Tunnelblick

oder: Welchen Kummer ein Folientunnel verursachen kann.

In der Wikipedia gibt es unter dem Stichwort „Tunnelblick“ u. a. folgende Erklärungen:

  • ein Symptom in der Augenheilkunde (zum Beispiel bei Retinopathia Pigmentosa): Röhrengesichtsfeld, konzentrische Einengung des Gesichtsfeldes auf einen zentralen Rest
  • in der Psychologie die Einschränkung des Gesichtsfeldes durch eine eingeschränkte Wahrnehmung des Gehirns, beispielsweise durch Alkoholeinwirkung oder durch gleichzeitige Konzentration auf mehrere Tätigkeiten
  • im übertragenen Sinne die Unfähigkeit oder Unwilligkeit, Dinge wahrzunehmen, die außerhalb dessen liegen, wofür sich der Betroffene aktiv interessiert – „Scheuklappen“; siehe auch Fachidiot

Ich habe nun im folgenden eine Visualisierung der genannten Erklärungen (vor allem der letzten) anzubieten: den Blick in meinen Folientunnel – über ein halbes Jahr lang.

Der Blick in die Zukunft, (Folien)Tunnelblick am 28. Juni 2014)

Der Blick in die Zukunft, (Folien)Tunnelblick am 28. Juni 2014

Nichts hat mich im Jahr 2013 mehr interessiert, nichts hat meinen Blick mehr eingeengt als dieser Folientunnel: ich habe nur an eine wunderbare Tomatenernte gedacht.

Es gibt für mich keinen schöneren Aufenthaltsort als ein Folientunnel im Regen (er mag nur noch von einem Gewächshaus im Regen übertroffen werden). Man hört den Regen um sich her prasseln und sitzt trotzdem im Trockenen, man ist draußen und doch drinnen, es ist licht und hell und trotzdem ist das Licht gedämpft und nicht blendend.
Und wenn die Sonne knallt und es dort drinnen kochendheiß wird, macht man einfach die beiden Frontseiten sperrangelweit auf, so dass ein leichter Durchzug entsteht – und schon ist die Welt wieder in Ordnung.

So hatte ich das vor Zeiten im Garten meines früheren Kumpels Martin erlebt, und so wollte ich das wieder erleben – in meinem eigenen Garten.

Nun ist so ein stabiler, solider Folientunnel für Unsereinen, der sich kaum selbst ernähren kann, unerschwinglich, denn da muss man schon seine 1500-2000€ hinblättern. Was bleibt einem da anderes übrig, als eine selbst ausgedachte (und selbst fabrizierte) Billiglösung (soweit man 700€ für billig halten kann). Da ich diesen Prozess in einem eigenen Bericht ausführlich darstellen will, beschränke ich mich hier auf die Nennung der wesentlichen Bestandteile: Folie, Baustahl, Abwasserrohr, Beton und PE-Wasserleitung.

Aus diesen Zutaten erwuchs also im Laufe des Frühjahrs 2013 der Tunnel.

Die Tomaten standen schon an ihren Plätzen als mein großer Sohn (und seine damalige Freundin) Mitte Juni die vorgefertigten Teile mit mir zum vorgesehenen Endprodukt vereinten. Bei ersten Vorversuchen war meine Frau mir schon zuvor zur Hand gegangen.

Die ganze Aktion war nur mäßig durchgeplant und ebenso wenig vorbereitet. Nach Augenmaß hob ich die Löcher für die „Fundamente“ der Bögen aus (es waren ja nicht nur ihre Abstände in der Fläche zu beachten, sondern auch die in der dritten Dimension), und entsprechend war das Ergebnis: der Tunnel stand zwar irgendwie am Ende, aber ohne Perfektion (so, wie alles in meinem Leben).

Nun ja. Er überstand das Jahr – und dabei sogar ein ordentliches Gewitter (aber dieses womöglich nur wegen meines inbrünstigen Gebets zu einem unbekannten Gott).

Ich habe auch die eine oder andere Stunde in ihm genossen, habe die Tomaten sich prächtig entwickeln gesehen – und musste dann ohnmächtig ihrem Siechtum beiwohnen: der Folientunnel hat als Entwicklungshilfe für Tomaten nicht das erfüllt, was ich erwartet hatte: die Tomatenpflanzen waren durch ihn zwar vor Regengüssen und ähnlichen Witterungsunbilden geschützt, nicht aber vor der intensiven Kondenswasserbildung, die in ihm den ganzen Sommer über stattfand.

Ich hatte dergleichen bisher in keinem Tunnel erlebt, auch in meinem kleinen Gewächshaus hatte so etwas noch nie stattgefunden. Im Tunnel aber waren die Pflanzen jeden Morgen mit zahlreichen Wassertröpfchen an den Blatträndern behangen, ebenso die Innenseite der Folie.

Tomatenblätter mit Kondenswassertröpfchen - wunderschön anzusehen, aber nur schwer auszuhalten

Tomatenblätter mit Kondenswassertröpfchen – wunderschön anzusehen, aber nur schwer auszuhalten

Im Laufe des Vormittags tropften diese nun von oben nach unten – so wie das auf der Erde üblich ist. Die Pflanzen waren dann eine längere Zeit des Vormittags so feucht, als hätten sie im Regen gestanden.
Das blieb natürlich nicht ohne Auswirkungen: die Braunfäule entwickelte sich nun ebenso prächtig wie bislang die Tomaten – bis alles in braunem, faulen Matsch versank (OK, ich übertreibe: ich habe schon noch eine zufriedenstellende Menge an Tomaten ernten können).

Warum, wieso, weshalb tut mir der Folientunnel das an?
Auf diese Frage habe ich bisher keine zufriedenstellende Antwort.

Anfänglich dachte ich, es läge daran, dass sich im Laufe des Tages die Luft im Tunnel stark erhitzt und deshalb eine große Menge Wasserdampf aufnimmt, die sich dann eben in der Kühle der Nacht an den Pflanzen und der Innenseite des Tunnels niederschlägt. Alles sei also nur eine Frage der Lüftung. Daraus entstand die Idee, den Tunnel im folgenden Jahr (2014) auf einer Längsseite zur Hälfte offen zu lassen.

Abgesehen davon, dass dies die Standfestigkeit des Tunnels bei Wind massiv beeinträchtigt hätte, waren ja die beiden Querseiten des Tunnels (mehr oder weniger) vollständig offen gewesen, was für einen Luftaustausch eigentlich hätte ausreichen müssen. Außerdem musste ich feststellen, dass auch die Pflanzen im Freiland des Morgens oft mit einer Tauschicht bedeckt waren. Lüften wäre also wahrscheinlich nicht wirklich eine Lösung.

Als nächstes dachte ich, dass das Problem dadurch verursacht würde, dass die Feuchtigkeit hauptsächlich von der Folie herabtropft. Die Tropfen sammeln sich an der oberen Rundung des Tunnels und laufen von dort nicht mehr an den Wänden herab.

Kondenswasser am Scheitelpunkt des Tunnels (Juli 2013)

Kondenswasser am Scheitelpunkt des Tunnels (Juli 2013)

Ich dachte also daran, diese Tropfen von den Pflanzen fernzuhalten, indem ich innerhalb des Tunnels ein spitzwinkliges Foliendach über den Tomaten erbaue. Doch auch diese Idee verwarf ich, als ich sah, dass die Pflanzen selbst mit unzähligen Tröpfchen behangen waren, die auf die unteren Blätter fielen, die Tropfen von ganz oben also nur ein kleiner Teil des Problems waren.

Meine Frage ist nun: wieso tritt das Problem nicht im kleinen Gewächshaus auf? Dort hatte ich mit Taubildung bisher überhaupt kein Problem, auch wenn es völlig offen stand und feuchtigkeitsgesättigte Luft freien Zutritt hatte.

Im Moment neige ich der Meinung zu, dass es daran liegt, dass der Boden im Gewächshaus seit Jahren keinen Regen mehr abbekommen hat und deshalb in den oberen Schichten deutlich trockener ist. Aus diesem Grund will ich im kommenden Winter den Folientunnel stehen lassen, um zu sehen, ob dies eine positive Auswirkung auf die Taubildung im nächsten Jahr hat – auch wenn dadurch die Haltbarkeitsdauer der Folie verringert wird (die allerdings auch durch den Auf- und Abbau ziemlich gelitten hat).

Ein weiterer Grund könnte noch die Anzahl der dem Tunnel innewohnenden Tomatenpflanzen sein. Möglicherweise werde ich auch diesen Faktor 2015 modifizieren (obwohl mir das besonders schwer fallen dürfte).

Na mal sehen, was passiert und wie es weitergeht und was mir noch so einfällt – ich werde weiter berichten.
Wer allerdings weitere, erfolgversprechende Lösungsvorschläge beizusteuern hat, der möge das bitte (bitte!) tun: er wird mit einem 10%igen Tomatendeputat nicht unter drei Jahren belohnt!