besonderen Wert. Ich finde, bei Online-Tauschbörsen sollten Kontakt und Austausch mehr in den Vordergrund rücken.

Würdet Ihr auch gern mehr über das Schicksal des Saatguts, das Ihr in die Welt geschickt, bzw. über die Herkunft des Saatguts, das Ihr empfangen habt, erfahren? Ist Euch an einem intensiveren Austausch mit anderen Gärtner*innen über Saatgutgewinnung oder die Pflege der getauschten Pflanzen gelegen, wenn Ihr Saatgut tauscht oder ist Euch das egal oder reichen Euch die vorhandenen Möglichkeiten?

Vorteile, Nutzen und Kosten des Saatgut-Tauschs werden von jedem einzelnen Menschen nach eigenen Kriterien bewertet, so dass meine Meinung nur eine von vielen sein kann; aber es gibt meines Erachtens einen Fall, in dem der Tausch von Saatgut sogar eine absolute Notwendigkeit darstellt.

Wann ist das Tauschen von Saatgut nicht nur ein Spaß sondern notwendig?

Wer sein Saatgut jahrelang selbst gewinnt, läuft vor allem bei Fremdbefruchtern Gefahr, deren genetische Variabilität einzuschränken und dadurch Inzuchterscheinungen hervorzurufen.

Um die gesamte genetische Vielfalt einer bestimmten Sorte (und damit ihre Vitalität) zu erhalten, müssen in der Regel mindestens 100 Pflanzen dieser Sorte zusammen blühen. Das ist aber in Privatgärten zumeist aus Platzgründen kaum möglich (außerdem hätte man dann viiiiiel zu viele Samen).

Diesem Problem kann man abhelfen, indem man alle paar Jahre mit anderen Gärtner*innen Samen dieser bestimmten Sorte tauscht. Dadurch wird der Gen-Pool der Sorte bei beiden Tauschpartnern wieder „aufgefrischt“.

Oder man bildet eine regionale Saatgut-Gemeinschaft, in der reihum, jedes Jahr in jedem Garten größere Mengen an Saatgut einer bestimmten Pflanzenart für alle gewonnen werden. Man tauscht dann mit den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft z. B. das selbst gewonnene Möhrensaatgut gegen Saatgut von anderen Nutzpflanzen aus.

Diese Art des Saatguttauschens wird selten thematisiert. Man könnte so regional angepasste Pflanzen entwickeln und den Anbauerfolg unter verschiedenen Bedingungen vergleichen. Man wäre Teil eines Netzwerks. Bei überregionalem Saatgut-Tausch muss sich in jedem Fall erst wieder eine Anpassung an die neuen örtlichen Bedingungen einstellen.

Worauf sollte beim Tauschen von Saatgut geachtet werden?

Obwohl Saatguttauschen vor allem Spaß machen soll, sollten doch ein paar Dinge beachtet werden, damit der Spaß nicht flöten geht; ich habe ein paar (wichtige) Punkte zusammengestellt:

  1. Die Beschriftung der Saatgut-Tütchen.

    Als ich mir meine neun Samen-Tütchen näher besah, fiel mir auf, dass einige Gärtner*innen sie zwar mit Informationen zum Kontakt versehen hatten, aber die wichtigste Information vergessen hatten: Das Erntejahr der Samen. Auf vier der ergatterten Packungen fehlte es.
    Auch bei vielen der hübschen Tausch-Tütchen, die bei Instagram gezeigt werden, konnte ich diese Information nicht entdecken.

    Ich finde, je mehr Informationen dem Saatgut mitgegeben werden, desto besser kann man es einordnen. Man muss dann nicht erst einen Probeanbau durchführen, um festzustellen, um was es sich genau handelt; denn auch ein Sortenname hilft nur bedingt weiter, wenn man weiß, wie häufig Namen verwechselt oder irrtümlich vergeben werden.

    Jedem Saatgut-Tütchen sollte also eine ausführliche Beschreibung der Frucht und der Pflanze (wenigstens ein paar knappe Angaben) beigegeben sein, von der die Samen stammen, vielleicht sogar ein Foto. Jede weitere Information zur Herkunft, zu den Bedingungen, unter denen die Samenpflanze gewachsen ist, bzw. zu verwandten Sorten, die in der Nachbarschaft geblüht haben, kann von Nutzen sein.

    Der Platz auf den Tütchen sollte möglichst nicht mit allgemeinen Angaben verschwendet werden, die man leicht selbst herausfinden kann (oder längst weiß), wie z. B. Anbau-Anleitungen oder Aussaat-Termine.

    Die wichtigsten/notwendigen Angaben auf dem Saatgut-Tütchen sollte eher zu den Standard-Teilnahmebedingungen zählen als der Ausschluss von F1-Hybrid-Saatgut.

    Diese Informationen gehören auf die Samentüte oder den Steckbrief:
    Was? Pflanzenart (botanischer Name) und Sortenname
    Wer? Person, die das Saatgut produziert hat (am besten mit Kontaktdaten)
    Wo? Anbauort
    Wann? Jahr der Saatgutgewinnung
    Woher? Von wem kam das Ausgangsmaterial?

    Aus einem Infoblatt des Projekts „Vielfalt bewahren – Wie geht das?“
    # 2 Was kann ich für die Vielfalt tun?

  2. Die Bedingung, nur selbst erzeugtes Saatgut einzuschicken

    Reste von gekauftem Saatgut sollten ausgeschlossen sein; dann wäre das Problem mit gewerblich erzeugtem F1-Hybrid-Saatgut automatisch erledigt, das ja die meisten Veranstalter*innen von Tauschbörsen explizit ausschließen.

    Die Bedingung, nur samenfestes, sortenechtes und sortenreines Saatgut einzuschicken, wäre dann auch überflüssig (falls sie es nicht sowieso ist).

    Kein*e Hobby-Gärtner*in kann garantieren, dass das selbst gewonnene Saatgut nicht durch die Kreuzung mit einer anderen Sorte entstanden und somit samenfest ist; niemand wird den Aufwand betreiben, eine Fremdbefruchtung durch entsprechende Schutzmaßnahmen zu verhüten.
    Die Gärten sind zumeist viel zu klein und die Nähe zu anderen Gärten ist viel zu groß; selbst wenn man nur eine Sorte im Garten hat, ist die Gefahr einer Fremdbefruchtung durch eine andere Sorte aus diesen beiden Gründen fast immer gegeben.

    Solches Hybrid- oder Mischlingssaatgut ist aber vorzügliches Saatgut, das Überraschungen bietet, vielleicht sogar eine ganz besondere Varietät; es bietet zumindest Auswahlmöglichkeiten.

    Kreuzungssaatgut vermehrt auf jeden Fall die genetische Vielfalt unserer Nutzpflanzen; deshalb sollte auf die Bedingung „Nur samenfestes Saatgut bitte!“ verzichtet werden.
    Übrigens kann man auch gewerbliches F1-Hybrid-Saatgut vermehren.

  3. Die Bedingung, gekauftes Saatgut unbedingt als solches zu kennzeichnen
    Viele sehen eine Tauschaktion auch als Möglichkeit, überschüssiges, gekauftes Saatgut noch nutzbringend zu verwenden. Oft wird dazu auch ausdrücklich ermuntert.

    Ich halte diese Weitergabe auch für legitim und nützlich.

    Solche Saatgutreste sollten jedoch unbedingt als „Gekauft“ gekennzeichnet werden; ansonsten halte ich das reine Umfüllen in hübsche, selbst gefaltete und geklebte Tütchen für Etikettenschwindel.

    Gerade bei gekauftem Saatgut ist es ganz besonders wichtig, auch die Angaben, die auf dem Original-Tütchen stehen, zu übertragen (und damit meine ich nicht die Anbauhinweise, sondern die Abfüll- und Haltbarkeitsdaten!); denn über das Alter von gekauftem Saatgut (und damit dessen Keimfähigkeit) weiß man sonst garnichts.

    Ich habe vor ein paar Tagen, also im Februar 2020, ein Kohlsamen-Päckchen käuflich erworben, das den Buchstaben „L“ trägt. Dieser Buchstabe gibt an, in welchem Jahr das Tütchen verschlossen wurde (also nicht unbedingt das Jahr, in dem das Saatgut geerntet wurde!); „L“ steht für das Wirtschaftsjahr 2016/2017 (1.7.2016-30.6.2017); diese Samen sind also wenigstens schon drei Jahre alt.

  4. Ein erster Anbau unter Quarantäne-Bedingungen

    Dass niemand in eine solche Tauschrunde wissentlich uraltes Saatgut einschleust oder solches, das von Krankheiten oder Schädlingen befallen ist, halte ich für selbstverständlich; auszuschließen ist es leider nicht. Manchmal ist ja einfach nur Unwissen schuld.

    Wer also ganz gewissenhaft ist, baut ertauschtes Saatgut immer erst unter Quarantäne an, auf einem besonderen Beet also, das nicht für den normalen Anbau verwendet wird. Dieses Vorgehen ist natürlich bei jedem neu erworbenen Saatgut angeraten; aber gewerblich erzeugtes Saatgut sollte die gesetzlich geforderte Qualität eher gewährleisten als ertauschtes.

Wie tauscht man Saatgut am besten?

Die günstigste Möglichkeit ist der Versand von mehreren Saatgut-Päckchen auf einmal; dazu sind größere Tauschrunden am effektivsten, so wie der vom „Kleinen Horrorgarten“-Team durchgeführte Tausch.

Er war jedoch eine private, „ehrenamtliche“ Aktion und mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Einen solchen Aufwand kann mancheine*r zwar mal treiben, um seine Resonanz zu testen, etwas anzustoßen oder das Besondere zu erleben, aber ganz sicher nicht jedes Jahr, vor allem dann nicht, wenn die Teilnehmerzahl wächst.

Samen einer orange-farbigen F2-Paprika

Samen einer orange-farbigen F2-Paprika

Für eine häufiger durchzuführende Saatgut-Rotation fehlt eine funktionierende, arbeitssparende Infrastruktur. Alle Samen-Päckchen für die Auswahl in DOODLE-Listen einzutragen und diese Listen anschließend auszuwerten, ist zwar sehr, sehr lobenswert, aber nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss. Leider gibt es momentan keine andere brauchbare Lösung, wenn man nicht einfach „Wundertüten“ mit bunt gemischtem Inhalt an jede*n weiterschicken will.

Es müsste eine Internet-Plattform geben, über die jede*r derartige Tausch-Aktionen arbeitssparend und effektiv abwickeln kann. Für eine solche „Online-Hilfe“ habe ich schon eine Idee (die ich hoffentlich bis Ende 2020 auch mal programmieren werde).

Macht das Tauschen von Saatgut Spaß und könnte es mehr Spaß gebracht haben?

Was für eine Frage? „Bekommst Du Zeilenhonorar?“, wirst Du mich jetzt fragen.
Nein, nein, is klar: Alle, die an einer Saatgut-Tauschaktion teilnehmen, sollten Spaß daran haben.

Vielleicht macht es keinen Spaß, wenn man nicht das bekommt, was man gerne gehabt hätte, oder wenn man in einer „Wundertüte“ zu viele Samen von Pflanzen bekommt, die man nicht anbauen möchte.

Möglicherweise hat man auch keinen Spaß, wenn die Samen nicht keimen oder etwas anderes dabei herauskommt, als auf den Tütchen stand; aber das sollte selten passieren.

Wenn man für sein überschüssiges Saatgut nichts besonderes erwartet, sollte man auf jeden Fall Spaß haben; eine kleine Überraschung ist ganz sicher immer dabei.
Im Zweifelsfall heißt es eben: Dabeisein ist alles! Vielleicht ergibt sich ja auch ein netter Kontakt über den Saatgut-Tausch.

Ich habe bei meiner ersten Teilnahme an einer Online-Saatgut-Börse auf jeden Fall Spaß gehabt; denn ich habe einiges gelernt und mehr bekommen als erwartet.

Schlangengurken aus Kreuzungssaatgut (Chinesische Schlangen x Saladin)

Ich hatte mir schwerpunktmäßig Paprika- und Chili-Sorten ausgesucht (im Moment bin ich an Sortenzuwachs bei Capsicum interessiert). Die ertauschten Saatgut-Tütchen lassen mich auf jeden Fall gespannt sein, was ich mir an Neuheiten eingefangen habe. Auf den Tüten stand „Roter Augsburger“, „Sibirische Hauspaprika“, „Jubilanska“, „Pusztagold“, „Hot Lemon“ und „Chili-Mischung“ (Ich glaube, ich brauche bald noch einen Extra-Folientunnel nur für Paprika – oder ich stelle die Paprika komplett auf Freiland-Anbau um).

Zuckerwurzel und Fenchel habe ich mir aus Neugier und zu Testzwecken angelacht; die Möhre „Milan“ soll den Gen-Pool meiner Möhren erweitern.

Wie ich ja schon angedeutet habe, fehlte mir ein wenig die persönliche Vernetzung, die Möglichkeit, mich mit den Samen-Spender*innen und -empfänger*innen austauschen zu können. Das ist bei einer FACEBOOK-Gruppe natürlich besser möglich; aber so ähnlich könnte der Austausch auch in anderen Fällen ablaufen.

Ich nähere mich dem Schluss; es bleibt nur noch die Frage:

Was habe ich bei meinem ersten Saatgut-Tausch gelernt?

Dass ich meine Saatgut-Tütchen zu Propaganda-, Aufklärungs- und Kontaktzwecken nutzen kann!

Die wenigsten, die meine Gurken-, Möhren- und Zwiebel-Saaten bekommen haben, werden meine Beschriftung so verstehen, dass es sich dabei um Hybrid-Saatgut handelt, also um Mischlings- bzw. Kreuzungssaatgut; es ist zwar „gutes“ Hybrid-Saatgut, aber trotzdem entsteht daraus eine bunte „Sortenmischung“. Aus dieser Mischung müssen erst „reine“ Sorten entwickelt werden, indem über mehrere Jahre Pflanzen mit gewünschten Eigenschaften ausgelesen und diese dann wiederum vermehrt werden.

Das hätte ich auf den Päckchen deutlicher darstellen sollen.

So kann ich nur hoffen, dass die Empfänger*innen Spaß an unterschiedlichen Formen und Farben haben und nicht allzu verwirrt sind über das, was aus meinem Saatgut erwächst. Genießbar ist auf jeden Fall alles, was daraus entsteht: Das kann ich versprechen.

Außerdem habe ich gelernt, welche Möglichkeiten es gibt, eigene Saatgut-Tütchen herzustellen (darüber gibt es demnächst hier auch einen Beitrag) und dass ich meine Samenpäckchen schöner hätte gestalten können.

Jetzt weiß ich obendrein, dass es Netzwerke zum Saatgut-Tausch gibt. Einem bin ich nun beigetreten.

Was ich noch lernen muss, ist: Mich auf wenige „Sorten“ jeder Nutzpflanzenart zu beschränken und diese an meine lokalen Verhältnisse anzupassen, anstatt immer mehr verschiedene Sorten an Land zu ziehen – was bei dem überwältigenden Angebot an Tauschbarem allerdings äußerst schwer ist.

So, fertig. Das neue Jahr kann kommen! Der nächste Saatgut-Tausch-Rausch auch (wenn mein Blog von 20 Tauschwilligen gelesen wird, übernehme ich auch gerne mal im kommenden Jahr die Organisation einer Saatgut-Schleuder. Hinterlasst bitte einen entsprechenden Kommentar!)

Prost Neujahr! Euch allen ein erfolgreiches Gartenjahr 2020!