Erdbeerernte

oder: Wie Geschmack und Erinnerung sich Schnippchen schlagen.

Der Titel ist etwas irreführend, das will ich gleich vorwegschicken; nicht dass jemand hier einen ausführlichen Bericht über das Ernten meiner Erdbeerbeete vermutet.

Es geht hier mehr um das Schmecken von Erdbeeren. Dazu müssen sie zwar gepflückt werden, aber das Pflücken einzelner Erdbeeren will ich mal nicht großspurig als „Ernte“ bezeichnen. Die eigentliche Ernte, das Pflücken ALLER reifen Erdbeeren ist mir mehr eine lästige Pflicht, die ich gerne anderen überlasse. Leider ist meine liebste Frau nicht immer mit von der Partie; sie ist eine wahre Genießerin dieser Frucht und deshalb auch bereit, das Ernten zu übernehmen.
Nun gut, eine gewisse Menge, die ich für meinen Erdbeermarmeladekonsum benötige, ernte ich dann auch selber (und koche ihn auch selber ein).

Ich glaube, es war am 31. Mai, als ich die eine oder andere Erdbeere probieren konnte, besser probiert habe, obwohl ich lieber noch eine Woche gewartet hätte; denn erst am 7./8. Juni waren die ersten richtig reif – und das schmeckt man schon.

Das neue Erdbeerbeet

Das neue Erdbeerbeet mit der „Polnischen“ links und „Königin Luise“ am rechten Bildrand

Die ersten Sorten, die reif werden, sind „Königin Luise“ und meine unbekannte „Polnische“; aber auch „Deutsch Evern“, „Havelland“, „Fratina“ und „Blanc Reine“ waren recht früh zu schmecken.
Leider ist es ja äußerst schwierig, Geschmack zu beschreiben. Selbst die doch scheinbar eindeutigen Eigenschaften „sauer“ und „süß“ werden von jedem Schmecker noch unterschiedlich wahrgenommen (und bewertet sowieso).
Ich versuche das also erst gar nicht. Ich gebe einfach meine subjektive Einschätzung, meine Meinung, wieder und lade jeden hiermit zur Erdbeererntezeit (und natürlich auch zu jeder anderen Zeit) in meinen Garten ein, um sich selbst ein Geschmacksurteil zu bilden.

Obwohl bei mir alles am Geschmack hängt, habe ich natürlich auch andere Kriterien im Hinterkopf, die ein Erdbeerzüchter zu berücksichtigen hat, Merkmale wie z. B. die Druckfestigkeit, den Ertrag und die Krankheitsanfälligkeit. Aber diese gelten eigentlich nur für den Erwerbsanbau, nicht jedoch für den Privatgarten.

Leider muss der Gärtner mit den Sorten vorlieb nehmen, die für den Erwerbsanbauer gezüchtet werden; denn eine gezielte Zucht für den Privatgärtner gibt es nicht, weil sich das einfach nicht lohnt. Von den paar Gärtnern, die heute noch Erdbeeren im Garten pflegen – und dann auch noch oftmals selbst vermehren, könnte kein Züchter leben. Und selbst zu „züchten“, d. h. Erdbeerpflanzen aus Samen zu ziehen, auszuwählen, weiter zu vermehren, zu beobachten, dazu reichen ein Leben und ein kleiner Garten nicht aus, das braucht Generationen in allen Landstrichen – das war einmal – und wird nie wieder sein – es sei denn, die industrielle Revolution frisst dereinst ihre Kinder.

Dem Himmel-sei-Dank fordert der Kunde heute auch wieder „Geschmack“ ein, so dass die Züchter auch diesem Kriterium wieder etwas mehr Aufmerksamkeit schenken: „Polka“ und „Malwina“ sind „moderne“ Sorten, die ich kenne und in dieser Hinsicht empfehlen kann.
Trotzdem muss ich sagen – und bin in dieser Aussage auch in diesem Jahr wieder eindrücklich bestätigt worden – keine mir bisher bekannte Sorte kommt gegen „Königin Luise“ an!

Prachtexemplar der "Königin Luise"

Prachtexemplar der „Königin Luise“

Ich hatte letztes Jahr einen Teil der großen Wiese umgebrochen (besser gesagt: den Bewuchs mit Planen und Gras erstickt); auf einer Hälfte hatte ich dann Ableger von „Königin Luise“ und meiner „Polnischen“ in jeweils zwei Reihen eingesetzt (siehe Foto oben). Obwohl es schon August war und die Plänzchen teilweise noch sehr klein waren, haben sie alle den Winter überstanden, sich im Frühjahr gut entwickelt und Früchte getragen. Trotz zahlreicher Verkostungen durch Schnecken haben wir einige schöne Portionen für den Direktverzehr von dieser Fläche ernten können.

"Königin Luise" 2014

„Königin Luise“ 2014

Erste Ernte der "Polnischen" im Jahr 2014

Erste Ernte der „Polnischen“ im Jahr 2014

Dazu noch eine kleine Episode: Die erste Pflücke auf dieser neuen, übersichtlichen Fläche machte am 7. Juni meine Stieftochter Nina. Ich wies sie an, die beiden Sorten in unterschiedliche Gefäße zu sammeln. In meiner Erinnerung (leider habe ich meine Aufzeichnungen über die Standorte der einzelnen Sorten verloren) wuchs links die „Polnische“ und rechts „Königin Luise“. Als ich dann die von Nina präsentierten Portionen probierte, schmeckte die „Polnische“ eindeutig besser als die „Königin“.

Ich war darüber zwar sehr verwundert, zweifelte aber mein Erinnerungsvermögen noch nicht an. Nach einem Vergleich mit den „Mutterpflanzen“ musste ich jedoch die Einteilung widerrufen: links „Königin Luise“, rechts die „Polnische“; ich erkenne meine „Königin“ also am Geschmack – das war beruhigend zu wissen.

Nachtrag Anfang Juni 2015: Komischerweise habe ich damals Ninas Zuordnung der Körbchen nicht angezweifelt; aber nur das kann der Grund für die Verwirrung gewesen sein: die „Königin“ wächst eindeutig auf der rechten Seite.
Trotzdem will ich meinen Beitrag zur Komplizierung der Angelegenheit nicht verschweigen: nicht alle Pflanzen in den jeweiligen zwei Reihen gehören eindeutig zu einer Sorte; das eine oder andere Exemplar gehört einer anderen Sorte an .

Eine weitere Sorte, die den Geschmackstest überstand, war „Deutsch Evern“ (wie sie zumindest in meiner Erinnerung heißt). Die Abbildung in einem alten Buch „Die Erdbeere – ihre Einteilung, Beschreibung und Kultur im Freien und unter Glas (Treiberei) mit Beschreibung und Abbildung der anbauungswertesten Sorten von Paul Möschke, Verlag von J. Neumann, Neudamm 1905“ stimmt nicht mit ihrer Form überein. Es kann natürlich auch sein, dass die Deutsche Genbank Obst, von der ich diese Sorte bekommen habe, sie falsch beschriftet hat; aber das halte ich mal für wenig wahrscheinlich – siehe mein eingeschränktes Erinnerungsvermögen zuvor. Der wunderbaren Abbildung, die in der wunderbaren Obstsortendatenbank des BUND Lemgo zu sehen ist, ist sie aber ähnlich.
Sie war zwar recht weich, aber zart und mild-süß im Geschmack. Sie wird ganz sicher zu meinen 10 Standardsorten gehören, die ich zukünftig erhalten will.

Die drei Sorten „Havelland“, „Fratina“ und „Fracunda“, die in der DDR gezüchtet wurden, haben entweder noch nicht getragen (Fracunda) oder waren nicht wirklich überzeugend (Havelland, Fratina). „Havelland“ hat eine ungewöhnliche Form (siehe Bild), schmeckt aber eher säuerlich, „Fratina“ hat Ähnlichkeiten mit der niederländischen Sorte „Tenira“ – recht große, stumpf kegelförmige, helle Früchte, mit mildem, leicht süßlichem Geschmack.

Schönes Früchtchen der "Havelland"

Schönes Früchtchen der „Havelland“

Von Fracunda habe ich nur eine Pflanze aus der Genbank bekommen, so dass das Urteil auf das nächste Jahr verschoben werden muss. Letztere werde ich dieses Jahr nur ein wenig vermehren.
Alle drei „DDR“-Sorten werde ich aber allein aus Gründen der Sentimentalität erhalten. Tenira wird vermutlich auch unter die ersten 10 meiner Hitliste kommen. (Havelland und Tenira habe ich vom Erdbeerhof R+I.Tolzien, Bad Wilsnack bezogen)

Leider waren die vier Sorten („Senga Sengana“, „Polka“, „Korona“ und „Mieze Schindler“), die mir im letzten Jahr einen guten und schmackhaften Ertrag geliefert haben, in diesem Jahr von irgendeiner Schwäche (Krankheit?) befallen. Obwohl sie ordentlich gewachsen waren und reichlich Früchte angesetzt hatten, wurden sie nicht frisch-fruchtig („normal“) reif, sondern irgendwie trocken-fest nur ziemlich dunkelrot und schmeckten sauer und nach nichts; mir kam es vor, als wären sie irgendwie „notreif“ geworden. Die ganze Pflanze wirkte irgendwie erschlafft.

Angegriffene Erdbeerfläche mit "Korona", "Mieze Schindler", "Senga Sengana" und "Polka"

Angegriffene Erdbeerfläche mit „“Mieze Schindler“, „Senga Sengana“ und „Polka“

Anfangs dachte ich, das wäre die Strafe für mein „Nichtstun“, das Nicht-Beseitigen der trockenen Blätter im Herbst bzw. Frühjahr, also irgendeine Pilzkrankheit, die ich dadurch zugelassen hatte – bis ich die Erdbeeren meiner Nachbarn von gegenüber sah: weitaus trauriger, trockener, kränker als die meinen; auch Nachbar Uwe von nebenan beklagte seine klägliche Erdbeerernte.

Es ist also möglicherweise eine Krankheit in meiner Umgebeung virulent, möglicherweise ist aber auch die extreme Hitzewelle Anfang Juni (7. bis 11.) mit Temperaturen von über 34°C dafür verantwortlich. Darauf deutet, dass die zuletzt gereiften Erdbeeren am 22. Juni eine normale Ausprägung hatten.

Dass die Hitze Schuld sein könnte, entnehme ich auch der Einleitung eines Beitrags der „Schweizerische Zeitschrift für Obst- und Weinbau. 2003, 6-6: Neue Erdbeersorten mit guten Perspektiven“, in der es (bezogen auf die Sorte „Elsanta“) heißt: „Es zeigt sich zunehmend, dass Bestände von Elsanta mit einem hohen Fruchtansatz sehr empfindlich auf Hitzestress reagieren, insbesondere dann, wenn die Wurzelausbreitung beschränkt ist. Neben einer Verringerung der Ertragsleistung und der Fruchtgrösse können extreme Temperaturverhältnisse bei Elsanta auch die Geschmacksentwicklung negativ beeinflussen.“
Das scheint auch auf andere Sorten zuzutreffen.

„Korona“ und „Polka“ möchte ich auf jeden Fall behalten, „Senga Sengana“ kommt zumindest ans untere Ende der Liste (solange, bis sie von einer besseren verdrängt wird). Ob ich allerdings „Mieze Schindler“ trotz ihres schönen Names und einzigartigen Aussehens und Geschmacks weiter Platz einräumen werde, ist noch weniger sicher: sie ist mir zu süß und zu matschig, zu gewöhnungsbedürftig, der momentane Hype um sie zu groß. Aber vielleicht überredet mich ja noch mein Sammlerherz.

Ein Körbchen der "besten" Erdbeere, "Mieze Schindler"

Ein Körbchen der „besten“ Erdbeere, „Mieze Schindler“

Zum Schluss noch ein paar Worte zu den „Sorten“, die ich im Laufe des letzten Jahres in meinem Garten als Sämlinge gefunden habe, der Sorte „Petrina®“, die ich als „neue“ Sorte in einem Berliner Blumenladen entdeckte sowie der aus Frankreich zugekauften Sorte „Blanc Reine“.

Von den ca. 20 Pflanzen, die ich gesammelt habe, erwiesen sich (wenigstens) zwei als süß und wohlschmeckend, d. h. vermehrungs- und erhaltungswürdig, zumindest weiterhin testwürdig.

„Petrina®“ wird in Hortipendium mit „kräftiges Aroma, hoher Ertrag, weiche Früchte“ beschrieben. Ich finde das ist treffend; dazu muss man aber wissen, dass mit „Aroma“ bestenfalls der Duft gemeint sein kann, keinesfalls aber der Geschmack: ich finde diese Erdbeersorte einfach nur öde, säuerlich, langweilig, fad. Bestätigt fühle ich mich in meiner Meinung über „moderne“ Erdbeersorten im Allgemeinen und über „Petrina®“ im Besonderen durch den zuvor zitierten Beitrag „Neue Erdbeersorten mit guten Perspektiven“; dort erhält „Petrina®“ im Geschmackstest die Durchschnittsnote 2,6 (von 5 möglichen), also mittelmäßig.
Ich weiß nicht, wieso und wofür ein Züchter sich selbst so loben muss (es geht zwar um die Himbeere „Elida®“): „Der Züchter ist Peter Hauenstein, Edelobst und Beeren, 8197 Rafz/Schweiz. Dieser Name bürgt für erfolgreiche Züchtungsergebnisse, wie z. B. der Apfel Rubinette ®, die Himbeere Himbo Star ®, die Erdbeere Petrina ® und die Birne Benita ® zeigen. All seine Züchtungen testet er systematisch über mehrere Jahre und gibt nur die besten Sorten für den Verkauf frei. Der Erfolg gibt ihm recht.“

Hoffnungen hatte ich noch in die Sorte „Blanc Reine“ gesetzt. Im Händlerkatalog wird sie mit „Gros fruit rouge foncé presque violet, musqué, sucré, parfumé et juteux. Saveur fine et goûteuse (also: Große Frucht dunkelrot fast lila, duftig, süß, aromatisch und saftig. Feines Aroma und lecker“) beschrieben. Ich fand sie allerdings nur säuerlich auf ihren kurzen Stengeln; aber noch ist für sie nicht aller Tage Abend: eine Chance bekommt sie noch im nächsten Jahr.

Auch aus schlechten Erdbeeren kann man noch süße Marmelade kochen (natürlich nur mit 50% Zucker)

Auch aus schlechten Erdbeeren kann man noch süße Marmelade kochen (natürlich nur mit 50% Zucker)

„Petrina®“ wird aber ebenso wie die Sorte „Julietta“, die im Tabakmuseum Vierraden 2012 abgestaubte Sorte sowie die meisten selbst aufgepäppelten „Sorten“ aus meinem Garten weichen müssen, da wird auch mein Sammlerherz mich nicht erweichen: „die guten ins Kröpfchen und die schlechten ins Körbchen“ (für den Kompost), will ich in Anlehnung an das Märchen „Aschenputtel“ einmal texten. Ich brauche Platz für wirklich „gute“ Erdbeersorten, für solche, die schmecken. „Beim Absatz über die Kanäle des Grosshandels kommen nur festfleischige Sorten in Frage, die mittlere Transportstrecken problemlos überstehen und eine Haltbarkeit von mehreren Tagen aufweisen. Bei der regionalen Vermarktung kann dem Geschmack der größte Stellenwert beigemessen werden“, wie im oben schon erwähnten Aufsatz „Neue Erdbeersorten mit guten Perspektiven“ angeregt wird.

Ja, danke schön für den Hinweis: schmecken tun also bestenfalls regionale Produkte! Erdbeeren aus meinem Garten sollen aber auf jeden Fall und immer schmecken! Obwohl ich zum Abschluss gestehen muss, dass es mir langsam schwer fällt, mir die eine oder andere Erdbeere in den Mund zu schieben: irgendwie hängen sie mir langsam zum Hals heraus; aber bald ist ja die Erntezeit bei Erdbeeren vorbei und ich kann mich wieder auf das Probieren neuer Sorten im nächsten Jahr freuen.

Nein, die Besucher meine ich nicht!

Nein, diese Besucher meine ich nicht!

Obstcocktail aus dem eigenen Garten

Obstsalat aus dem eigenen Garten…

Das Strahlen, das ich liebe

…und das Strahlen dazu, das ich liebe

Doch ich muss erst mal meine fünf Erdbeeranbauflächen ordnen und in einen Zusammenhang bringen: in ein schönes, großes Beet mit den besten Erdbeeren der Welt, das langsam durch den Garten wandert. Wie ich.