Hilfe, ich werde unterwandert!

oder: Wie sich die Himbeeren in meinem Garten verbreiten.

2016 hatte ich der letzten überlebenden Herbst-Himbeere, die noch von den Vorbesitzern stammte, ein paar Sorten Sommer-Himbeeren beigesellt, um auch ein wenig Himbeervielfalt im Garten zu haben und um vielleicht einmal eine Himbeerzucht zu beginnen.

Leider habe ich anschließend versäumt, ihnen genügend Aufmerksamkeit zu widmen, so dass sie ihr Dasein unbeachtet an der Fichtenhecke fristen mussten, an der ich sie entlang gepflanzt hatte, zwischen Johannisbeerbüschen, Erdbeeren, Scharbockskraut und Zaun-Winde.

Himbeeren an Fichtenhecke

An diesen abgelegenen Ort hatte ich einst meine Himbeeren gepflanzt

Es gingen ein paar Jahre ins Land, die sie irgendwie überlebten; aber seit vorigem Jahr änderte sich etwas, nicht nur meine Einstellung zu ihnen, sondern auch ihr Verhalten.

Von der Vermehrung der Himbeeren

An vielen Stellen in meinem Garten tauchten plötzlich Himbeerpflanzen auf, die ich niemals dort hingepflanzt hatte.

Nur der Himmel weiß, wie sie dort hingekommen sind. Ich habe natürlich die Vögel (oder andere Lebewesen) in Verdacht, sich mit der Verbreitung von Himbeeren auszukennen – aber letztlich war mir das Geheimnis ihrer Herkunft schnuppe.

Himbeeranlage am Gerüst

So soll eine Himbeeranlage aussehen: ordentlich an einem Gerüst entlang gezogen

Himbeerruten an Spiralstäben

Für die aufrechte Haltung von Tomaten völlig unbrauchbar, doch als Stütze von Himbeerruten perfekt: Spiralstäbe

Dass ich über jeden Obst- und Beeren-Sämling hocherfreut bin, werden meine Stamm-Leser:innen wissen, und so ist das natürlich auch bei Himbeeren: Die zahlreichen Sämlinge erregten freudig meine Brust.

Da ich natürlich immer wissen will, wie ihre Früchte schmecken, ließ ich sie wachsen…

Die meisten von Euch werden wahrscheinlich wissen, wie sich Himbeeren verbreiten, nachdem sie einmal aus einem Samen geschlüpft sind (ja, ja, auch Himbeeren können das!). Für alle, die es noch nicht wissen, beschreibe ich es hier: Himbeeren besitzen neben ihren Wurzeln auch unterirdische Sprossteile (Rhizome oder Wurzelsprosse genannt) mit Knospen, aus denen neue Himbeerruten austreiben können.

Was sage ich! Können! Nein, sie tun es, sie treiben tatsächlich aus! Wenn irgendwo ein Himbeerwurzelspross in der Erde ist, recken sich dort bald neue Himbeerpflanzen in die Luft.

Himbeerschösslinge

Kräftige Himbeer-Schösslinge treiben am 3. Mai in die Höhe

Nun wird manche:r denken: Wie praktisch! Einmal Himbeere, immer Himbeeren.

Ja, das wäre schön! Leider haben Himbeerwurzelsprosse die Eigenschaft, unterirdisch immer weiter in Neuland vorzudringen, anstatt unter dem Blätterdach ihrer „Mutter“ zu verweilen, wie Stachelbeerwurzeln oder die Wurzeln der meisten anderen Obst- und Beerengewächse das tun.

Mit einer Himbeere hat man eine Hydra im Garten!

Nur wachsen der Himbeer-Hydra keine neuen Köpfe mit schrecklichen Augen über der Erde, sondern es wachsen ihr Wurzelsprosse mit schlafenden Augen tief verborgen im Erdreich: Man sieht sie nicht, man hört sie nicht, man riecht sie nicht, aber sie sind überall.

Treibende Himbeeren

Links drei Ruten vom letzten Jahr mit Spiralstangen gestützt; aber wer zählt die neuen von diesem Jahr?

Überall um ein unschuldig dreinschauendes Himbeerpflänzchen, das in den ersten beiden Jahren nach seiner Erscheinung zu schwach ist, sich selbstständig senkrecht halten zu können, breiten sich unter der Erde augenreiche Rhizome in alle Richtungen hin aus, und ehe man sich versieht, sprießen überall in weitem Umkreis um das schwächliche Pflänzchen furchterregend kräftige Ruten aus dem Boden.

Und so geht das immer weiter – bis der gesamte Garten von Himbeeren überwuchert ist…

Dieses Problem haben auch all diejenigen, die sich ein Himbeerpflänzchen irgendwo ausgraben (oder sich treuherzig kaufen) und in ihren Garten pflanzen; auch solche Himbeeren breiten sich unter der Erde hemmungslos aus.

Anleitung zum Kampf gegen die unbegrenzte Ausbreitung der Himbeeren

So, jetzt aber genug dramatisiert, jetzt mal wieder ganz nüchtern die Optionen betrachtet, die zur Verfügung stehen, um ein Himbeer-Ungeheuer in seine Schranken zu weisen; denn ich bin zwar an vielen, genetisch vielfältigen, vielfältig schmeckenden Himbeeren interessiert, aber ich möchte auch noch ein paar andere Früchte genießen.

Gegen Pflanzen, die mit unterirdisch vorkriechenden Ausläufern (Rhizomen) ihre Einflusszone auszuweiten suchen, wie Giersch, Quecke, Winde, Schachtelhalm und eben die Himbeere, gibt es ein wirksames, bewährtes Rezept.

Die wichtigste Zutat lautet: Ruhe bewahren. Überhastete, unüberlegte Reaktionen, wie panische Flucht oder das wilde Zerstückeln des Rhizomgeflechts, bedeuten das Ende: Die Hydra breitet sich ungehemmt aus oder vervielfacht sich sogar aus den Wurzelsprossstücken und übernimmt gnadenlos den Garten.

Junge Himbeertriebe

So schöne, kräftige Triebe! Eine wahre Freude! Was, wenn die Freude nachlässt?

Nur mit messerscharfem Verstand, stoischer Ruhe und vor allem eiserner Konsequenz ist der Hydra beizukommen.

Denn alle Pflanzen-Hydren, die sich unterirdisch ausbreiten, haben nur begrenzte Energie-Reserven in ihren Rhizomen und Wurzeln gespeichert: Jedes Treiben eines Kopfes kostet sie erst einmal Energie; wird er abgeschlagen, kaum dass er die Augen öffnet, verliert die Hydra Kraft, und nach dem Verlust zahlreicher Köpfe hat sie alle Reserven erschöpft und der Kampf ist gewonnen – aber nur, wenn konsequent vorgegangen wird; jede Nachlässigkeit, die der Hydra Zeit gibt, einen Blätterschopf zu entfalten und Sonnenenergie zu tanken, verlängert den Kampf.

Mehr Himbeertriebe

Rund um einen Schwarzen Johannisbeerbusch: Himbeeren treiben aus!

Schon mancher Gartenbesitzer hat seinen Garten aufgegeben, weil er einer Quecken-, Giersch- oder Himbeer-Hydra nicht Herr zu werden wusste.

So lange man aber den Verstand nicht verliert, ist nichts verloren.

Ich bin mir bewusst, sobald ich zum Gegenangriff übergehe, haben die Himbeeren keine Chance mehr; ich kann sie jederzeit dorthin zurückdrängen, woher sie gekommen sind: ins Erdreich; ich muss ihnen nur konsequent jeden nachwachsenden Trieb nehmen. Quecke und Giersch habe ich so bisher unter Kontrolle gebracht; aber ich musste wirklich konsequent sein.

Die süßesten Früchte zur Belohnung

Aber hey, so lange ich mir meiner Überlegenheit bewusst bin, kann mir (fast) nichts passieren, denke ich, und ich habe der Himbeere deshalb erst einmal Raum gegeben; denn ich will ja wissen, wie Himbeer-Vielfalt schmeckt…

Ich muss sagen, bisher wurde ich nicht enttäuscht: Die neu geborenen Himbeeren haben den Raum, den ich ihnen überlassen habe, mit köstlichen Früchten gefüllt.

Neue Himbeersorte

So sah eine neue Himbeersorte im letzten Jahr am 3. Juli aus…

Neue Himbeersorte im Frühjahr 2021

…und so in diesem Frühjahr am 3. Mai.

Himbeeren haben einen wunderbaren Duft und ich bin hingerissen vom Aroma der Himbeer-Konfitüre. Im letzten Jahr durfte ich sie erstmalig ausgiebiger genießen, nachdem ich einige Jahre eher mit Einzelfrüchten leben musste.

Naschhimbeere

Hier und dort wird eine Beere genascht (mit schmutzigen Fingern)…

Ich mag die Sommer-Himbeeren lieber als die Herbst-Himbeeren; aber bei der wilden Himbeer-Vermehrung aus Samen ist alles dabei: Mir kam es im letzten Jahr schon so vor, dass ich das ganze Jahr über Himbeeren naschen konnte – und in diesem Jahr haben sich die Sämlinge erst richtig etabliert; es kann also nur noch besser werden…

Himbeerernte verschiedener Sorten

Im letzten Jahr gabs schon eine Ernte… …die dunklen sind neu…

Eine neue „Sorte“ hatte im vorletzten Jahr die besten Beeren, die ich jemals gegessen habe – süß, aber mit einer angenehmen Säure gemischt. Leider sind die drei neuen Sprösslinge, die sie danach getrieben hat – und auf deren Früchte ich mich riesig gefreut hatte, im Winter erfroren (oder aus anderen Gründen eingegangen). Sie hat zwar reichlich neue Ruten hervorgebracht, aber auch in diesem Jahr haben von ca. zehn Trieben nur fünf überlebt; aber die sind jetzt meine ganze Hoffnung…

Eine andere Sämlingshimbeere hatte „nur“ durchschnittlich gute Früchte, dafür aber besonders robuste Ruten, die sämtlich den Winter überstanden – und dabei ihr Areal verdreifacht haben.

Brot mit Himbeerkonfitüre

Heute morgen geöffnet: Himbeerkonfitüre vom letzten Jahr…

Die Früchte der zahlreichen anderen Himbeeren, die im letzten Jahr irgendwo und überall gewachsen sind, werde ich hoffentlich in diesem Jahr begutachten dürfen; Blüten zeigen sie vielfach schon…

Im Moment freue ich mich auf eine wunderbare Himbeer-Säsong!

Die bewusste Vermehrung von Himbeeren durch Samen

„Mehr, mehr, mehr“, schrie der kleine Häwelmann in der Geschichte von Theodor Storm, wie Ihr wisst – und genauso geht es mir auch: „Mehr, mehr, mehr neue Himbeersorten!“ hört Ihr mich immer wieder rufen… und damit meine ich wirklich neue Sorten und keine neuen „alten“, von denen es ohnehin nur noch eine sehr begrenzte Anzahl gibt, die obendrein vor allem dem gewerblichen Anbau dienen sollen.

Knospen einer Himbeere

Knospen der (von mir so genannten) Himbeersorte „Hangelsberg“ (29. Mai)

Himbeerknospen

Knospen einer neuen, noch unbenamten Himbeersorte (23. Mai)

Ich hoffe, mir ergeht es dabei am Ende nicht wie dem kleinen Häwelmann…

Blüten einer Himbeere

Offene Blüten der Himbeersorte „Hangelsberg“

Ich gestehe, dass ich schon im vorletzten Jahr einige Beeren dem Genuss entzogen und sie in Saatgut verwandelt habe: Ich habe die Himbeeren faulen lassen, sie zerquetscht und in einem Sieb die Samen ausgewaschen. Ich habe sie getrocknet und bis zum Herbst aufbewahrt.
Ich dachte, ich hätte alles richtig gemacht…

Gärende Himbeeren

Nicht mehr so appetitlich: Himbeeren, die in Wasser aufgelöst wurden und gären…

Im Oktober 2019 hatte ich eine lange Bodenrille mit diesen Samen bestückt – und warte bis heute auf das Erscheinen von Himbeerpflänzchen.
Über die Gründe dieses Fehlschlags grübele ich ebenfalls bis heute…

Eine Besucherin vermutete neulich, dass vielleicht nur Tier- und Vogelmägen Himbeersamen zum Keimen bringen könnten – und ich hatte mir schon überlegt, dafür in diesem Jahr hilfsweise meinen eigenen Verdauungstrakt zu nutzen; doch dieser Einsatz für die überlebensnotwendige genetische Vielfalt bleibt mir – Gott-sei-Dank – erspart.

Frische Samen-Himbeeren

Samen-Himbeeren in jugendlicher Frische werden am 31. Juli…

Im letzten Jahr hatte ich es nämlich auf meine erprobte Weise versucht: Ich hatte eine Handvoll frisch gepflückter Himbeeren in einen Topf mit Erde eingearbeitet, ganz oberflächlich – wie es meine Art ist…

Himbeeren in Blumentopf auf Erde verstreut

…fein zerkleinert und verstreut; jetzt fehlt noch die intensive Vermischung mit der Erde…

Und siehe da! Zwei Pflänzchen keimten prompt; mehr aber auch nicht…

Himbeersämlinge

Die ersten zwei Himbeersämlinge, die ich bewusst wahrnehme in meinem Leben… am 13. September 2020

Vor ein paar Wochen jedoch zeigten sich weitere, winzige, unschuldige Himbeeren.

Früchte frisch dem Boden zu übergeben, war bei Stachel- und Johannisbeeren bisher immer eine Erfolgsgarantie für das Keimen – wenn das auch erst im folgenden Frühjahr geschah; Himbeeren gehören anscheinend auch zu dieser Gruppe.

Himbeersämlinge nach dem Winter

Mehr Sämlinge keimen nach der Winterruhe am 2. Mai 2021

Heranwachsende Himbeersämlinge

Am 29. Mai sehen die großen fast schon nach Himbeerpflanzen aus und die kleinen wie kleine Sämlinge…

Jetzt, da ich weiß, wie neu geborene Himbeeren aussehen, entdecke ich sie überall – und ich sehe den Tag kommen, an dem ich ihnen freiwillig und freudig meinen Garten überlassen werde.

Himbeersämlinge im Garten

Frisch entdeckte Himbeersämlinge…

Bis dahin aber möchte ich neben Himbeer-Vielfalt auch noch mehr Stachelbeer-, Johannisbeer- und Erbeer-Vielfalt kennen und lieben lernen… …und Süßkirschen- und Sauerkirschen- und Äpfel- und Birnen- und Pflaumen- und Aprikosen- und Pfirsich- und Brombeervielfalt und…