Gärtnern 4.0

oder: Wenn der Computer zwei Mal klingelt (und einmal gießt).

Liebe derzeitige und zukünftige Gärtnerkolleg*innen, heute möchte ich Euch mal mit der Zukunft unserer Gartenarbeit bekannt machen (sofern Ihr sie nicht schon kennt):

In Anlehnung an das „Smart Farming“ oder die so genannte „Landwirtschaft 4.0“ habe ich dieses künftige Gärtnern mal „Gärtnern 4.0“ genannt; manchmal wird es auch als „Smart Gardening“ bezeichnet, obwohl unter letzterem auch einfach nur „Pfiffiges Gärtnern“ verstanden werden kann und somit nicht unbedigt das, um das es mir hier geht: hoch-technisiertes, software- und satelliten-gesteuertes Gärtnern.

Ich muss dazusagen, dass mich zu dieser Betrachtung vor allem das folgende Projekt angeregt hat, an dem einer meiner Arbeitskolleg*innen beteiligt war: der IPGarten.

In Zukunft sitzen Gärtner*innen nämlich in Liegestühlen mit dem Smart(!)phone in der Hand und lassen kleine Roboter (oder roboterähnliche Mitmenschen) all die Arbeiten in ihren Gärten ausführen, die entweder absolut notwendig sind oder die ihnen keinen Spaß machen; in Zukunft heißt es also: im Garten arbeiten, ohne sich die Finger schmutzig zu machen (und damit meine ich nicht, dass wir alle in Zukunft Handschuhe bei der Gartenarbeit tragen werden).

Der IPGarten funktioniert nämlich so: Man meldet sich auf einer Internet-Seite an, bezahlt die geforderten Euronen und wählt aus einer Liste die Pflanzen aus, die man gerne angebaut haben möchte (einige sind allerdings vorgeschrieben).

In der folgenden Zeit kann man seinen Garten, eine 4 x 4 Meter große Parzelle, fördern, indem man den Arbeitseinsatz erhöht: entweder dadurch, dass man online weitere Leistungen bucht (und bezahlt und ausführen lässt), z. B. das Ausstreuen von Bio-Dünger, das Jäten von Beikraut oder das Ausgeizen der Tomaten, oder dadurch, dass man selbst tätig wird und z. B. die Beregnungsanlage über die vorhandene Internetverbindung aktiviert.

Man kann aber auch einfach nur im Liegestuhl (im eigenen Wohnzimmer) sitzen und den Blick auf den „Garten“ genießen, das Wachstum, das Gedeihen oder auch das mögliche Verderben seiner Pflanzen life beobachten – dazu muss man nur durch das (gut) gesicherte Gartentor treten, indem man auf seiner persönlichen IPGarten-Seite ein Passwort eingibt.

Blick über das IPGartengelände am 16. November 2017 um 12:06:34 Uhr

Zur Erntezeit muss man dann (vielleicht) nur in einen anderen Teil seines Wohnorts fahren, um wöchentlich ganz bequem die realen Früchte seiner Arbeit in Empfang zu nehmen.

Ist das nicht geil? Ich finde diese Verbindung von „Virtual“ und „Reality“ wirklich verlockend: man arbeitet nur virtuell, erntet aber real – genau so, wie ich das mag!

Wer gern FarmVille gespielt hat, der wird IPGarten lieben.

Aber mal im Ernst: wer braucht sowas? Gibt es für diese Art „Garten“ wirklich einen Bedarf? Will nicht jeder, der gärtnern will, „echt“ gärtnern, und jeder, der spielen will, „echt“ spielen? Kann man frisches Bio-Gemüse nicht einfacher online ordern?

Im Prinzip ist der „IPGarten“ nämlich nichts anderes als ein Computer-Spiel, nur mit viel weniger Funktionen und Möglichkeiten, als sie z. B. FarmVille bietet, und dazu noch mit extrem langen Reaktionszeiten. Langweilig.

Oder es ist ein Garten, in dem man gärtnern lassen, ein wenig selber gießen und sich die Folgen ab und zu am Bildschirm angucken kann. Extrem langweilig.

Blick auf FarmVille

Ich habe deshalb bisher ein zwiespältiges Verhältnis zu diesem „Spielgarten“ (oder „Gartenspiel“). Die Idee ist gut, aber die Umsetzung inkonsequent.

Ich glaube, der IPGarten hat nur eine Zukunft, wenn sich das Projekt-Team entscheiden kann, ob es ein Spiel oder einen Mietgarten vermarkten will; bis jetzt sieht das Ganze mehr nach einer Spielerei aus, nach einem Zwitterwesen, dem ich nur eine kurze Lebenszeit prophezeie.

Ich finde, da es schon genügend Mietgärten gibt, sollte der IPGarten zu einem „echten“ Spiel entwickelt werden unter dem Slogan: Spielend gärtnern (lernen).

Ein paar Ideen dazu habe ich schon:

Von den einzelnen Parzellen müssten pro Woche mehrere Bilder aus unterschiedlichen Höhen und Perspektiven aufgenommen werden, indem z. B. eine Drohne programm-gesteuert darüber fliegt oder eine Kamera an einer Leine darüber hinwegfährt oder -gezogen wird (die Aufnahmen könnten auch die Gärtner*innen vor Ort machen).

Anhand dieser Bilder kann der „Gärtner/Spieler“ dann an seinem Rechner sitzend entscheiden, was er tun möchte: er kann aus einer vorgegebenen Liste bestimmte Aktionen auswählen (graben, säen, pflanzen, düngen, hacken usw.) oder sich (mit Hilfe der angeschlossenen Wissensdatenbank) für eigene Anweisungen entscheiden.

IPGarten-Parzelle in Nahaufnahme (Mai 2017)

Die von den Spieler*innen auf ihrer „IPGarten-Seite“ eingegebenen Befehle werden dann (vorläufig) von echten Gärtner*innen ausgeführt und die dazu aufgewendete Arbeitszeit akkurat protokolliert; der Spieler kann diese in seinem Spiel-Garten-Account einsehen und bezahlt sie (vorläufig) mit Spielgeld.

Jeder Spieler kann entscheiden, ob er mit anderen Spieler*innen in Wettbewerb treten oder allein vor sich hingärtnern will.

Die anfallende Ernte wird exakt vermessen und gewogen, die gewonnenen Daten ebenfalls den Spieler*innen sichtbar gemacht (anfallendes Obst und Gemüse kann den Spieler*innen selbstverständlich anschließend zur Verfügung gestellt werden. Belohnung!). Von solchen Daten hätte sogar die Wissenschaft was.

IPGarten wäre dann ein Online-Spiel in Echtzeit mit echten Gewinnen: der Spielspaß wäre deutlich größer, Spiel und Wirklichkeit wären weitaus mehr verbunden und es gäbe einen wirklichen Lerneffekt (zur Vorbereitung auf echtes Gärtnern).

Für weitere Spielideen und Lerneffekte ist jede Menge Raum.
So könnten sich z. B. auch mehrere Personen eine Spielgarten-Parzelle und die damit verbundenen Kosten (so wie den Gewinn) teilen (das würde den Spaß nochmals erhöhen). Die Spieler bzw. Gärtner*innen könnten auch jede bestellte Aktion einzeln bezahlen.

Für einen solchen „Virtual Reality“-Spielspaß würden mehr Leute gerne 395 Euro auf den Tisch blättern, da bin ich mir sicher. Für das bisherige Konzept, das vor allem darauf fußt, die Gemeinwohl-Ökonomie sowie Kleinbauern in der Provinz zu fördern, werden nicht genügend Leute ihre Spendierhosentaschen aufmachen, auch wenn es statt einer Spendenbescheinigung dafür gesundes Gemüse gibt. Bin ich der Meinung.

Gleichzeitig könnte das Projekt-Team in Kooperation mit Universitäten und Landmaschinen-Herstellern kleine, solar-getriebene Roboter entwickeln lassen, die einen Teil der Arbeiten selbstständig ausführen, wie z. B. das Beikraut-Jäten.

Ich stelle mir z. B. kleine Maschinen vor, die mit Hilfe von Lasern oder sonstigen Schnell-Tests Beikraut und Nutzpflanzen unterscheiden und Unerwünschtes wegkratzen oder sonstwie außer Gefecht setzen. Eine Schar solcher Maschinchen wuselt dann statt echter Gärtner*innen den ganzen Tag auf dem Acker herum (na, wahrscheinlich aufgrund hoher Diebstahl- oder Vandalismus-Gefahr besser in einem abgeschlossenen Gewächshaus oder Folientunnel – oder ein echter Mensch hat Spaß daran, das Geschehen zu beaufsichtigen; das kann man sich übrigens bei der Betrachtung des folgenden Videos schon mal vor Augen führen).

Digital Farming in Bayern – können Farmroboter die Landwirte sinnvoll unterstützen? | Unser Land

Dann könnten die Spieler*innen, ähm, Gärtner*innen diese Geräte auch aus der Ferne selbst bedienen und steuern!

Tja, so würde aus dem Spiel „IPGarten“ unter der Hand ein voll automatisierter, echter Garten, ein Garten 4.0.

In Annäherung an einen solchen Zukunftsgarten wird ja heute schon für Menschen, die zwar Gärten besitzen, sie aber nicht gerne selbst pflegen oder Zeit dafür aufwenden wollen, technisches Gerät entwickelt, das die unangenehmen Arbeiten übernimmt, wie z. B. I-Rasenmäher, I-Rasensprenger oder I-Heckenschneider („I“ steht hier für „Intelligent“ – die Geräte wissen, was wann und wie zu tun ist).

Für Menschen mit einer Erde-Allergie (oder ohne eigene Fensterbank) gibt es bereits erste vollautomatische Indoor-Gärtchen mit Mini-Pflanzen bestückt, wie ich bei der Internet-Recherche zu diesem Beitrag erfreut zur Kenntnis nehmen durfte. Man kann sie online bestellen und irgendwo in der Wohnung dekorativ platzieren. Eine Zeitlang liefern diese dann ohne weiteren körperlichen oder geistigen Einsatz der Gärtner*in einen Output, der nach echtem Gemüse (oder echtem Salat oder echten Kräutern) schmeckt; mit Click & Grow, Tregren, Herbert und Avagrows seien hier ein paar Trendsetter oder Prototypen des „Gardening 4.0“ genannt.

„Herbert – Grow fresh organic food at home“ von Ponix Systems, Wien (Parodie oder ernst gemeint?)

Ja, die Zukunft rückt ständig näher, das auf dem Bildschirm flimmernde Leben verschwimmt mehr und mehr mit dem wirklichen Leben, irgendwann wird es das wirkliche Leben sein.

Warum sollen sich Menschen, die virtuell und automatisiert gärtnern, nicht auch in echt „Gärtner*in“ nennen dürfen?

Gegen diese Zukunft habe ich nichts einzuwenden, so lange ich konventionell und altmodisch weitergärtnern, so lange ich weiterhin in echter Erde wühlen darf Punkt

P.S.: Wer Teile von dem, was ich jetzt hier zusammengeschrieben habe, lieber etwas professioneller formuliert lesen möchte, dem sei der Beitrag „Smarter gärtnern“ in der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) vom 23. April 2017 ans Herz gelegt.