Sammelreise nach Schweden

oder: Wie ich mir die Kartoffelsorte „Deutsche Blaue“ persönlich in Eskilstuna abhole.

Im letzten Jahr war ich in den Weiten des Internets irgendwie auf eine in Schweden beheimatete – und dort „Tysk Blå“ genannte – Kartoffelsorte gestoßen, und es war mir sofort klar: Diese „Deutsche Blaue“ war sicherlich vor Zeiten aus Deutschland ausgewandert und sollte irgendwann wieder in heimatlicher Erde begraben werden, wenn es sein musste, mit meiner Hilfe.

So kam es, dass sich mein Sinnen und Trachten eine ganze Weile darauf richtete, diese Kartoffelsorte für meinen Garten zu gewinnen.

Das Objekt der Begierde: Die schwedische Kartoffelsorte „Tysk Blå“ (Deutsche Blaue)

Aber all‘ meine Bemühungen, diese Sorte aus Schweden zurück in die angestammte Heimat zu bekommen, waren vergebens. Die Nordische Genbank wollte und konnte sie mir nicht zukommen lassen, ein dänischer Kontakt hatte ebenfalls keinen Erfolg, eine schwedische Gärtnerin hatte sie wieder verloren und Eva von der schwedischen Internet-Versand-Gärtnerei „Odlarglädjen“ wollte sie mir aus rechtlichen Gründen (Pflanzenschutzvorschriften) nicht schicken, um ihre Geschäfte nicht zu gefährden. Und mehr Anbieter konnte ich nicht ausfindig machen.

Da kam mir im Winter die Idee, mich zu meinem dritten Frühling mit einem Trip nach Stockholm zu beschenken, um mir ein paar Knollen der „Tysk Blå“ (oder wie sie in Skandinavien sonst noch genannt wird: Ellakka, Jutkula Punainen, Jäämeren sininen, Kokko, Puikula, Punainen Puikula, Vuokatin musta, Svenske Poteter, Blå Mandel, Blå Ubbarp, Röpära) persönlich bei Eva von „Odlarglädjen“ („Wachsen der Freude“) abzuholen; denn Eva lebt nur gut 100 km von Stockholm entfernt, in Eskilstuna.

Ich weiß, es klingt verrückt (nein, das ist es auch!): Ich bin vor allem aus diesem Grund nach Stockholm gereist.

Stockholm selbst schien mir keiner Reise wert. Als ich dort 1997 einmal kurz den Zug wechseln musste und ein Viertelstündchen Zeit hatte, vor den Central-Bahnhof zu treten, sah ich nur eine ziemlich langweilige Ansammlung von modernen Gebäuden und Baustellen, durch die in der Ferne ein paar ältere Bauten durchschienen. Dieser kurze Eindruck prägte mein Bild von Stockholm: Wenn schon im Zentrum, am Hauptbahnhof, nichts Interessantes zu sehen ist, was sollten dann die „Ränder“ zu bieten haben?.

Der Platz vor dem Hauptbahnhof

Aber die Tysk Blå war mir diese Reise wert!

Meine Liebste konnte sich leider nicht von der Arbeit freimachen, um mich auf meinem Sammeltrip zu begleiten, doch meine liebe Schwester war dazu bereit, so dass ich nicht allein in fremde Lande reisen musste.

Kurz vor dem Abflug

Flug und Unterkunft waren schon zu Weihnachten gebucht, so dass mein Geburtstag und damit das Abreisedatum langsam näher rücken konnten. Mit Eva hatte ich damals ausgemacht, im Frühjahr noch einmal über ihr dann verfügbares Kartoffelangebot zu konferieren.

Als ich ihre Webseite kurz vor der Reise aufrief, um mir neben der“Tysk Blå“ noch ein paar andere schwedische Kartoffelsorten auszusuchen, musste ich zu meinem Schrecken feststellen, dass dort überhaupt keine Kartoffeln mehr gelistet waren.

Schreck lass nach! Sollte die Reise jetzt „nur“ nach Stockholm gehen und ihren eigentlichen Zweck verfehlen?

Mit dem obigen Bild (und diesem Bericht) habe ich es ja schon verraten: Evas Lieferanten hatten zwar über den Winter herbe Verluste erlitten, so dass Eva keine Kartoffeln auf ihrer Webseite anpreisen konnte; doch sie selbst hatte einige Exemplare vor Kälte und Mäusen retten können, die sie mir überlassen wollte.

Leichten Herzens konnte ich also vom Berlin-Tegeler Boden abheben und frohen Herzens in Stockholm-Arlanda einschweben.

Abgehoben!

Überflug über Stockholm, kurz vor der Landung in Arlanda

Schon wenige Blicke in einen kleinen Reiseführer, den mir meine Liebste geschenkt hatte, hatten mein bisheriges Bild von Stockholm bedenklich ins Wanken gebracht; die ersten Gänge durch die Stadt zerstörten es endgültig und setzten an seine Stelle das Bild einer großartigen Stadt, mit einer komplett erhaltenen Innenstadt (Gamla Stan), vielen beeindruckenden alten und neuen Gebäuden sowie großen Stadtvierteln, die am Ausgang des 19. Jahrhunderts entstanden waren und nur punktuell mit passenden, modernen Gebäuden ergänzt wurden und werden.

Angekommen! Blick von „Gondolen“ über fertige Verkehrsbauwerke und solche im Bau, im Hintergrund „die Stadt“

Selbstverständlich gibt es auch in Stockholm grässliche Bausünden, ausufernden Verkehr, ewige Baustellen und endlose Vorstädte, aber soweit die Füße tragen (und wir waren ausschließlich zu Fuß unterwegs) macht die innere Stadt einen imposanten Eindruck, der durch viel Wasser und zahlreiche Parks, durch Hügel, glatt polierte Felsen und steile Treppen aufgelockert wird.

Die nachfolgende Bildergalerie zeigt ein paar Eindrücke von der Stadt; ich habe Bilder verschiedener Rundgänge zu einem Rundgang zusammengefasst.

Das riesige Freilicht-Museum „Skansen“, eine Mischung aus Museum, Zoo und Freizeitpark, im „Park-Insel-Stadtteil“ Djurgården habe ich mir leider nicht ansehen können; dort hätte ich bestimmt noch einiges über vergangene Zeiten und Kartoffelsorten erfahren können – aber Stockholm ist auf jeden Fall einen zweiten Besuch wert.

Nachdem ich also schon von Stockholm restlos überzeugt war, machten wir mit Regionalzug und Bus den Abstecher nach Eskilstuna, genauer gesagt, nach Eskilstuna Barva-Hummelkärr, um dort „meine“ Kartoffeln in Empfang zu nehmen.

Mein gesamtes Denken war so von den Kartoffeln bestimmt, dass ich zwar einen guten Plan für die Hinreise gemacht, die Rückreise aber vollkommen unbedacht gelassen hatte. Wir wären erst in stockfinsterer Nacht (wenn überhaupt) nach Stockholm zurückgekehrt, wenn uns die hilfsbereite Eva nicht einige Kilometer mit ihrem Fahrzeug an eine häufiger bediente Bushaltestelle transportiert hätte.

„Ja, mal wieder Glück gehabt!“, muss ich gestehen.

Nachdem ich die „Deutsche Blaue“ (zusammen mit „Blå Dalsland“ und „Jämtlands Vit“) glücklich nach Stockholm gebracht hatte, blieb mir noch die Sorge, ob ich die Kartoffeln – ich hatte noch einige Knollen der alten Sorte „King Edward“, die es fast in jedem Supermarkt gibt, zusätzlich eingepackt – auch unbemerkt im Handgepäck nach Berlin würde bringen können. Durfte man Lebensmittel von einem EU-Land ins andere importieren? Ich hatte ziemliche Angst, die Kartoffeln am Flughafen schon wieder zu verlieren.

Die schwedische Kartoffelsorte „Blå Dalsland“

Die schwedische Kartoffelsorte „Jämtlands Vit“

Zuerst wollte ich sie mit der Post schicken, dann unter Kuchen und Süßwaren verstecken und zum Schluss als Gepäck aufgeben.
Wäre meine Geldkarte am Flughafen beim Einchecken willig akzeptiert worden, hätte ich für diese Sicherheitsmaßnahme noch einmal 60€ draufgelegt; aber das Schicksal hatte andere Pläne.

Nachdem mehrere Angestellte der Fluggesellschaft die Frage, ob die Mitnahme von Lebensmitteln, wie Kuchen, Süßwaren und Äpfeln, erlaubt sei, mit verständnislosem Schulterzucken quittiert hatten, wagte ich alles oder nichts: Wir legten unser Handgepäck in die vorgesehenen Plastewannen und ließen es mit angehaltenem Atem durchleuchten: nichts piepte, kein Alarm wurde ausgelöst und auch keine*r der gelangweilten Kontrolleur*innen hieß uns Koffer und Rucksack öffnen, um die Kartoffeln zu konfiszieren. Kartoffeln gelten eben nicht als gefährliche Gegenstände.

Nach der Kontrolle (erschöpft, aber glücklich – auch wenn man’s nicht sieht)

Ich atmete tief aus, sank erschöpft in den Sitz unseres Fluggerätes und vergaß sogar (fast) meine Ängste vorm Fliegen.

Good-Bye Stockholm

Die Reise nach Stockholm – die mitnichten nur eine Sammelreise war – ging glücklich zu Ende, wir gelangten zusammen mit den Kartoffeln wieder glücklich nach Berlin.

Und jetzt bin ich gespannt, was aus der Tysk blå, der Deutschen Blauen in meinem Garten wird, ob sie wieder eine deutsche Blaue wird?