Die Saatgutfrage

oder: Ist eigenes Saatgut besser oder das der Profis?

Das ist hier die Frage.

Das Wissen über Saatgut und den Prozess seiner Gewinnung ist anscheinend noch weniger verbreitet als das über den Anbau von Gemüse. Immer wieder muss ich feststellen, dass auf diesem Gebiet zahlreiche Fehlinformationen und Vorurteile kursieren, die eine eigene Saatguternte in Frage stellen.

In diesem Beitrag geht es um Ansichten, die verhindern, dass jemand überhaupt versucht, eigenes Saatgut zu gewinnen. Die paar technischen Probleme, die auftreten können, wenn man eigenes Saatgut erntet, aufbereitet und lagert, sind immer noch einem anderen Beitrag vorbehalten; darum geht es also nicht.

Zukkinisamen gewinnen

Ausgelöst wurde die Idee zu diesem Beitrag durch einen Blog-Artikel von Ralf Roesberger, der vor allem durch seine Videos bei YOUTUBE (DER Selbstversorgerkanal) bekannt ist.
Er sieht die Selbstversorgung mit Saatgut so: „Ich bin da eher skeptisch und kaufe mein Saatgut von den Profis. Denn, sooo viel kostet das Saatgut nun auch wieder nicht.“

Ralf nennt vier Gründe (die sicher auch viele andere teilen), warum er kein eigenes Saatgut gewinnt, sondern lieber auf gekaufte Sämereien setzt:

  1. ist seine Zeit begrenzt, er kann sich nicht um alles kümmern.
  2. kann es sein, dass selbst erzeugtes Saatgut nicht unbedingt den Standards für Saatgut genügt.
  3. ist es möglich, dass der Genpool des eigenen Saatguts auf die Dauer verarmt.
  4. besteht die Gefahr, dass sich fremdes Genmaterial einkreuzt.

Mit diesen Bedenken werde ich mich nun der Reihe nach ausführlich beschäftigen; aber so viel vorweg: Außer dem ersten Punkt ist kein anderer stichhaltig.

Der Ausgangspunkt der eigenen Samenerzeugung: Honigbiene befruchtet Borretsch-Blüte

Weibliche Blüte einer „Schlangen“(Salat)-Gurke

Honigbiene in männlicher Gurkenblüte

Zeit ist Geld oder: Wer Geld hat, hat keine Zeit

Der erste und wichtigste Punkt ist selbstverständlich, dass man der Saatgutgewinnung eine hohe Priorität einräumt, dass man sie für wichtig hält – und ihr deshalb eine gewisse Zeit „opfert“.
Denn: Die Saatgutgewinnung erfordert in der Regel genauso wie die Nahrungsmittelerzeugung einen gewissen Einsatz; ohne den bringt auch die Saatgutgewinnung nicht (besonders) viel.

Wenn man jedoch bedenkt, dass es bei zahlreichen Gemüsearten allein darum geht, ein paar Samen zurückzubehalten (sie nicht zu essen) – man denke an Bohnen und Erbsen – und dass die Gewinnung von Samen bei anderen Pflanzen ein Kinderspiel ist (Paprika, Tomate, Zukkini, Gurke), dann ist der Zeitfaktor kaum der Rede wert: Sooo viel Zeit kostet die Saatgutgewinnung nun auch wieder nicht.

Trotzdem ist jedes Menschen Zeit begrenzt und jeder setzt eigene Schwerpunkte, für die er seine Zeit einsetzt (Ralf investiert seine Zeit z. B. lieber in die Selbstversorgung mit Bio-Produkten, Video-Produktionen und Gartenreisen).

Erbsen-Nachbau: Gebührenfrei und ziemlich fix eingetütet

(Qualitäts)Standards für Saatgut

Wie sieht es mit der Qualität von selbst erzeugtem Saatgut aus?

In diesem Punkt sind die Vorbehalte weit verbreitet, dass das eigene Saatgut kaum so gut sein kann wie das, welches von erfahrenen Leuten, den „Profis“ erzeugt wurde (ich glaube, über seine eigenen Gartenbauerzeugnisse denkt niemand so).

Bevor ich eine Anwort auf diese Frage geben kann, muss ich weitere Fragen stellen und beantworten: Was macht die Qualität von Saatgut eigentlich aus?
Und: Sind irgendwo (Mindest)Standards für Saatgut festgelegt?

Ich starte meine Betrachtungen über die Saatgutqualität mit der Antwort auf die letzte Frage: In Deutschland (und in der EU, ach, schon in fast allen Ländern der Erde) sind Qualitätsstandards für Saatgut gesetzlich festgelegt. Nur wenn Saatgut diese erfüllt, darf es gewerblich in Verkehr gebracht (verkauft) werden; diese Standards sind hierzulande im Saatgutverkehrsgesetz (SaatG) und der darauf beruhenden „Verordnung über den Verkehr mit Saatgut landwirtschaftlicher Arten und von Gemüsearten“ (Saatgutverordnung, SaatgutV) zu finden.

Tomatensamen gewinnen: 1. Schritt – Samen mit Gallerte aus Frucht kratzen und in Gläser füllen

Exkurs zu den Ursprüngen der Saatgut-Kontrolle

Prüf- und Kontrollmechanismen für landwirtschaftliche „Betriebsmittel“ wurden eingeführt, als der gewerbliche Handel mit ihnen größere Ausmaße annahm – und damit die Möglichkeiten des Betrugs; ein weiterer Grund war, alles zu tun, um die Produktion von Nahrungsmitteln maximal zu erhöhen.

Zu Zeiten, als Landwirtschaft und Gärtner ihr Saatgut selbst erzeugten und bestenfalls lokal tauschten, brauchte es keinen Kontrollaufwand auf diesem Gebiet: Es bestand umfangreiches Wissen auf dem Gebiet der Saatguterzeugung und beim Tauschen herrschte gegenseitiges Vertrauen aufgrund persönlicher Bekanntschaft.

In Deutschland waren seit 1852 landwirtschaftliche Prüf- und Testorganisationen entstanden, die vor allem Boden, Dünge- und Futtermittel chemisch untersuchten, zuerst nur auf Wunsch von Händlern und Käufern.

Diese Einrichtungen hatten sich 1888 zum „Verband Landwirtschaftlicher Untersuchungsstationen im Deutschen Reich“ zusammenschlossen (heute nennt er sich „Verband Deutscher Landwirtschaftlicher Untersuchungs- und Forschungsanstalten, VDLUFA).

Schon 1869 hatte Friedrich Nobbe an der Kgl. Sächsischen Akademie für Land- und Forstwirtschaft in Tharand(t) die erste „Samenkontrollstation für Handelssämereien“ im deutsch-sprachigen Raum gegründet. 1876 veröffentlichte er außerdem das „Handbuch der Samenkunde: physiologisch-statistische Untersuchungen über den wirthschaftlichen Gebrauchswerth der land- und forstwirthschaftlichen, sowie gärtnerischen Saatwaren“.

„Ueber die Nothwenigkeit einer Controlle des landwirtschaftlichen Samenmarkts“ (F. Nobbe in „Die landwirtschaftlichen Versuchs-Stationen“, XI, 1869), für die damals noch eifrig geworben werden musste, besteht heute kein Zweifel mehr: Diese Kontrolle wurde in den 1930er Jahren gesetzlich vorgeschrieben und damit zu einer staatlichen Aufgabe.

Tomatensamen gewinnen: 2. Schritt – Tomatensamen, Gallerte und Wasser ein paar Tage gären lassen

Für die Überwachung der Saatgut-Qualität (Probennahme sowie Prüfverfahren) gibt es mittlerweile weltweit anerkannte, einheitliche Standards und Regeln.
In Deutschland wurden erstmalig 1899 die „Technischen Vorschriften des Verbandes Landwirtschaflicher Versuchsstationen im Deutschen Reich für Samenprüfung“ erarbeitetet.
Heute werden diese Untersuchungsstandards von der „International Seed Testing Organisation“ (ISTA) normiert und aktualisiert.

Kontrolle von „Bunten Tüten“ mit Sämereien für Kleingärtner*innen

Eigentlich könnte ich den Beitrag hier enden lassen; denn es sollte schon deutlich geworden sein, dass derjenige, der sich selbst mit Saatgut versorgt, keiner Kontrolle bedarf, da er sich kaum selbst betrügen wird.

Aber wo ich schon beim Thema bin, werde ich trotzdem mal nachfolgend die ganze Palette der Qualitätsmerkmale von Saatgut auflisten. Auch für Kleingärtner*innen kann das Wissen grundsätzlich nützlich sein, gerade auch, wenn sie ihr Saatgut in den kleinen bunten Tütchen im Baumarkt oder über das Internet kaufen.

Obwohl der genannte gesetzliche und prüftechnische Aufwand vor allem für die Massenverbraucher von Saatgut, die (industrielle) Landwirtschaft und deren Lieferanten, wie Pflanzenzüchter, Saatgut-Vermehrer und -Großhändler, betrieben wird, unterliegen auch die Anbieter von Kleinpackungen mit Gemüsearten, den so genannten „Bunten Tüten“ den gesetzlichen Anforderungen.

Tomatensamen gewinnen: 3. Schritt – Glasinhalt in Kaffeesieb schütten und waschen

Auf meine Nachfrage bei verschiedenen zuständigen Stellen über den Kontrollumfang dieser Samenpackungen erhielt ich leider nur aus Thüringen eine verwertbare Antwort:

„…die Saatgutverkehrskontrolle in Thüringen … prüft einen geringen Anteil an Standardsaatgut Gemüse in den vorhandenen Baumärkten und Handelseinrichtungen in ganz Thüringen. Im Jahr sind das ca. 35 – 40 Proben, an denen vor allem die Keimfähigkeit untersucht wird.…
…die Verpackungen werden auch auf ordnungsgemäße Kennzeichnung nach SaatgutV § 40 in Verbindung mit Anlage 6. 2 geprüft.…
…Als verantwortliche Nachkontrollstelle sorgen wir dafür, dass einige Gemüsesorten laut § 12 SaatG beim Bundessortenamt in den Nachkontrollanbau gestellt und somit durch Anbau und Bonitur auf Sortenechtheit geprüft werden, da nur sortenechtes Saatgut in den Verkehr gebracht werden darf…
…Wir versuchen nicht nur alle Gemüsearten abzuprüfen, sondern auch die üblichen Inverkehrbringer.… …,wobei das Saatgut der ersten zwei Betriebe 2016 teilweise die Norm nicht erfüllt hat.“ schrieb mir die Saatgutverkehrskontrolle (SVK) bei der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft.

Auch kleine, gemeinnützige Saatgut-Erzeuger (und -verkäufer), wie z. B. Sorten-Erhalter-Initiativen müssen diese gesetzlichen Regelungen einhalten, um nicht mit ihnen in Konflikt zu geraten. Dies kann geschehen, wenn sie einem gewerblichen Händler als Konkurrenten ein Dorn im Auge sind, wie es der französichen Sorten-Erhalter-Organisation „Kokopelli“ mit dem Saatguterzeuger und -händler Graines Baumaux im Jahre 2005 widerfahren ist.

Die Qualitätsmerkmale von Saatgut unter die Lupe genommen

Doch zurück zur Saatgutqualität, die grundsätzlich alle Verkäufer von Saatgut bieten sollten.

Ich zähle die Qualitätskriterien hier mal auf, die von den dazu ermächtigten Kontrollstellen im Saatgut-Zulassungsverfahren geprüft werden. Die Kontrolle findet zum Teil auf dem Feld statt, auf dem die Samenpflanzen wachsen, und zum Teil an Proben des verpackten Saatguts selbst; außerdem finden Nachkontrollen statt.

Tomatensamen gewinnen: 4. Schritt – Samen an der Luft trocknen lassen

Tomatensamen gewinnen: Schritt 5 – getrocknete Samen in beschriftetes Tütchen füllen

Die folgenden Kriterien werden auf dem Feld geprüft und sind in Anlage 2 zur Saatgutverordnung, Anforderungen an den Feldbestand, Punkt 7 Gemüse, festgelegt:

  1. Fremdbesatz:
    Der Pflanzenbestand, von dem das Saatgut gewonnen werden soll, darf nur einen gewissen Anteil an „Fremdbesatz“ enthalten. Mit „Fremdbesatz“ ist gemeint:

    • Es darf sich unter den „Samenpflanzen“ nur ein bestimmter Anteil an Pflanzen befinden, die nicht sortenecht und sortenrein sind:

      Von einer „Sorte“ darf vor dem Hintergrund der oben genannten Gesetze nur gesprochen werden, wenn diese vom Bundessortenamt zugelassen ist; im Rahmen des dazu notwendigen Verfahrens wird jede Sorte anhand genau festgelegter Merkmale beschrieben.

      Außerdem muss eine Sorte den DUS-Kriterien entsprechen: Sie muss „Distinct“ (unterscheidbar, zumindest in einem Merkmal), „Uniform“ (gleichförmig, einheitlich) und „Stable“ (stabil, d. h., sie darf sich bei Vermehrungen nicht verändern) sein.

      Dies ist alles vom Internationalen Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) penibel ausgearbeitet und im deutschen Sortenschutzgesetz (SortSchG) festgeschrieben worden.

      Sortenechtheit bedeutet, dass der Samenpflanzenbestand auf dem Feld nur aus Pflanzen bestehen sollte, die alle Merkmale der zu prüfenden Sorte zeigen (es sollte sich um die „echte“ Sorte handeln – und nicht um irgendeine andere). Ein bestimmter Prozentsatz an „Abweichern“ (Mutanten, Mischlingen) ist allerdings erlaubt.

      Mit Sortenreinheit ist gemeint, dass keine bzw. nur ein bestimmter Prozentsatz an Pflanzen anderer Sorten oder Arten, die sich mit der zu prüfenden Sorte mischen können, im Samenpflanzenbestand enthalten sein dürfen.

    • Im Feldbestand dürfen außerdem nur sehr wenige Pflanzen von anderen Arten (Beikraut/Unkraut) gefunden werden, von deren Samen das Saatgut nur schwer gereinigt werden kann oder deren Samen Krankheiten auf die „Verkaufssamen“ übertragen können.
  2. Gesundheitszustand:
    Die Pflanzen, die zur Saatgutgewinnung bestimmt sind, dürfen an den zwei, normalerweise stattfindenen Besichtigungsterminen nicht von erkennbaren Krankheiten befallen sein.
  3. Mindestentfernung:
    Das Feld mit den Samenpflanzen muss einen bestimmten Abstand zu Feldern mit Pflanzen haben, die sich mit den Samenpflanzen kreuzen können.

Nahansicht von Samen eines Roten Hokkaido oder Uchiki Kuri

Dazu kommen Kriterien für die Saatgutqualität, die anhand von Saatgutproben kontrolliert werden; diese werden ebenfalls in der Saatgutverordnung aufgezählt und zwar in Anlage 3, Anforderungen an die Beschaffenheit des Saatgutes, Punkt 7 Gemüse:

  1. Keimfähigkeit:
    Für diesen zentralen, wichtigsten Punkt für hochwertiges Saatgut sind in der Anlage gewisse Mindestwerte festgelegt. So muss z. B. das Saatgut von Möhre, Paprika und Chili, Petersilie und Aubergine eine Mindestkeimfähigkeit von 65% aufweisen; die anderer Gemüsearten sollte 65 bis 80% betragen (von 100 Samen müssen also 65 bis 80 Samen einen normalen Keimling ausbilden).

    Die Kontrollstellen prüfen die Keimfähigkeit anhand standardisierter Keimtests (siehe oben, ISTA).

    Bei Saatgut für den Ökologischen Landbau oder gebeiztem Saatgut wird oft noch ein Triebkraft-Test vorgenommen; bei diesem wird die Keimfähigkeit des Saatguts unter erschwerten Bedingungen, z. B. bei Kälte oder durch eine Gewichtsauflage, durchgeführt.

  2. Reinheit:
    „Bei der Reinheitsuntersuchung wird die sogenannte Technische Reinheit der Probe bestimmt. Dazu wird die Probe in die drei Komponenten Reine Samen, Unschädliche Verunreinigungen wie Bruchkörner und Spreu sowie Andere Samen sortiert und als Prozentsatz angegeben.“ (Landesbetrieb Hessisches Landeslabor, LHL).
    Die technische Mindestreinheit, d. h., der Anteil reiner Samen soll 95 – 97 % betragen, der Anteil artfremder Samen darf je nach Gemüseart zwischen 0,1 und 1 % liegen, immer bezogen auf das Gesamtgewicht der Probe.
  3. Gesundheitszustand:
    Ich zitiere kurz und bündig aus der Anlage 3:
    „7.2.1 Das Saatgut darf nicht von lebenden Schadinsekten oder lebenden Milben befallen sein…
    7.2.2 Das Saatgut darf nicht von parasitischen Pilzen oder von parasitischen Bakterien in größerem Ausmaß befallen sein…“
    Beides wird erst genauer geprüft, „wenn sich bei der Beschaffenheitsprüfung der Verdacht eines Befalls ergibt…“; auch in diesem Punkt gibt es natürlich wieder genau festgelegte Grenzwerte.
  4. Höchstgehalt an Feuchtigkeit:
    „Der Gehalt an Feuchtigkeit wird nur geprüft, wenn sich bei der Probenahme oder bei der Beschaffenheitsprüfung der Verdacht ergibt, dass der Höchstwert überschritten ist.“ (Anlage 3, 7.1, Anmerkung 2)
    Er soll jedoch immer zwischen 10 und 15 % liegen.
  5. Tausendkorngewicht (TKG):
    Teilweise wird auch dieses Merkmal bestimmt; es gehört jedoch nicht zu den gesetzlich vorgeschriebenen Prüfkriterien, bei denen bestimmte Anforderungen eingehalten werden müssen.
  6. Prüfung auf gentechnisch veränderte Bestandteile:
    „Die Probennahme erfolgt stichprobenartig und risikoorientiert.…
    …Der Nachweis gentechnisch veränderter Bestandteile in Saatgut erfolgt in einem zweistufigen Verfahren. Zunächst wird mit Screening-Methoden geprüft, ob gentechnisch veränderte Bestandteile in der Probe nachgewiesen werden können. Bei einem positiven Ergebnis wird anschließend durch spezifische Nachweismethoden ermittelt, um welche gentechnisch veränderte Linie es sich in der Probe handelt.…“ (Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittel, LGL)

Soweit die Übersicht über die (Mindest-)Qualitätskriterien (oder nennen wir sie auch einfach „Standards“) von Saatgut, die gewerbliche Saatguterzeuger und Großhändler einhalten müssen.
Dazu kommen dann noch zahlreiche Anforderungen an die Verpackung und deren Aufschriften.

Keimfähigkeitstest von Getreide, profimäßig ausgeführt und mit schöner indischer Musik hinterlegt – UCDavisIPO

Welche Qualitätskriterien sollte eigenes Saatgut erfüllen?

Anhand der vorgenannten Merkmale kann also die Qualität von Saatgut festgestellt werden.

Welche davon sind nun für Hobby-Gärtner*innen relevant, die eigenes Saatgut erzeugen?

Ich behaupte: kein einziges! – und belege das weiter unten detailliert.

Die staatliche Qualitätskontrolle von Saatgut dient ausschließlich dazu, Saatgut-Käufer*innen vor Betrug zu schützen (Verbraucherschutz); darüber hinaus sollen so höchstmögliche Erträge bei der industriellen Pflanzenproduktion gesichert werden.

Wer sein Saatgut selbst erzeugt, übt auch selbst die Kontrolle über dessen Qualität aus: Er weiß, ob er ausgereiftes Saatgut geerntet hat, wie alt das Saatgut ist, wie gesund die Pflanzen waren, von denen er es genommen hat, welche Eigenschaften die Samenpflanzen hatten, ob sich Schädlinge in den Samen breit gemacht haben usw.
Wer betrügt sich, wie bereits erwähnt, schon selbst?

Hobby-Gärtner*innen streben außerdem nur selten nach dem maximalen Ertrag.

Manche Merkmale, die offizell annerkanntes Qualitätssaatgut haben muss, können für Freizeit-Gärtner sogar kontraproduktiv sein.

Zwiebeln, die in diesem Jahr der Samengewinnung gedient haben

Ich betrachte nun die einzelnen Qualitätsmerkmale der Reihe nach und beurteile ihre Bedeutung für Hobby-Anbauer*innen:

  1. Die Sortenechtheit:

    Als Hobby-Gärtner*in braucht man keine Pflanzensorten mit extrem geringer genetischer Variabilität, wie sie heute für einen Maximal-Ertrag unter optimierten Anbaubedingungen „gezüchtet“ werden.

    Man braucht Sorten, die unter suboptimalen Anbaumethoden einen sicheren Ertrag bringen.

    Dazu sind samenfeste Sorten mit breiter genetischer Basis weitaus besser geeignet: Dann können immer einige Varianten (Pflanzen) dabei sein, die einen Ertrag bringen, auch wenn die meisten versagen. Bei genetisch extrem einheitlichen Sorten versagen im Extremfall alle Pflanzen.

    Außerdem können Mutanten und zufällig entstandene Mischlinge, die im selbst erzeugten Saatgut enthalten sind, hervorragende Ausgangspflanzen für Verbesserungen oder Neuerungen sein.

    Wenn man diese nicht haben will, mustert man sie eben aus, verwendet sie nicht für die nächste Samengewinnung.

  2. Sortenreinheit:

    Bei der Sortenreinheit ist es genauso wie bei der Sortenechtheit: Falls einem irgendwie ein paar Samen oder etwas Pflanzgut von anderen Sorten in die Saatgutpartie gekommen sind, stören diese beim Anbau selten – wenn ja, kann man sie aus dem Bestand entfernen, sobald man sie entdeckt – essen kann man sie oder ihre Früchte immer.

    Man verwendet diese, einer anderen Sorte zugehörigen Exemplare selbstverständlich nicht für die weitere Samengewinnung – es sei denn, man möchte sein „Sorten“-Spektrum erweitern.

    Selbst erzeugtes Saatgut wird also allein schon aufgrund mangelnder Sortenechtheit und -reinheit selten von einer offiziellen Stelle ein Qualitätssiegel erhalten; darüber sollte man sich jedoch freuen; denn man hat Samen von Pflanzen, die im eigenen Garten optimal gedeihen.

  3. Besatz mit Samen fremder Arten (Unkrautsamen):

    Seinen Samenpflanzenbestand kann man selbst so unkrautfrei halten, dass nur äußerst selten andere Samen in die Tütchen kommen. Und wenn das doch mal passieren sollte, dann sind das Samen von Pflanzen, die sowieso schon zu Hunderten im eigenen Garten wachsen und (zu) oft auch aussamen.

  4. Gesundheit der Samenpflanzen:

    Die Gesundheit der Pflanzen kann jeder selbst einschätzen; jeder kann selbst entscheiden, ob er Samen von ihnen verwendet oder nicht. Saatgut von kranken Pflanzen wird man kaum ernten, vor allem dann nicht, wenn es sich um Krankheiten handelt, die mit den Samen verbreitet, in diesem Fall: im eigenen Garten behalten werden.

    Neue Krankheiten schleppt man sich eher mit gekauftem Saatgut ein; denn dieses muss nur bestimmte Grenzwerte einhalten – es muss nicht vollständig krankheitsfrei sein!

  5. Mindestabstand zu Pflanzen, die sich mit den Samenpflanzen kreuzen können:

    Auch in diesem Punkt spielt die gewünschte Sortenechtheit eine Rolle. Wenn man verhindern will, dass sich die Sorte, die man vermehren will, mit anderen Sorten mischt, muss man gewisse Mindestabstände beachten, falls andere Pflanzen verwandter Sorten zur selben Zeit blühen.

    Bei manchen Arten, die mehrere, sehr unterschiedliche „Varianten/Sorten“ besitzen, die sich gegenseitig befruchten können und dadurch ihre Eigenart verlieren, wie z. B. Kohl (Blumen-, Weiß-, Rot- und Grünkohl, Wirsing, Kohlrabi usw.), darf man immer nur eine „Variante“ pro Jahr blühen lassen (oder man hält einen gewissen Mindestabstand ein).

    Wenn sich allerdings zwei Weißkohl-Sorten im eigenen Garten mischen, wird einem der Unterschied kaum auffallen; auch hier gilt: Je breiter die genetische Basis, desto größer die Chance auf Pflanzen, die an die eigenen Verhältnisse bestens angepasst sind.

    Die Mindestabstände liegen zwischen 300 und 1000 Metern, also nicht die Welt; bei Kohlpflanzen z. B. sollte der Mindestabstand zwischen verschiedenen, blühenden „Varianten“ (z. Weiß- und Rotkohl) 600 bis 1000 Meter betragen.

    Diese Abstände sind abhängig von der Geländebeschaffenheit: Bei ebenem, offenem Gelände ohne Häuser und Bäume sollte der Abstand am oberen Ende des angegebenen Mindestabstands liegen; wenn dem Wind und den Insekten solche Hindernisse „im Wege“ stehen, kann er am unteren Ende liegen (bei Mais genügt übrigens laut SaatgutV, Anlage 2, Punkt 2.4.2 ein Abstand von 200 Metern, um eine Fremdbefruchtung auszuschließen).

    Nun gibt es ein paar (wenige) Pflanzenarten, die Formen besitzen, die möglichst von der Einkreuzung in die eigenen Gemüse-Sorten abgehalten werden sollten; ich nenne hier mal die Wildmöhre und den Zierkürbis.

    Doch selbst in diesen Fällen trifft das zu, was ich oben bei der Sortenechtheit und Sortenreinheit schon geschrieben habe: Falls eine Einkreuzung stattgefunden hat – dies passiert immer nur vereinzelt und kann zumeist leicht am Nachwuchs erkannt oder geschmeckt werden – dann benutzt man diese Pflanzen natürlich nicht für die Samengewinnung im folgenden Jahr. Dadurch entfernt man solche Einkreuzungen ruck zuck wieder aus dem eigenen Saatgut.

    Außerdem muss man wissen, dass sich nur Sorten derselben Art miteinander vermischen können. Pflanzen unterschiedlicher Arten können in der Regel keine Nachkommen bilden (das ist ein wichtiges Abgrenzungsmerkmal von Arten); in seltenen Fällen kann es vorkommen, dass nahe verwandte Arten sich noch miteinander kreuzen, also Nachkommen zeugen können (Esel und Pferd z. B.); diese sind aber in den allermeisten Fällen unfruchtbar, d. h., sie können keine fruchtbaren Samen mehr bilden.

    So können sich z. B. Kopfkohl-Arten nicht mit Raps oder Radieschen vermischen; auch ein Zierkürbis kann sich nicht mit einem Roten Hokkaido kreuzen (nur mit einer Zukkini).

  6. Keimfähigkeit:

    Wenn man jedes oder wenigstens jedes zweite Jahr frische, gut ausgereifte (das ist wichtig) Samen gewinnt und diese dunkel, kühl und trocken lagert, dann ist eine gute Keimfähigkeit immer gewährleistet, da braucht man sich keine Sorgen zu machen.

    Man kann sich aber auch an dieser Tabelle der ARCHE NOAH über die „Haltbarkeit und Keimung von Saatgut: Richtwerte für Lagerung und Keimtests“ orientieren und nur nach der dort als P50-Wert angegebenen Anzahl an Jahren neues Saatgut erzeugen. Danach droht die Keimfähigkeit nämlich unter 50 % zu sinken; aber auch das stellt noch kein wirkliches Problem dar: Man sät dann einfach mehr Samen aus als bei gut keimfähigem, sprich: frischem Saatgut.

    Wenn man sich nicht sicher ist, ob das Saatgut noch keimfähig ist, ahmt man halt die Profis nach und testet rechtzeitig die Keimfähigkeit: Eine abgezählte Anzahl an Samen wird auf (Lichtkeimer) oder zwischen (Dunkelkeimer) angefeuchtetes Küchenpapier gelegt, mit einem durchsichtigen Glas (Wasserglas, Einmachglas) abgedeckt, an einen warmen Platz gestellt und feucht gehalten. Nach einer bestimmten Zeit (5 bis 20 Tagen) sollten genügend Samen einen Keimling zeigen.

    Wenn man die Anzahl der Keimlinge durch die Anzahl der ausgelegten Samen teilt, erhält man die Keimfähigkeit des Saatguts in Prozent. Bei „Kistengrün“ gibts noch eine ausführlichere Anleitung dazu.

  7. Reinheit:

    Dieses Kriterium ist für selbst erzeugtes Saatgut nicht relevant; man bezahlt ja nicht für die Anteile, die nicht als Samen zählen. Außerdem hängt der Reinheitsgrad des eigenen Saatguts in erster Linie davon ab, welche Mühe man sich mit der Reinigung gibt.

    Enthält das Saatgut einen größeren Anteil an „Spreu“, sät man eben etwas mehr „Material“ aus.

  8. Gesundheitszustand:

    Die Gesundheit der Samen, d. h., dass sie nicht von Bakterien, Pilzen oder Insekten befallen sind, kann man ebenfalls selbst beeinflussen. Meistens reicht eine trockene Lagerung aus, um diese Schadorganismen abzutöten oder in ihrer Entwicklung zu hemmen – falls sie einmal von diesen befallen sein sollten.
    Teilweise kann man diesen Effekt auch durch zeitweiliges Tiefgefrieren erreichen (bei Bohnen z. B.).

    Zur Sicherheit kann man Samen vor dem Säen aber auch mit heißem Wasser oder anderen physikalischen Verfahren behandeln und damit die meisten Krankheitserreger abtöten.

    Bei eigenem Saatgut weiß man zumindest, was man hat. Man hat bestenfalls die Krankheiten im Garten, die ohnehin schon vorhanden sind.

    Bei zugekauftem Saatgut kann man jedoch nichts ausschließen: Dieses Saatgut wird zwar stichprobenartig geprüft, aber die Kontrollen sind eben sehr begrenzt, außerdem sind Irrtümer und Korruption menschlich. Darüber hinaus müssen immer nur Grenzwerte eingehalten werden; eine Krankheitsübertragung durch zugekauftes Saat- oder Pflanzgut ist durch die amtliche Kontrolle keinesfalls ausgeschlossen – nur die Wahrscheinlichkeit ist (etwas) geringer.

    Bei Saatgut, das man von unkontrollierten Stellen bezieht, wie z. B., als „Zierpflanzen-Saatgut“ deklariertes Gemüse-Saatgut über das Internet oder über Tauschbörsen, ist die Gefahr, sich Krankheiten in den Garten einzuschleppen, (stark) erhöht.

    Das sollte jeder immer bedenken, wenn er Saat- oder Pflanzgut kauft.

  9. Freiheit von gen-technisch veränderten Bestandteilen:

    Die Sicherheit vor derartigen Bestandteilen ist nirgendwo größer als bei eigenem Saatgut. Es ist zwar heutzutage nicht mehr auszuschließen, dass sich unbemerkt künstlich eingesetzte, genetische Anteile in die eigenen Pflanzen einkreuzen, aber in Europa sind gen-technisch veränderte Pflanzen nicht amtlich zugelassen und deshalb auch nicht verbreitet.

    Diese Gefahr ist bei Gemüsesaatgut, das von den Profis rund um die Welt vermehrt und eingekauft wird, weitaus größer; denn in vielen Ländern der Welt dürfen gen-technisch veränderte Pflanzen ohne Einschränkung angebaut werden.

Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass die Qualität des eigenen Saatguts in den allermeisten Fällen besser ist als die des zugekauften, dass sie zumindest in den allermeisten Fällen auch ohne große Mühe selbst entsprechend beeinflusst werden kann.

Kleiner Bestand an Zwiebel-Samenpflanzen

Verarmt der Genpool, wenn ich eigenes Saatgut gewinne?

Bei der Beantwortung dieser Frage muss man deutlich zwischen Selbst- und Fremdbefruchtern unterscheiden.

  • Selbstbefruchter:

    Bei Selbstbefruchtern kann der Genpool nicht verarmen; er ist schon arm, weil Selbstbefruchter immer sehr stark reinerbig (homozygot) sind: Auf beiden Chromosomensätzen liegen die gleichen Gene, es sind die gleichen Eigenschaften in den korrespondierenden Genen kodiert.

    Bei einer Befruchtung mit den eigenen Pollen, die bei Selbstbefruchtern üblich ist, verändert sich an diesem Zustand nichts. Derartige Selbstbefruchter zeigen keinerlei Nachteile durch dieses hohe Maß an „Inzucht“; sie gedeihen genauso gut wie heterozygote Exemplare derselben Sorte, wie Pflanzen also, die durch eine Kreuzung mit einer anderen Sorte entstanden sind.

    Da aber immer winzige Mutationen auftreten, können sich nach einer Weile die einzelnen Pflanzen (äußerlich möglicherweise nicht sichtbar) unterscheiden.

    Um nun eine gewisse genetische Variation in seiner Selbstbefruchter-Sorte zu haben, wird empfohlen, immer Samen von mehreren (3 bis 10) Pflanzen zu gewinnen (obwohl eine Pflanze vollkommen ausreichen würde). Dann hätte man keinen genetisch zu sehr einheitlichen Pflanzenbestand – so wie die Profi-Anbauer – und, keinen Totalverlust zu beklagen, wenn eine genetische Variante mal von den Unbilden der Umwelt behindert oder gar gänzlich dahingerafft wird.

    Selbstbefruchter sind z. B. Tomate, Paprika, Busch- und Stangenbohne, Erbse sowie Tabak.

  • Fremdbefruchter:

    Anders sieht die Sache bei Fremdbefruchtern, wie Kohl, Möhre oder Zwiebel aus. Bei diesen Arten ist die genetische Variabilität innerhalb jeder Sorte relativ groß. Die einzelnen Pflanzen dieser Arten können nicht vollständig reinerbig sein; dies würde zu so genannten Inzucht-Depressionen, zu schwächelnden Pflanzen also, führen.

    Wenn man von Fremdbefruchtern immer nur wenige Pflanzen zur Samengewinnung nutzt – was ja bei Hobby-Gärtner*innen häufig der Fall sein wird – wird immer nur ein (kleiner) Teil der genetischen Verschiedenheit in die nächste Generation gelangen, ein Teil geht verloren. Erst wenn man 100 oder mehr Pflanzen einer Fremdbefruchter-Sorte zur Saatgutgewinnung nutzt, soll deren gesamte Variation erhalten bleiben (Manual of seed handling in genebanks, S. 112).

    Um diese Verarmung zu verdeutlichen, hier ein kleines Beispiel: Angenommen ich habe zehn Pflanzen, die sich jeweils in einem Gen unterscheiden. Jedes dieser Gene wird durch eine Ziffer von 1 bis 10 bezeichnet.
    Wenn ich von diesen zehn Pflanzen nur drei zur Fortpflanzung kommen lasse, gehen sieben Gene auf jeden Fall verloren, die nicht in die folgende Generation übertragen werden können.
    Dieses (statistische) Phänomen wird als „Gendrift“ bezeichnet.

Mein Admiral tut, was er kann, um die Verarmung des Genpools zu verhindern

Bei Fremdbefruchtern kommt es also tatsächlich zu einer Verarmung des Genpools, wenn man zu wenig Pflanzen zur Samenerzeugung benutzt; die daraus resultierende „Inzucht“ würde sich über kurz oder lang in einer verringerten Wüchsigkeit oder einem mäßigen Samenansatz bemerkbar machen; doch dagegen helfen ganz einfache Maßnahmen.

Wie vermeide ich die Verarmung des Genpools bei Fremdbefruchtern?

Das Problem der Inzucht bei Fremdbefruchtern, wie zuvor dargestellt, kann auf zweierlei Weise sehr leicht gelöst werden:

  1. kann man seine Sorte alle paar Jahre mit einer (oder mehreren) anderen Sorte(n) derselben Art mischen und dadurch den Genpool wieder erweitern
  2. kann man Samen der eigenen Sorte bei anderen Hobby-Vermehrern gegen Samen derselben Sorte tauschen und anschließend beide Gruppen gemeinsam blühen lassen.
    Auf diesem Wege erweitert man ebenfalls wieder den Genpool seiner Sorte, vermeidet aber, dass sie sich in größerem Ausmaß verändert, so wie das geschieht, wenn man sie mit anderen Sorten kreuzt.

Selektion meiner zukünftigen Samenträger (eindeutig zu wenig; aber ich freue mich auf ihre genetische Mischung)

Möhren und Rote Bete, die mir 2019 Samen liefern sollen, für die Überwinterung präpariert

Kann sich fremdes Genmaterial in mein Saatgut einkreuzen?

Diese Thematik habe ich oben im Kapitel „Qualitätsstandards“ schon ausführlicher behandelt; deshalb fasse ich die entscheidenden Punkte noch einmal kurz zusammen:

Es kann ohne jeden Zweifel passieren, dass die eigenen Samenpflanzen mit dem Pollen anderer Sorten bestäubt werden, vor allem, wenn diese in ungenügendem Abstand zu den eigenen Pflanzen wachsen und blühen.
Eine derartige Kreuzung wird sich dann mit einiger Sicherheit bemerkbar machen, wenn Pflanzen aus diesen Samen erwachsen.

Da man aber die Pflanzen, die in jenem Jahr zur Saatgutgewinnung genutzt werden sollen, selbst nach bestimmten Kriterien auswählt (selektiert), kann man alle Typen, die diese Kriterien nicht erfüllen, aussortieren und somit wieder aus dem künftigen Saatgut entfernen.

Ansonsten lassen sich unerwünschte „Fremdbestäubungen“ vermeiden, indem in einem Jahr nur die gewünschte Sorte vermehrt wird und alle sonstigen unerwünschten Bestäuberpflanzen beseitigt bzw. auf Abstand gehalten werden.

Ich persönlich finde Befruchtungen durch andere Sorten ja superinteressant und spannend, da ich aus ihnen neue Sorten auslesen kann; so will ich z. B. eine Rote Kidney-Stangenbohne aus einer solchen zufälligen Kreuzung verschiedener Bohnensorten entwickeln.

Es ist aber ganz bestimmt nicht so super, wenn sich eine Trockenbohnensorte mit einer „Grüne-Bohnen“-Sorte mischt und diese mit zähen Fäden „verschlechtert“; doch auch hier hilft die strenge Auswahl der Samenpflanzen, um diesen Zustand wieder zu korrigieren.

Aus einer Kreuzung enstandenes, „unreines“ Bohnensaatgut (im Notfall, aber auch sonst, essbar)

Gewinne eigenes Saatgut!

…ist meine eindeutige Antwort auf die eingangs aufgeworfene Frage.

Die möglichen Probleme bei der eigenen Saatguterzeugung sind minimal und leicht lösbar. Die Vorteile für jede*n einzelne*n Freizeit-Anbauer*in mögen nicht sooo groß sein, das ist korrekt, aber für die Menschheit sind sie enorm.

In meinem Beitrag „Hobby-Gärtner rettet die Menschheit!“ habe ich versucht, die Bedeutung der Saatgut-Selbstversorgung darzustellen.

Ich fasse sie noch einmal in zwei Sätzen zusammen:

  1. geht es um die Sicherung und Vermehrung der genetischen Vielfalt unserer Kulturpflanzen; denn nur aus vorhandenen Genen können bei Umweltänderungen genetisch angepasste Kulturpflanzen ausgewählt werden (genauer: kann die veränderte Umwelt sie selektieren).
  2. werden die selbst angebauten und selbst vermehrten Nutzpflanzen an das eigene „Milljöh“ (Anbaubedingungen, Boden und Klima) angepasst.

Außerdem kann man ein bisschen Geld sparen und sich vielfältig überraschen lassen, was aus dem eigenen Saatgut so erwächst.

Ich hoffe auf jeden Fall, dass die eigene Saatgutgewinnung eines Tages, wenigstens unter Hobby-Gärtner*innen und Bio-Bäuer*innen, wieder selbstverständlich wird.

Auf „Mitesser“ gilt es zu achten: Räupchen labt sich an einem Feuerbohnensamen, Marke „Kaliningrad“

Woher Saatgut-Starter-Kits nehmen?

Natürlich muss man irgendwann mit irgendwelchen Samen anfangen.

Ich habe zu Beginn meiner gärtnerischen Betätigung einfach die Samen genommen, die ich in dem zum Essen gekauften Gemüse gefunden habe, Tomate, Paprika, Melone, Kürbis und Aubergine z. B.

Paprikasamen ernten

Bei einigen geht das; aber viele Gemüsearten aus dem Supermarkt haben noch keine Samen ausgebildet, weil sie im „Jugendstadium“ verkauft werden (Gurken, Aubergine, Zukkini), oder enthalten überhaupt gar keine Samen mehr (Weintraube, Wassermelone).

Bei solcherart gewonnenem Saatgut ist man jedoch mit der „F1-Hybrid-Problematik“ konfrontiert – fast das gesamte Gemüse des Massenanbaus wird mit F1-Saatgut erzeugt: Man hält dabei „Mischlingssaatgut“ in Händen; aber auch daraus wächst natürlich etwas, das man essen und weitervermehren kann – nur weiß man eben nicht genau, was.

Paprika-Ernte 2018; (fast) alle Samen entstammten letztlich gekauften Früchten

Überraschungen kann man aber genauso gut erleben, wenn man sich aus Tausch-Boxen, bei Tauschbörsen oder auf Internet-Tauschseiten bedient. In solchen Fällen zahlt man nur nichts oder nur mit eigenem – ungeprüftem – Saatgut.

Ärgerlicher kann die Sache sein, wenn man bei Unbekannten über das Internet Saatgut kauft – man bezahlt oft teuer dafür: hoher Preis, schlechte Qualität (siehe oben).
Wenn der Betrug hier zunimmt, wünscht sich mancheiner vielleicht auch beim Internet-Samenhandel eine Kontrollstation.

Diese Möhrensamen aus der Türkei waren einwandfrei; ein Tütchen mit Paprikasamen von dort enthielt kein einziges keimfähiges Korn

Auf der sicheren Seite ist man auf jeden Fall mit samenfestem Saatgut von anerkannten Erzeugern, die selbst und amtlich geprüftes Saatgut veräußern (wenn man es direkt bei ihnen bestellt. Bei anderen Händlern sollte man zumindest auf die aufgedruckte Jahreszahl achten; denn bei diesen weiß man nicht, was die mit dem Saatgut wissentlich oder unwissentlich anstellen):

Zum Abschluss dieses doch wieder viel zu lang gewordenen Beitrags biete ich für ausdauernde Leser*innen ein paar (amüsante) Videos über die Profi-Szene der Saatgut-Erzeuger: einen zwei-teiligen Film aus DDR-Produktion von 1961 über die Saatgut-Firma N. L. Chrestensen aus Erfurt, einen informativen Fernseh-Beitrag des MDR vom 7. April 2018 über die „Samen-Hauptstadt Quedlinburg“ sowie einen „Kurzfilm“ des Saatzuchtkonzerns KWS Saat AG über die Erzeugung ihres Getreidesaatguts:

An der Wiege schöner Gärten, Teil 1, 1961

An der Wiege schöner Gärten, Teil 2, 1961

Bericht des MDR über die „Samen-Hauptstadt Quedlinburg“ und die dortigen Saatgut-Produzenten

Werbefilm der Kleinwanzlebener Saatzucht (KWS) über den Herstellungsprozess von Getreidesaatgut