Kartoffelzucht Böhm 2
oder: Wie die Bauern von der Selbstversorgung abgebracht und zur Marktwirtschaft genötigt wurden.
Dieser Beitrag war unfertig, als ich ihn veröffentlicht habe, aber ich wollte ihn unbedingt am 27. Januar 2022 veröffentlichen; denn an diesem Tag vor genau 100 Jahren ist der Kartoffelzüchter Georg Friedrich Böhm aus Groß-Bieberau 60-jährig in einem Krankenhaus in Darmstadt an den Folgen einer Magenoperation gestorben.
Über ihn und seine (immer noch existierende) Firma wollte ich ja schon längst eine 9-teilige Serie verfasst haben; aber – ich bin nicht über den einleitenden Beitrag hinausgekommen…
2016, als die Idee zu der Beitragsserie entstand, habe ich mich für „alte“ Kartoffelsorten interessiert und nach solchen Sorten, ihrer Herkunft und Entstehungsgeschichte geforscht. Dabei war ich auf den früher sehr bekannten Kartoffelzüchter Böhm gestoßen, über den es jedoch nicht einmal einen Eintrag in der Wikipedia gab, was mich damals sehr verwunderte und mich beschließen ließ, diesen Eintrag selbst zu verfassen.
Zu diesem Zweck habe ich daraufhin so viele Informationen über Georg Friedrich Böhm, seine Firma und die damalige Kartoffelzüchtung gesammelt wie nur möglich.
Mein Interesse hat sich allerdings im Laufe der Zeit gehörig verschoben: Ich will keine „alten“ Sorten mehr sammeln und erhalten („Sorten erhalten war gestern“), sondern dafür werben, die Individuen-Vielfalt unserer Kulturpflanzen wieder maximal zu vermehren und sie unter Live-Bedingungen zu nutzen, weil ich glaube, dass nur in einer maximalen genetischen Vielfalt zufällig Merkmale/Gene auftauchen können, die letztlich für die moderne Pflanzenproduktion und damit für Alle von Nutzen sind („Hobby-Gärtner:innen rettet die Menschheit“).
Die Nutzpflanzen-Gene, die im Laufe der 10.000-jährigen Geschichte des Pflanzenbaus entstanden sind, wurden in den letzten 150 Jahren von der Pflanzenzüchtung nahezu vollständig für die Ertragsmaximierung genutzt; da gibts nicht mehr viel zu holen, nicht einmal mehr bei verwandten Arten („Wettlauf zwischen Hase und Igel“).
„Alte“ Sorten und ihre Züchter interessieren mich also kaum noch.
Im Namen des Fortschritts
Warum schreibe ich dann jetzt trotzdem noch einen ausführlichen Bericht über den Kartoffelzüchter Böhm, der heute auch sonst fast niemanden mehr interessiert; nicht einmal seine Nachfahren gedenken seines 100. Todestages in besonderer Weise (laut persönlicher Mitteilung) und der mittlerweile auch einen eigenen Eintrag in der Wikipedia bekommen hat?
Nun, ich nehme seinen Todestag zum Anlass, einen weiteren, grundsätzlichen Artikel über die Entwicklung der „Landwirtschaft“ vom einfachen Hackbau zu heutigen Verhältnissen zu schreiben.
Während ich mit diesem Beitrag gerungen und dabei Pflanzenbau und Tierhaltung der Vergangenheit erkundet habe, ist mir noch deutlicher geworden, dass die Existenz der Menschheit auf nur drei simplen Grundsätzen beruht:
- Damit ein Mensch (über)leben kann, muss er täglich rund 2000 Kalorien (nur um das wichtigste zu nennen) zur Verfügung haben (Lebenssicherung).
- Wenn (regelmäßig) mehr Kalorien zur Verfügung stehen, können mehr Menschen leben (Bevölkerungswachstum).
- Je weniger Menschen die notwendigen Kalorien (für alle) zur Verfügung stellen, desto mehr Menschen können andere Dinge tun (Kulturentwicklung).
„Kalorien“ stehen seit ca. 10.000 Jahren vor allem durch „Landwirtschaft“ zur Verfügung; auf Landwirtschaft beruht die Existenz des Menschen an sich und auf ihren Verbesserungen das Wachstum der menschlichen Bevölkerung sowie die Entwicklung der menschlichen Kultur (was immer man unter „Kultur“ verstehen mag; von „Herrschaft“, „Religion“ und „Rechtsprechung“ über „Kunst“ und „Militär“ bis zu „wissenschaftlicher Forschung“, „Freizeitgestaltung“ und „Luxusleben“ ist alles dabei).
Die Art und Weise, wie Landwirtschaft betrieben wird, prägt sowohl die Landschaft als auch die Struktur der menschlichen Gesellschaft; verändern sich Art und Weise der Landwirtschaft, dann verändert sich sowohl die Landschaft als auch die menschliche Gesellschaft; dies zeigen die zahlreichen, unterscheidbaren Epochen der menschlichen Geschichte.
Im Beitrag „Ist Gärtnern weiblich?“ habe ich den ersten, grundlegenden Fort-Schritt der Menschheit, die Erfindung des Pflanzenbaus, und seine Folgen vorgestellt; im heutigen Beitrag erzähle ich, wie die Geschichte weiterging…
Die Lebenszeit von Georg Friedrich Böhm, 1861 bis 1922, umfasst nahezu exakt die (letzte) Hauptumbruchzeit in der Landwirtschaft, und sein Lebensmittelpunkt, Groß-Bieberau, im damaligen Großherzogtum Hessen (Darmstadt), liegt nahezu exakt im Mittelpunkt des heute deutschsprachigen Raums. Das macht ihn und seine Heimat zu einem perfekten Beispiel für meine Darstellung der Veränderungen, die in der „Kalorien-Erzeugung“ in den letzten Jahrtausenden stattgefunden haben; dabei werde ich die früheren Veränderungen nur kurz streifen, die letzten etwas ausführlicher behandeln.
Frühere Formen der Landwirtschaft
Die folgenden Angaben entnehme ich vor allem der Broschüre „Das Korn der frühen Jahre – Sieben Jahrtausende Ackerbau und Kulturlandschaft“, dem Begleitheft zu einer Ausstellung des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg und dem Hohenloher Freilandmuseum Wackershofen.
Pflanzenbau (mit Hacke und Grabstock) und Tierhaltung finden in „Deutschland“ seit ungefähr 7500 (Süddeutschland) bis 6000 Jahren (Norddeutschland) statt, seit dem Altneolithikum. „Der Ackerbau fand auf den sehr fruchtbaren Böden [siehe nachfolgender Kasten] wahrscheinlich permanent unter intensiver Bodenbearbeitung statt und zeitigte anfangs recht hohe Erträge, ohne dass Düngung erforderlich war.“ (S. 25)
Lößboden
(S. 25/26)
In Gegenden mit solchen Böden, man nennt sie auch die „Alt-Siedelgebiete“, konnten Menschengruppen durch den Anbau von „…hauptsächlich Einkorn und Emmer […] Erbsen, Linsen und Linsenwicke, Lein und Schlafmohn“ leben; auch „Gerste und Weizen (Saat- oder Hartweizen) waren bereits bekannt, wurden aber noch wenig angebaut.“ (S. 24)
Neben dem Pflanzenbau ernährten sich die Menschen zu jener Zeit auch von Rind, Schwein, Schaf und Ziege (sowie von Jagd und Fischfang).
Die mehrere hundert Jahre andauernde Bewirtschaftung hatte jedoch eine Verschlechterung der Anbaubedingungen […] zur Folge. Hierauf deuten die starke Verunkrautung der Äcker sowie der vermehrte Anbau der anspruchsloseren Gerste im Mittelneolithikum (erste Hälfte des 5. Jahrtausends v. Chr.) hin. Die Probleme […] konnten erst an der Schwelle zum Jungneolithikum, in der ersten Hälfte des fünften Jahrtausends durch agrartechnische Innovationen gelöst werden.“ (S. 25)
Wie sahen die „agrartechnischen Innovationen“ aus, die damals zu einem neuen, deutlich erkennbaren Kulturabschnitt, dem Jungneolithikum, führten?
Die fruchtbaren Lößböden wurden zwar weiterhin genutzt, aber nur nach einer mehrjährigen Brache, in der sich wieder genügend Nährstoffe bilden bzw. angereichert werden konnten. Neben dieser Innovation bestand die wirkliche jedoch im Wald-Feldbau, auch Brandrodungs- oder Wander-Feldbau („Shifting-cultivation“) genannt, ein Anbauverfahren, das noch heute in manchen Teilen der Welt betrieben wird, wie der nachfolgende Filmausschnitt zeigt. Mit diesem Verfahren konnten auch mittlere und sogar nährstoffarme (Wald)Böden erfolgreich mit Getreide bebaut werden.
Menschen hatten technische Gegenstände und Verfahren gefunden, die es ermöglichten, Waldflächen zu roden und zu verbrennen, wodurch der Boden frei von (Un)Kräutern und mit Nährstoffen (Asche) angereichert wurde. Auf diesen so gedüngten Flächen wurde nun bevorzugt Hart- und Weichweizen (Triticum durum, T. aestivum), tetraploide Nacktweizen, angebaut, die weitaus mehr Kalorien zur Verfügung stellten als die anderen Getreidearten (Einkorn und Emmer), die ebenfalls noch angebaut wurden.
Nachdem die gerodeten Flächen ein oder zwei Jahre für den Anbau genutzt wurden, blieben sie wieder mehrere Jahre brach liegen. Während dieser Zeit entwickelten sich, wie auf heutigen Kahlschlägen, jede Menge Beerensträucher, Stockausschläge der abgeschlagenen Bäume und raschwüchsige Pionier-Baumarten, wie Hasel, Weide und Birke. War so viel Holz nachgewachsen, dass ein erneutes Abbrennen der Fläche möglich war, begann der Kreislauf von Abschlagen, Verbrennen und Anbau erneut.
All dies fand noch in reiner Handarbeit, im Hackbau, statt. Mit Hilfe von experimental-archäologischen Versuchen, in denen diese jungsteinzeitliche Landnutzung nachgestellt wurde, konnte nachgewiesen werden, dass auf den Flächen, die auf diese Weise bearbeitet werden konnten, genügend Kalorien (200 Kilogramm Getreide pro Person und Jahr) heranwuchsen; denn dies ist ein entscheidender Punkt, der auch später noch eine Rolle spielen wird: Der Ertrag wird durch die Fläche begrenzt, die ein Mensch mit den zur Verfügung stehenden Mitteln mit Pflanzen, die hoch konzentrierte Energie liefern (dies sind vor allem Getreidepflanzen, aber auch stärkereiche Knollen), bestellen kann.
Der nächste Innovationsschritt war dann die Erfindung und der Einsatz von Pflügen, Zugtieren und Sklaven; mit ihrer Hilfe konnten weitaus größere Flächen intensiver mit den entsprechenden Pflanzen bestellt und damit größere Mengen an Kalorien erzeugt werden. Die Bevölkerung wuchs, die Kultur entwickelte sich („Bronze- und Eisenzeit“, „Antike“ und „Römerreich“ sind die passenden Stichworte).
Neben fortlaufenden, kleineren technischen Verbesserungen war der nächste große agrartechnische Fortschritt der Einsatz von Pferden beim Pflügen sowie die Einführung der „Drei-Felder-Wirtschaft“ zwischen den Jahren 800 und 1000 unserer christlichen Zeitrechnung (Werner Rösener: Bauern im Mittelalter, 1986; Kapitel „Arbeitsgerät, Bodennutzung und agrar-wirtschaftlicher Fortschritt“, S. 118-133).
Das Drei-Felder-System löste einerseits die antike „Intensiv-Landwirtschaft mit Sklaven“ und andererseits die, oft noch gemeinschaftlich betriebene Zwei-Felder-Wirtschaft ab, bei der nur ein kleiner Teil der Ackerfläche jedes Jahr mit Getreide bestellt worden war, wohingegen der größere Rest mehrere Jahre brach lag und nur als Viehweide noch zur menschlichen Ernährung beitrug.
Der strikt wechselnde Anbau auf drei Feldern steigerte die Erträge wiederum beträchtlich und hatte ein beeindruckendes Bevölkerungswachstum bis ca. 1500 zur Folge.
Drei-Felder-Wirtschaft
„Drei-Felder-Wirtschaft“ bedeutet, dass die gesamte, ackerbaulich genutzte Fläche eines Dorfes in drei, ungefähr gleich große Stücke (Zelgen oder Fluren genannt) unterteilt ist, die unterschiedlich bewirtschaftet werden:
- Ein Teil wird im Herbst gepflügt und mit Wintergetreide bestellt.
- Auf dem 2. Teil wächst Sommergetreide, das im Frühjahr gesät wird.
- Der 3. Teil liegt brach; auf ihm weidet das Vieh der Berechtigten.
Im nächsten Jahr wechselt die Bewirtschaftung:
- Auf den Teil, der das Wintergetreide getragen hat, wird im kommenden Frühjahr Sommergetreide gesät.
- Der Teil, der mit Sommergetreide bestellt war, wird zur Brache, zur Viehweide.
- Die letztjährige Brache wird gedüngt, gepflügt und mit Wintergetreide besät.
Um den unmittelbaren Wohnbereich herum, bei „Haufendörfern“ der Ortskern, lag in der Regel ein mehr oder weniger großer, vor dem Vieh (durch Zäune oder Hirten) geschützer Bereich, in dem jede Familie einen eigenen Anteil als „Garten“ (für Sonderkulturen) nutzen konnte (auf den nachfolgenden „Mittelalterbildern“ sind die Schutz bietenden Flechtzäune auf jedem Bild gut zu erkennen).
Die Aufteilung der Ackerflächen
Ich will hier noch (möglichst) kurz auf die Verteilung/Aufteilung der Ackerflächen auf einzelne Bewirtschafter eingehen, da sie damals den gravierendsten Einfluss auf Fortschritte in der Landwirtschaft ausübte (und auch heute noch ausübt).
Zur Zeit der Drei-Felder-Wirtschaft konnte eine Familie je nach Bodengüte ungefähr eine Fläche von 30 Morgen (7,5 Hektar oder 75.000 Quadratmeter) bewirtschaften; das ist die Fläche, die mit einem Zugtiergespann (Kühe, Ochsen und Pferde) in einer Vegetationsperiode mit dem Pflug bestenfalls bearbeitet werden konnte. Diese Fläche wurde als „Hufe (oder Hube)“ bezeichnet und war eine weit verbreitete Maßeinheit für „Landwirtschaftsbetriebe“ (Höfe), die allerdings noch unterschiedliche Anteile an Wiesen- und Weideflächen zusätzlich haben konnten (nur Menschen, die andere Menschen für sich arbeiten lassen konnten, besaßen größere Flächen, „Güter“ genannt).
Eine Hufe konnte nun in einem zusammenhängeden Stück bei den Hofgebäuden oder stückweise in der Feldflur verteilt liegen; letzteres war in Süd- und Mitteldeutschland der Regelfall.
In früheren Zeiten, als Ackerfläche noch wertvoll, im Sinne von lebensnotwendig, war, wurde nicht jedes Teilstück mit einem Weg erschlossen, so dass die meisten Bauern über die Felder von anderen fahren mussten, um ihre eigenen Stücke zu erreichen. Aus diesem Grunde war eine individuelle Bewirtschaftung der Flächen nicht möglich. Sie war allerdings auch nicht nötig, da alle Ackerflächen einer Zelge (Flur) im Rahmen der Drei-Felder-Wirtschaft ohnehin in gleichem Rhythmus mit den gleichen Feldfrüchten bestellt wurden (siehe obigen Info-Kasten zur Drei-Felder-Wirtschaft).
In jedem Dorf wurde von einem „Rat“ festgelegt, in welchem Zeitraum eine Zelge bestellt und beerntet werden durfte/musste; dies war der so genannte „Flurzwang“.
Da jeder Bauer in jedem Jahr genügend Sommer- und Wintergetreide zur Verfügung haben musste, waren die einzelnen Ackerflächen eines jeden Bauern gleichmäßig über die drei Zelgen verteilt.
Wo sich die Ackerflächen eines Dorfes stark in Bodengüte und anderen Kriterien unterschieden, waren die einzelnen Zelgen noch weiter unterteilt. Diese Unterabteilungen wurden im süddeutschen Raum zumeist „Gewanne“ genannt (in anderen Teilen Deutschlands gab es für diese Unterabteilungen andere Bezeichnungen); die Gewanne konnten in die Hunderte gehen.
Aus Gerechtigkeitsgründen erhielt jeder Bauer in jeder Gewanne einen Anteil (eine Parzelle), der seinem Gesamtbesitz entsprach (zumeist eine Hufe; es gab aber auch Höfe von halben und viertel Hufen). Je mehr Gewanne es also gab, desto zersplitterter war die Ackerfläche eines einzelnen Betriebes.
Diese Aufteilung der Parzellen wird als „Gemengelage“ bezeichnet: Die zahlreichen Äcker eines jeden Bauern lagen bunt durcheinander mit den Parzellen der Kollegen.
In Groß-Bieberau, dem Wohnort von Georg Friedrich Böhm II, sah das 1826 so aus: „Das von Bauern bewirtschaftete Ackerland besteht aus 2260 Parzellen mit 983 Morgen 3 Viertel 3 Ruthen = 334 ha. Die Durchnittsgröße der Ackerparzelle beträgt 14,8 Ar“ (=1480 Quadratmeter; aus: Walter Sperling: Der nördliche vordere Odenwald – Die Entwicklung seiner Agrarlandschaft unter dem Einfluß ökonomisch-sozialer Gegebenheiten; Frankfurt, 1962, S. 68).
Die Größe der einzelen Gewanne richtete sich nicht nur nach der Bodenqualität sondern auch danach, in wie viele Parzellen sie aufgeteilt werden musste; denn jede Parzelle sollte in der Regel eine Größe haben, die mit einem Gespann an einem bzw. einem halben Arbeitstag gepflügt werden konnte (das Pflügen war die anstrengendste und zeitraubendste Arbeit). Es machte wenig Sinn, die Parzellen größer oder kleiner zu dimensionieren: Waren sie zu klein, war die Anfahrtszeit im Verhältnis zur Arbeitszeit zu groß. Größer mussten sie auch nicht sein, da es unwichtig war, ob ein Bauer mehrere Tage hintereinander zum selben Feld zuckelte oder jeweils zu einem anderen.
Auch die Form der einzelnen Parzellen war nicht willkürlich, sondern wurde durch zwei Faktoren bestimmt (nach Henneberg und Dedekind, 1855, S. 147):
- mussten Zugvieh und Gespannführer die Strecke beim Pflügen möglichst ohne Pause bewältigen können und
- sollte der Pflug möglichst selten gewendet werden müssen, um damit möglichst wenig Zeit zu verlieren.
Die Parzellen waren deshalb in der Regel rechteckig, ungefähr 20 mal so lang wie breit, und zumeist zwischen 12 und 20 Ar (= 1200 bis 2000 Quadratmeter) groß (je schwerer der Boden desto kleiner und kürzer die Parzelle).
Da sich die Gebiete mit reich strukturierter Feldflur mit den Gebieten deckten, in denen das Erbe gleichmäßig unter die Kinder aufgeteilt wurde (Real-Teilung im Gegensatz zur Anerbenregelung, bei der das gesamte Erbe nur einem Kind zugesprochen wurde), herrscht oft der Glaube vor, die starke Zersplitterung der Felder sei (allein) auf die Erbteilung zurückzuführen. Dies ist jedoch nicht der Fall; denn in Real-Teilungsgebieten wurde zumeist nicht jede einzelne Ackerfläche geteilt, sondern die Flächen in den verschiedenen Gewannen und Fluren wurden möglichst gerecht aufgeteilt. Da viele Kinder frühzeitig starben und auch jede Frau einen Anteil erhielt, den sie in eine Ehe einbrachte, wurden auch in den Real-Erbteilungsgebieten nicht alle Bauern in wenigen Generationen zu „Kleinbauern“, die keine volle Hufe mehr bewirtschafteten.
Ich schreibe das hier so ausführlich, weil zu häufig geglaubt wird, dass die Ackerflächen ohne Sinn und Verstand willkürlich aufgeteilt wurden. So wie auch heute die Größeneinteilung von Ackerflächen einer gewissen rationalen Logik folgt, so war dies auch früher der Fall. Es gibt immer nachvollziehbare Gründe für bestimmte Ordnungen und Verhältnisse; es ist nur nicht immer leicht, sie zu entdecken…
Außerdem habe ich (hoffentlich) mit diesem Abschnitt die Grundlagen dafür gelegt, dass Ihr den Hauptteil der Veränderungen verstehen könnt, den die technisch-naturwissenschaftlichen Neuerungen zu Lebzeiten des Georg Friedrich Böhm „verlangten“ und die ich nachfolgend vorstelle.
Das „Zeitalter der Aufklärung“ und die agrartechnischen Neuerungen
Nachdem die Erde im 16. und 17. Jahrhundert bewiesenermaßen umrundet (Magellan, Drake) und auch endgültig aus dem Mittelpunkt des Universums verdrängt worden war (Kepler, Galilei), erodierte das bis dahin ziemlich starre, von „Gott“ gegebene, überlieferte Weltbild doch beträchtlicher, als es das bis dahin schon getan hatte: Das 18. Jahrhundert (1700 bis 1800) wurde zum „Zeitalter der Aufklärung“.
In dieser Zeit wurden mehr und mehr Erkenntnisse auf allen Gebieten gewonnen, indem immer mehr „Tatsachen“ in Frage gestellt und anhand von Erfahrungen und durch Versuche überprüft wurden. Das Zeitalter der Aufklärung brachte auch neue Erkenntnisse, die es möglich machten, mehr Nahrungsmittel zu erzeugen. So wurde z. B. entdeckt, dass Schmetterlingsblütler (Klee, Erbsen, Wicken, Bohnen) sowie Humusstoffe (in Form von Mist oder Kompost) den Boden ertragreicher machten (auch wenn die dahinter stehenden Zusammenhänge damals noch nicht erklärt werden konnten).
Als praktische Konsequenz aus diesen Erkenntnissen propagierten „fortschrittliche Köpfe“, wie z. B. Johann Christian Schubart, im Brachfeld Klee anzubauen (1786) und das Vieh ganzjährig in Ställen zu füttern. Um zu diesem Zweck auch mehr Heu zu gewinnen, sollten die Wiesen- und Weiden entwässert und besser gepflegt werden.
Aber erst im 19. Jahrhundert kam der „Fortschritt“ dann richtig in Gang.
Der bekannteste, deutsche Propagandist von Verbesserungen in der Landwirtschaft um diese Zeit, Albrecht Daniel Thaer, verbreitete ab 1801 die „…Kenntniß der englischen Landwirthschaft und ihrer neueren practischen und theoretischen Fortschritte…“ sowie die „Beschreibung der nutzbarsten neuen Ackergeräthe“; in England und Irland konnten sich die technischen Neuerungen schneller durchsetzen (warum, darüber streitet die Wissenschaft bis heute).
Thaers Zeitgenosse Johann Nepomuk Schwerz machte 1807 interessierten Kreisen die „Anleitung zur Kenntniss der Belgischen Landwirthschaft“ in drei Bänden zugänglich; auch dort und in den Niederlanden wurden die neuen Landwirtschaftsmethoden schneller angewendet.
Die beiden genannten „Agrarwissenschaftler“ gründeten auch Schulen (Möglin und Berlin und Hohenheim bei Stuttgart), um ihre Erkenntnisse zu vermitteln; diese Einrichtungen wurden später zu staatlichen, landwirtschaftlichen Hochschulen ausgebaut.
Als weiterer „Meilenstein“ auf dem Weg zu Ertragssteigerungen wären dann vor allem Thaers Veröffentlichungen über „Rationelle Landwirtschaft“ (1809 und 1810) zu nennen, in denen auch die Vorteile des Fruchtwechsels zwischen Hackfrüchten (Rüben, Kartoffeln) und Getreide sowie die einer tieferen Bodenbearbeitung bekannt gemacht wurden.
Die wichtigste und entscheidende Neuerung, die Thaer vermittelte, war, den landwirtschaftlichen (Groß)Betrieb als Gewerbebetrieb zu sehen und alle Maßnahmen unter einer betriebswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung möglichst exakt zu erfassen und zu bewerten; diese Herangehensweise wurde dann auf großen Gutsbetrieben zuerst umgesetzt.
Den nächsten Quantensprung in der landwirtschaftlichen Produktivität bewirkte Justus Liebig (später „von“) 1840 mit seiner Schrift „Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie“. Er konnte nachweisen, dass bestimmte mineralische Stoffe die Ursache eines erhöhten Pflanzenwachstums waren; wenn man diese zuführte, ließen sich die Erträge deutlich steigern.
Obwohl auch Gregor Mendel in diesem Zusammenhang genannt werden muss – hatte er doch seine „Versuche über Pflanzen-Hybriden“ schon 1866 veröffentlicht – wirkten sich seine (theoretischen) Erkenntnisse über die Gesetzmäßigkeiten bei der Vererbung erst ab 1900 ertragssteigernd auf die Praxis der Landwirtschaft aus, nachdem seine Regeln in jenem Jahr „wiederentdeckt“ worden waren und eine gezielte Pflanzenzüchtung möglich machten (doch das gehört in den kommenden Beitrag, in dem wirklich Georg Friedrich Böhm und die Kartoffelzüchtung eine Hauptrolle spielen).
Auch die laufend verbesserten „landwirthschaftlichen Maschinen und Geräthschaften“ gehören zu den Entwicklungen, die einerseits erhöhte Erträge möglich machten und andererseits die Fläche vergrößerten, die von einem Menschen bearbeitet werden konnte.
Die Veränderungen der landwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse
Nach diesem Schlaglicht auf die technisch-naturwissenschaftlichen Fortschritte will ich ein wenig Licht in das Gesellschaftssystem der damaligen Zeit bringen.
Da ich ja immer alles möglichst grundsätzlich verstehen (und erklären) will, möchte ich auch diesem Abschnitt eine grundsätzliche Aussage voranstellen:
Sozial lebende Säugetiere (zu denen der Mensch zweifelsohne gehört), besitzen Verhaltensweisen, die es ihnen ermöglichen, in Gruppen friedlich(er) zusammenzuleben; hierunter fallen alle Verhaltensweisen, die mit „Rangordnung (Hierarchie)“ zu tun haben.
Die Rangordnung bestimmt den Zugriff eines jeden Gruppenmitglieds auf die Ressourcen, die der Gruppe zur Verfügung stehen, seien es natürlich vorhandene oder gemeinsam erzeugte. Eine Rangordnung kann gewaltsam (durch Drohungen oder das „Schwert“) hergestellt werden oder auf freiwilliger Unterordnung (durch „Bewunderung“) beruhen; erstere ist absolut und nur durch Gewalt veränderbar, während die zweite situationsbedingt ist und wechseln kann.
Kennzeichen der menschlichen Rangordnung ist, dass sie im Laufe der Geschichte in „Recht“ überführt wird, z. B. indem sie erblich wird. Die überlegene Position wird vom überlegenen Teil der Gruppe als gerechtfertigt, als berechtigt dargestellt und – vom unterlegenen Teil – so akzeptiert (die heutige Einkommensverteilung ist für mich ein Ausdruck dafür).
Wort und Schrift sind in menschlichen Gesellschaften schon immer wichtige Hilfsmittel in Konflikten um die Rangordung gewesen (und werden in Zukunft hoffentlich die einzigen sein). So haben schon die Verfasser des ersten „Rechtshandbuchs“, der Bibel, ihre produzierenden Mitmenschen dazu „verdonnert“, die „Gemeindeverwaltung“ (Herrscher, Priester, Soldaten und Verwaltung) zu unterhalten, indem sie eine zehnprozentige Abgabe für rechtens (von „Höchster Stelle“ geboten) erklärt haben.
Das war jetzt ein wenig weit ausgeholt, nur um zu den rechtlichen Zuständen („Agrarverfassung“) der Ständischen Ordnung (Feudal-System) zu kommen, die zur Zeit der Aufklärung den Zugriff auf die natürlichen und gesellschaftlich erzeugten Ressourcen regelte und den bevorrechtigen Ständen den Unterhalt sicherte.
Ich nenne nur ein paar Begriffe, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielten: „Leibeigenschaft/Hörigkeit“, Abgabe des „Zehnten“, verschiedene Beden (Abgaben für dies und das) sowie Frondienste und das Bestimmungsrecht (Genehmigung und Abgaben) über Handwerk (Zünfte) und Gewerbe (Bannrechte); wer Genaueres wissen möchte, kann den angegebenen Verlinkungen folgen.
Obwohl auch die „Herrschenden“ ein Interesse an einer Produktion von Überschüssen hatten und den Fortschritt der Agrarproduktion förderten, wollten sie selbstverständlich nicht die Herrschaft abgeben; aber das Gewerbe (besonders in seiner industriellen Variante), das von den neuen, naturwissenschaftlich-technischen Entwicklungen, vor allem der Antriebskräfte, am meisten profitierte, wurde durch das feudale System extrem stark behindert; denn es unterlag nicht nur der Genehmigung durch die absolutistisch regierenden Monarchen, die mit den Bannrechten die freie Konkurrenz beschränken sowie die von ihnen gepäppelten Manufaktur-Betriebe schützen wollten, sondern auch die Leibeigenschaft verhinderte die freie Wohnortwahl der „Arbeitskräfte“.
So war es nur eine Frage der Zeit, bis die „Kräfte des Fortschritts“ so viel Einfluss entfalten konnten, um den Großteil der rechtlichen Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Gewerbes und der Verfügungsgewalt über Grund- und Boden, auf denen die Ständische Ordnung beruhte, abzuschaffen und neu zu regeln; in der Französischen Revolution von 1789 bis 1799 wurde ein wenig stürmisch gleich die gesamte Ständische Ordnung abgeschafft.
In den deutschen Ländern zogen sich diese Veränderungen dagegen bis 1918 hin, bis diese Ordnung endlich in Strömen von Blut (nein, es war nicht blau!) offiziell ihr Ende fand. Bis dahin wurde den Bauern vom Adel großmütig gestattet, seine „wohlerworbenen Rechte“ auf Abgaben (Über die Rechte der Herrschaften auf ihre Unterthanen und deren Besitzungen) in (mindestens) 18 Jahresraten „abzulösen“ (zu entschädigen); auch 1910 werden diese Ansprüche in Beiträge zur Geschichte der Bauernbefreiung und der Entlastung des ländlichen Grundbesitzes im Großherzogtum Hessen noch „wohlerworben“ genannt (S. 13).
Ja, manchmal kann eine Revolution dem Recht schon auf die Sprünge helfen…
Das Ende der Drei-Felder-Wirtschaft
Nicht mit einem Federstrich bzw. einem Dekret konnte die Drei-Felder-Wirtschaft abgeschafft werden.
Dieses bewährte Wirtschaftssystem verhinderte, dass die technischen Neuerungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse überall zügig umgesetzt werden konnten.
Einige „aufgeklärte“ absolutistische Monarchen hatten schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts die wissenschaftlich-technischen Fortschritte zur Erhöhung ihrer Steuereinnahmen nutzen wollen und Modernisierungsversuche in Auftrag gegeben: Im Großherzogtum Hessen-Darmstadt wollte Landgraf Ludwig IX. die Landcommission unter Carl Friedrich von Moser (1777-1780) für Veränderungen sorgen lassen.
Die „Einführung des physiokratischen Staatswirthschaftssystems in dem Baden-Durlachischen Orte Dietlingen“ im Jahr 1770 durch den Nationalökonomen Johann August Schlettwein sollten dem dort herrschenden Markgrafen Karl-Friedrich Vorteile bringen.
Auch die von Preußen-Propagandisten gern genannten „Kartoffel-Befehle“ Friedrichs des Zweiten von 1756/57 ließen sich in diesem Zusammenhang anführen.
Solche „Kopfgeburten“ blieben jedoch ohne durchgreifende Wirkung und wurden deshalb nach kurzer Zeit wieder eingestellt.
Landwirtschaftliche Vereine als Werkzeuge des Fortschritts
Zur Förderung der „Landwirthschaftspflege“ wurden zu Anfang des 19. Jahrhunderts in fast allen deutschen Ländern von Gutsbesitzern sowie weiteren Kreisen, die an der Erhöhung der landwirtschaftlichen Erzeugung ein Interesse hatten, und von den jeweiligen Monarchen angeregt und finanziell unterstützt, landwirtschaftliche Vereine gegründet, der „Landwirthschaftliche Verein des Großherzogthums Hessen“ 1831 mit dem erklärten Ziel der Beförderung und Vervollkommnung der landwirthschaftlichen Cultur im Großherzogthum in jeder Hinsicht…“
Statuten der landwirthschaftlichen Vereine des Großherzogthums Hessen
§. 3.
Der Zweck der Vereine ist Beförderung und Vervollkommnung der landwirthschaftlichen Cultur im Großherzogthum in jeder Hinsicht; nämlich Verbesserung
- des Ackerbaus, durch bessere Behandlung und Benutzung der Dungmittel, durch den Bau noch nicht genug bekannter und verbreiteter Gewächse, durch zweckmäßigere und Kosten ersparende Cultur der schon längst angebauten Gewächse, durch Verbreitung anerkannt besserer Werkzeuge u.s.w.;
- des Wiesenbaus, durch zweckmäßigere Ent- und Bewässerungs-Anlagen, durch künstlichen und möglichst wohlfeilen Anbau der vorzüglichsten Grasarten, durch angemessene Dungmittel u.s.w.;
- des Weinbaus, wo solcher mit besserem Erfolg betrieben werden kann;
- der Obstcultur, durch Verbreitung der besseren Obstsorten, durch bessere Auswahl und Behandlung der jungen Bäume u.s.w.;
- des mit dem Betriebe der Landwirthschaft in Verbindung stehenden Gartenbaus;
- der Holzzucht, soweit sie ebenfalls mit der Landwirthschaft in Verbindung steht;
- der Viehzucht; durch bessere Auswahl, Züchtung und Benutzung, sowie durch bessere Pflege und zweckmäßige, zugleich aber wohlfeile Ernährung des Viehstandes;
- der mit dem landwirthschaftlichen Betriebe verbundenen technischen Gewerbe, als Bierbrauerei, Brandweinbrennerei u.s.w.
§. 4.
Im Zweck der Vereine liegt zugleich, daß sie ihre Thätigkeit stets unmittelbar dem Interesse des landwirthschaftlichen Gewerbes auf möglichst practische Weise zuwenden, daß sie von allen problematischen Erörterungen fern bleiben, dagegen jedes zu Gebot stehende Mittel zur Beförderung jener Interessen benutzen.
Solche Mittel sind vorzüglich:
- genaue Kenntnisnahme von dem Zustande der Landwirthschaft in den einzelnen Theilen der Vereinsbezirke und daraus abgeleitete Vorschläge zu reellen Verbesserungen. Hierzu dienen insbesondere landwirthschaftliche Beschreibungen einzelner Ortschaften, wozu möglichst aufzumuntern ist.
- Mittheilungen von in irgend einer Beziehung wichtigen Beobachtungen und Erfahrungen, in den zu haltenden Versammlungen (Abschn. IV), oder in der landwirthschaftlichen Zeitschrift (Abschn. X).
- Verbreitung des Guten und Bessern durch Beispiel und Belehrung von Seiten der Mitglieder (§. 12.)
- Aussetzung von Preisen, oder Bestimmung von Unterstützungsbeiträgen zu wichtigen Verbesserungen.
- Vorschläge zur Wegräumung von Hindernissen, welche der bessern Cultur im Wege stehen, sowie zu Maßregeln, welche für die Förderung der Landwirthschaft wünschenswerth sind, – insoweit solche außerhalb des Wirkungskreises des Vereins liegen, – zur Kenntnis der Staatsregierung zu bringen.
- Der Staatsregierung, auf von derselben ergangene Aufforderung, Gutachten in Cultur-Angelegenheiten abzugeben.
Diese Vereine sollten dem Interesse des „landwirthschaftlichen Gewerbes“ dienen; Landwirtschaft als Gewerbe, das in freier Konkurrenz für den Markt produziert…
Auf einem freien Markt(platz) herrscht das Gesetz, dass von Produkten vergleichbarer Qualität diejenigen am meisten nachgefragt werden, die zum günstigsten Preis (für die geringste Gegenleistung also) angeboten werden, ein Naturgesetz, dem alle Lebewesen folgen.
Das führt dazu, dass Anbieter mit höheren Produktionskosten vom Markt verschwinden.
Diese Gesetzmäßigkeit wäre uneingeschränkt zu begrüßen, da sie zur Optimierung der Produktion beiträgt und eine effektive Ressourcennutzung fördert; aber…
…dann dürfte es keine „Gratis-Ressourcen“ geben (worunter Boden, Bodenschätze, Luft und Wasser zu verstehen sind); denn wer diese (mehr) nutzt, kann billiger produzieren.
…was in der „Natur“ sinnvoll ist, kann Gift für einen sozialen Organismus sein; denn diejenigen, die vom Markt verschwinden, verschwinden damit nicht automatisch aus dem Leben, sondern bleiben als „Fremdkörper“ Teil der „Markt-Gemeinde“….
Stopp, ich will nicht schon wieder zu den Problemen der Marktwirtschaft abschweifen (das Thema habe ich schon ausführlich in „Die Weihnachtstomate“ behandelt); aber ich möchte sie an dieser Stelle doch ausdrücklich betonen, da sich die Landwirtschaft (bis heute) unter den „Gesetzen des Marktes“ entwickelt – und alle Folgen, wie das „Höfesterben“, darauf zurückzuführen sind.
Die nachfolgenden fünf Ausschnitte aus alten Filmen (sowie einem neueren) zeigen die Facetten dieser Modernisierung sehr anschaulich, wie ich finde…
Nach diesem Blick auf die Probleme der Modernisierung unter dem Motto „Es geht voran, nur frage niemand, wohin“, springe ich wieder zurück zu den ersten praktischen Fortschritten der Landwirtschaft auf dem Weg in die Marktwirtschaft im Großherzogtum Hessen des 19. Jahrhunderts.
Nach 25 Jahren, 1856, bemühte sich der Sekretär des großherzoglich-hessischen Vereins, Dr. Christian F. Zeller, auf 250 Seiten „…zu resümieren, was in der angegebenen Periode für die Landwirthschaftspflege im Großherzogthum unter Mitwirkung der Vereine geschehen ist.“ (Wer nicht das ganze Werk lesen will, der kann sich mit den 15 Seiten begnügen, die ein Rezensent, der Agrar-Historiker Georg Hanssen zusammengestellt hat.)
Obwohl nichts unversucht gelassen wurde, die große Masse der Bauern auf diese Weise vom Vorteil des Neuen zu überzeugen, war der Erfolg doch eher mau; denn zwei entscheidende Hindernisse blieben für die kleinen und mittleren Bauern, bevor sie selbstständig wirtschaften und mit Hilfe moderner Methoden nach (maximalem) Geldeinkommen streben konnten: die Gemengelage (siehe oben) sowie die Allmende, das gemeinschaftlich genutzte (Weide)Land“.
Die Gemengelage war für die Bauern so lange ohne Bedeutung, so lange sie mit Ochsen- und Pferdegespannen ackerten; denn es machte keinen Unterschied, ob ein Bauer jeden Tag auf den gleichen Acker zog oder auf einen anderen: Er konnte immer nur eine bestimmte Fläche an einem Tag pflügen. Außerdem hatten die meisten Bauern in erster Linie ihre „Selbstversorgung“ im Auge und nicht das „Nationaleinkommen“, das Einkommen der Gesamtgruppe; deshalb hielt die überwältigende Masse der Bauern sowohl an der Gemengelage als auch an der Allmende fest und wirtschaftete so weiter wie eh und je, im „alten Schlendrian“, wie die Nationalökonomen es damals abwertend nannten.
Doch wie heißt es so schön: „Bist Du nicht willig, dann kann ich auch anders“…
Um die Aufteilung des gemeinschaftlich bewirtschafteten Landes zu beschleunigen, war im Großherzogtum Hessen schon 1814 eine Verordnung zur Beförderung der Gemeinheitstheilungen, so wie zur Auseinandersetzung zwischen Grundeigenthümern und Weide- und Holzberechtigten“ erlassen worden, die aber auf die Freiwilligkeit aller Beteiligten setzte und deshalb wenig Veränderung brachte.
Es musste das Gesetz, die zusammenlegung der Grundstücke, Theilbarkeit der Parzellen und Feldwege-Anlagen betreffend“ folgen, das die Redaktion der „Zeitschrift für die Landwirtschaftlichen Vereine des Großherzogthums Hessen“ als „…Weihnachtsgeschenk der Landwirthschaft des Großherzogthums Hessen von 1857, und zwar als das schönste, welches ihr des Großherzogs Königliche Hoheit zu Theil werden lassen konnten,…“ begrüßte.
LUDWIG III. von Gottes Gnaden Großherzog von Hessen und bei Rhein etc. etc.
Um die Ausführung von Unternehmungen möglich zu machen und zu erleichtern, welche den Zweck haben, in einer Gemarkung oder in einem Theile derselben die, verschiedenen Besitzern gehörigen, zerstreut durcheinander liegenden Grundstücke in eine für die Bewirthschaftung günstigere Lage zu bringen, oder um in Bezug auf Flur- und Gewannwege passende Einrichtungen herbeizuführen, sowie auch um einer allzugroßen Zersplitterung der Parzellen vorzubeugen, haben Wir mit Zustimmung Unserer getreuen Stände verordnet und verordnen hiermit, wie folgt…
Leider halfen weder die anschwellende Propaganda der Natioanalökonomen für die Marktwirtschaft (für die „Verbesserte Landwirtschaft“ natürlich) noch dieses Gesetz, verlangte es doch immer noch die Zustimmung der Mehrheit der Betroffenen: Wahrscheinlich war es nicht so einfach möglich, das gerade erst zugeteilte Recht auf Privat-Eigentum, von den Bauern außerdem teuer erkauft, sofort wieder abzuschaffen…
So lange das Nationaleinkommen nicht das Einkommen aller ist und einigermaßen gerecht unter alle aufgeteilt wird, sondern die „Starken“ (Reichen) sich einen „bevorrechtigten“ Zugriff auf dieses „Volkseinkommen“ zuschreiben können und alle anderen zusehen müssen, wo sie bleiben, ist das Interesse der „unteren/schwächeren“ Schichten gering, mehr für das Gesamteinkommen zu tun als unbedingt nötig…
Die Klein- und Mittelbauern wussten anscheinend genau, dass ihnen eine, obendrein kostspielige, „Feld- bzw. Flurbereinigung“ und Aufteilung des Gemeinschaftsbesitzes keine Vorteile bringen würde; aus diesem Grund war ihr Interesse ziemlich gering, ihre vielen Parzellen zu größeren Stücken zusammenlegen zu lassen und die Allmende aufzuteilen.
So half letztlich nur ein großherzogliches Gesetz, kurz und knapp Gesetz, die Feldbereinigung betreffend genannt, das am 20. Oktober 1887 erlassen, den Widerstand endgültig brach, indem es die „fortschrittliche“ Regel enthielt: „Wer nicht ausdrücklich gegen den Fortschritt stimmt, ist dafür“.
Nun liefen die Feld- oder Flurbereinigungen zügiger ab; denn diejenigen, die an den anberaumten Veranstaltungen zur Flurneuordnung nicht teilnahmen, wurden als „Ja“-Stimmen gezählt.
Im badischen Merdingen z. B. stimmten zu Ende des 19. Jahrhunderts von 108 Anwesenden immer noch 62 gegen die Feldbereinigung; sie wurden aber schon von den 328 abwesenden Ja-Stimmen locker überstimmt.
Lehrbeispiel Demokratie
mit »Ja« stimmten 328 Abwesende mit 260 729,62 M. Steuerkapital = 56,91 %
mit »Ja« stimmten 374 mit 362 652,00 M. Steuerkapital = 79,16 %
mit »Nein« stimmten 62 mit 95 488,71 M. Steuerkapital = 20,84 %
im ganzen sind es 436 Eigentümer mit 458 140,71 M. Steuerkapital.
Am Steuerkapital lässt sich erkennen, dass eher die größeren Bauern für die Feldbereinigung gestimmt haben…
In Groß-Bieberau mussten die Bauern trotzdem noch etwas länger auf die Feldbereinigung warten; im Stadtlexikon heißt es: „Der Durchführungsbeschluss wurde im Jahr 1914 gefasst, konnte aber erst nach Ende des 1. Weltkrieges umgesetzt werden. Die gesamte Gemarkungsfläche betrug damals 1329 ha. […] Anzahl der Beteiligten: 546. Die zu bereinigende Fläche betrug 873 ha, verteilt auf 4514 Grundstücke. Neunzig Prozent der Bereinigungsfläche waren Ackerland, 10% Grünland.“
Die Neuordnung der Ackerflächen wird wahrscheinlich auch erst abgeschlossen sein, wenn die deutsche/europäische Landschaft an die Schwarzerde-Gebiete des amerikanischen Westens oder der russisch-ukrainischen Steppe angeglichen wurde; denn dort lässt sich am effektivsten mit großen Maschinen produzieren.
Mir wäre lieber, in diesen, schon perfekt gestalteten Gebieten würde die Grundversorgung der Menschheit sicher gestellt, und die restlichen, klein-teiligen, landwirtschaftlich genutzten Flächen der Erde stellen ganz entspannt, von uns allen tatkräftig unterstützt, Bio-Produkte her – zur freien Verfügung und vermehren zuerst und erhalten dann die genetische Vielfalt unserer Nutzpflanzen zum Wohle Aller…
Mit diesem hoffnungsvollen Ausblick in die Zukunft schließe ich den Rückblick in die Vergangenheit; in einem kommenden Beitrag werde ich dann wirklich den Pflanzenzüchtern und speziell der Person des Georg Friedrich Böhm II näher treten…
Bitte schreibe weiter. Nicht heute, aber wenn Du die Muse dazu hast. Du bist ein kleiner Philosoph. Ich habe die Tage das Kapitel zu Kartoffeln aus „5 Pflanzen verändern die Welt“ gelesen. Das Buch ist nun auch schon wieder über 35 Jahre alt (Erstveröffentlichung 1985), und da beschreibt Hobhouse sehr drastisch den Zusammenhang zwischen Land und Bevölkerung, sprich Ernährungsgrundlagen… Und er spricht auch vom Feudalsystem, was eben sehr stabil war, über lange Zeit. Es hatte durchaus seine Berechtigung und seine Vorzüge (jedenfalls aus einer geschichtlichen Betrachtungsweise heraus). Die Iren hatten kein Feudalsystem, was seiner (Hobhouse) Ansicht nach die Misere mit der Kartoffel bestärkte. Natürlich will ich nicht zurück zu Feudalismus und Fron, aber eben auch erkennen, dass jedes menschlich gesetzte System Stärken und Grenzen hat. Vielleicht entwickeln wir momentan ein neues? Zeit dazu wäre es, meine ich. Mal sehen, wie und welche Nahrung unser zukünftiges System mitbestimmen wird. Ich hoffe ich darf noch eine Weile bleiben, um das zu beobachten…
Liebe Cora,
danke für Deinen Kommentar!
Dann muss ich wohl das Buch auch mal zur Hand und genauer unter die Lupe nehmen (ich habe es vor ein paar Jahren zufällig in einem Antiquariat entdeckt und erworben): Vorzüge des Feudalismus?
Nun ja, die Vergangenheit ist Fakt und mit ihr das damals herrschende System, ob man es heute für berechtigt hält oder nicht – es war Ausdruck der pflanzenbaulichen Möglichkeiten.
Ob wir mal ein System ohne Herrschaft kriegen oder ob Herrschaft in der Natur des Menschen liegt und vielleicht eines Tages über „natürliche Auslese“ beseitigt wird oder ob es auch allein im Rahmen der technischen Entwicklung durch „Bewusstseinsentwicklung“ der Mehrheit dazu kommen kann, wer weiß?
Welche Nahrung wir in Zukunft zu uns nehmen? Pulver, in dem alle notwendigen Stoffe enthalten sind – aus Insekten hergestellt wahrscheinlich… Ich weiß nicht, ob ich das noch erleben möchte…
Viele Grüße, Jürgen
P.S.: Wann erfahre ich etwas über „politische Pflanzen“? Ich bin neugierig…