Die Naturgesetze des Miteinander

oder: Auch Koexistenz, Symbiose und Kooperation unterliegen Gesetzmäßigkeiten, die es zu erkennen und anzuwenden gilt.

Jetzt ist er völlig abgedreht, denkt Ihr; was hat denn das noch mit „Garten“ zu tun? Und wenn: Gibts in der Natur nicht nur ein Gesetz, das „Recht des Stärkeren“?

Ja, diese Ansicht ist weit verbreitet; aber in der Natur gibt es nicht nur „Räuber“ und „Beute“, also das Recht des Stärkeren, sich den Schwächeren einzuverleiben, sondern viel häufiger „Koexistenz“ und „Kooperation“. Dass Koexistenz und Kooperation mehr Vorteile bieten als Räuberei, bedarf, glaube ich, keines Beweises: Das erfolgreichste Lebewesen auf diesem Planeten, das seinen Erfolg einzig und allein Koexistenz und Kooperation verdankt, ist der Mensch, sind wir.

Außerdem ist die „Brutpflege“ als Keimzelle des Miteinander dermaßen weit verbreitet, dass auch sie als Beweis für eine größere Effizienz des „Sozialen“ dienen kann.

Wer versteht, auf welchen Grundlagen dieser Erfolg basiert, und sieht, dass das Miteinander vielleicht mehr Vorteile bringt als das Gegeneinander, der stellt vielleicht auch im Garten das Kämpfen ein und versucht es einmal mit Koexistenz.

Doch die Kenntnis der Naturgesetze des Miteinander hilft nicht nur im Garten, sie kann auch im Privatleben nützlich sein. Wer sehnt sich z. B. nicht nach einer Partner- oder Nachbarschaft ohne wiederkehrenden Streit?

Wahrscheinlich kann sogar die Menschheit insgesamt von deren Erkenntnis profitieren; denn die Kosten von Kämpfen und Kriegen steigen stetig. Hat jemals eine Kosten-Nutzen-Rechnung des Krieges stattgefunden? Vielleicht hätte die Kenntnis von den Gesetzmäßigkeiten des Miteinander für mehr Ausdauer bei Verhandlungen gesorgt…

Ihr seht, es geht heute mal wieder um viel (wenn nicht gar um alles). Vielleicht lest Ihr Gedankengut, das bisher nirgends so zu lesen ist; Ihr wäret dann Erst-Leser:innen…

Ich weiß natürlich, dass fixe Ideen (wie ich sie hier möglicherweise päsentiere) allein die Welt nicht verändern; aber andere Sichtweisen können nie schaden. Auf einem bestimmten Stande der technischen Entwicklung besteht für Menschen die Möglichkeit, bestimmte Tatsachen zu erkennen und bewusst zu handeln: Kämpfen tun wir instinktiv, aber rational handeln, können wir erst auf einer bestimmten Stufe der Erkenntnis.

Der Gärtner ist immer der Mörder

oder: Warum treibt mich das friedliche Miteinander um?

Als Gärtner steht man ja immer wieder vor der Frage: Kämpfen und siegen, um möglichst alles zu ernten, oder koexistieren und teilen? Meistens werden Gärtner dann zu Mördern, die versuchen, ihre Widersacher, die so genannten „Schädlinge“, möglichst auszurotten, weil sie glauben, dann am Ende mehr zu haben.

Schwarze Wegschnecke

Eine Gemeine Wegschnecke. Kann man ihren Anblick ertragen oder gar mögen?

Obwohl ich eher ein Einzelgänger und ziemlich eigensinnig bin, hat mich doch immer eine tiefe Zuneigung zu allen Mit-Menschen und Mit-Lebewesen erfüllt, wie ich schon im letzten Beitrag „Das Jahr der Ratten“ gestanden habe. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber es ist so.

Auf jeden Fall hat mich diese Zuneigung in die Zwickmühle gebracht: Ich musste mich bemühen, mit meiner Eigenart existieren zu dürfen, ohne den Eigenarten meiner Mit-Menschen und Mit-Lebewesen das Existenzrecht abzusprechen. Dieser innere Zwiespalt hat es mir immer schwer gemacht, gegen Konkurrenten (jedweder Art) mit aller Macht vorzugehen; vielleicht hat er auch dazu geführt, dass ich mehr über ein auskömmliches Miteinander nachdenken musste.

Das (vorläufige) Ergebnis ist die Entdeckung der „Naturgesetze des Miteinander“: Meines Erachtens braucht es weder einen „Gott“, der Zehn Gebote für ein Miteinander in Frieden festlegt, noch einen „Kategorischen Imperativ“, auf den sich ein Gesetzeswerk für ein geregeltes Miteinander bauen lässt; denn Koexistenz und Kooperation beruhen auf natürlichen Gesetzmäßigkeiten, genauso wie Gravitation und Lichtbrechung.

Junge Ratteklettert an Hirsepflanzen

Ratten sind süß! Ratten sind ekelig! Nein, Ratten sind (Mit)Lebewesen!

Welche Kosten der Krieg zwischen Menschengruppen in Zukunft verursachen wird, kann ich nicht ansatzweise abschätzen; aber wenn ich an das gewaltige Arsenal von atomaren, chemischen, biologischen und technischen Kampfmitteln denke, das unsere greisen „Führer“ in der Hand halten, Führer, die Interessensgegensätze noch immer vor allem durch Kampf und Unterwerfung/Vernichtung des Gegenüber überwinden wollen, denen Kontrolle wichtiger ist als vertrauensvolle Kooperation oder zumindest geregelte Koexistenz – so wie leider vielen von uns – dann sehe ich schwarz für die Zukunft…

…dabei kann jede:r sehen, welche gewaltigen Ressourcen für eine Verbesserung des Lebens aller Menschen frei würden, wenn Waffen zu Pflugscharen und Soldaten zu Altenpflegern und Wissenschaftlern würden. Von den Projekten, die von der gesamten Menschheit gemeinsam zu stemmen wären, wenn sie denn kooperieren würde anstatt sich nationenweise misstrauisch zu belagern und zu bekämpfen, will ich garnicht reden.

Vielleicht hilft die Erkenntnis der Naturgesetze des Sozialen und ihre bewusste Anwendung heute genauso wie die Erkenntnis der physikalischen Naturgesetze vor Zeiten, wirklich eine Zeitenwende einzuläuten; der Same ist hiermit gelegt…

Die Naturgesetze von Koexistenz, Symbiose und Kooperation

oder: Auf welchen Gesetzmäßigkeiten basieren die erfolgreichsten Modelle der Evolution und können sie uns helfen, besser miteinander auszukommen?

In der Unterzeile dieses Beitrags habe ich ja schon auf die drei (bisher bekannten) Formen des Miteinander hingewiesen; im Folgenden will ich sie erst einmal kurz vorstellen:

Koexistenz

Koexistenz ist die einfachste Form des Miteinander. Sie beruht darauf, die Existenz eines „Anderen“ neben der eigenen zuzulassen; es gilt also, den „Anderen“ wahrzunehmen und seine Existenz anzuerkennen. Ohne dieses Bestehen-lassen des „Anderen“ ist kein Miteinander möglich.

Ziemlich banal, aber logisch, oder?

Das Wahrnehmen und Zulassen eines „Anderen“ neben sich selbst nenne ich deshalb das 1. natürliche Grundgesetz des Sozialen, des Miteinander.

An einem Blatt fressender Kartoffelkäfer

Ein hungriger Kartoffelkäfer stärkt sich für seine Lebensaufgaben

Als zweite Grundbedingung gilt, die selbstverständlich vorhandenen Interessen-Gegensätze zwischen zwei (oder mehreren) „Anderen“, d. h., den Umgang miteinander zu regeln. Ohne Umgangsregeln ist kein Miteinander möglich.

Auch ziemlich logisch und folglich das 2. natürliche Grundgesetz des Sozialen: Ein Miteinander braucht Regelungen. Allseitig anerkannte Umgangsregeln bieten Sicherheit und fördern Vertrauen; die in den meisten Säugetiergruppen vorhandene und allgemein anerkannte „Rangordnung“ mag dafür als Beispiel dienen.

Simples Beispiel für ein geregeltes Miteinander unter Menschen: „Schlange stehen“

Die einfache Regel „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ bedeutet zwar für jeden, der nach den Anderen kommt, einen Nachteil (weil er warten muss), der jedoch weitaus geringer ist als ein ständiger Kampf um den vorderen Platz.

Die Regel „Schlange stehen“ ist deshalb von Vorteil und macht ein auskömmliches Miteinander möglich.

Dass Koexistenz ein erfolgreiches Modell ist, zeigen ihre zahlreichen Formen in der Natur, wie Herden, Horden, Rudel und Schulen bei Säugetieren, Kolonien bei Vögeln oder Schwärme bei Fischen, Krebstieren und Insekten.

Als Vorteil sehe ich beispielsweise, dass der Energieaufwand bei der Beobachtung von Angreifern, für die Suche nach Futter oder für Kämpfe um Ressourcen verringert wird; aber es muss weitaus mehr Vorteile geben…

Symbiose

Auch die Symbiose gehört in diesen Kontext; sie ist eine „höhere“ Form des Miteinanders als die reine Koexistenz. Das geregelte Zusammenleben sehr unterschiedlicher Lebewesen bietet noch mehr Vorteile für beide Seiten; keine Seite wäre ohne die andere lebensfähig.

Als vertraute Beispiele möchte ich unsere Nutzpflanzen und Nutztiere nennen, mit denen wir in Symbiose leben; auch Blütenpflanzen und Bestäuber-Insekten sind ein Beispiel. Hier gelten ebenfalls gewisse Umgangs- und Verhaltensregeln, damit die Vorteile zur Geltung kommen.

Kooperation

Die bisher höchste Form des Miteinanders ist die Kooperation, die Zusammenarbeit. Für ein erfolgreiches Funktionieren ist es nicht nur erforderlich, dass die beiden Grundgesetze der Koexistenz eingehalten werden, sondern darüber hinaus eine entwickeltere Kommunikation für komplexere Regelungen.

Für Ameisen, Termiten oder Bienen reichen Düfte und Bewegungen, für Tierrudel eine geringe Anzahl an Lauten und Zeichen, für kleine, kooperierende Menschengruppen tun es einfache Regeln, die mündlich tradiert sein können in Form von Sitten, Normen und Gebräuchen; ab einer gewissen Größe der Menschengruppen müssen Regelwerke (Gesetze) schriftlich fixiert werden.

Die Abhängigkeit der Kooperierenden voneinander kann dabei nahezu ebenso groß sein wie bei der Symbiose.

Um vom Kampf zu Koexistenz und Kooperation zu kommen, gilt es also, den „Anderen“ bestehen zu lassen und die Interessensgegensätze über Regelungen zu entschärfen.

Kampf gegen „Schädlinge“ oder Koexistenz mit ihnen?

Diese grundsätzlichen Gedanken sollen als Einführung zu Gedanken über den Umgang mit Organismen dienen, die uns schaden, die an unseren Leistungen partizipieren oder die uns etwas wegnehmen (wollen), das wir als unser Eigentum betrachten.

Bislang haben wir als Gärtner:innen zwei Möglichkeiten mit Schadorganismen umzugehen: Wir kämpfen gegen sie, um sie unter Kontrolle zu bekommen und zu halten oder wir leben mit ihnen zusammen und versuchen ein auskömmliches Miteinander zu gestalten, d. h., wir versuchen, ganz bewusst mit ihnen zu koexistieren.

Schnecke hangelt am Rande eines Schneckenkragens entlang

Auch wenn ein Schneckenkragen nicht 100%ig schützt, er hilft…

Wie ich oben schon erwähnt habe, ist das Kämpfen tief in uns verankert; sobald wir auf „Konkurrenz“ stoßen, auf jemanden, der unseren Interessen im Weg steht, verfallen wir instinktiv in eine aggressive Haltung, in den „Kampfmodus“.

Die Frage ist nun, ob wir mit Hilfe unseres Bewusstseins diesen instinktiven Reflex beherrschen und steuern können, ob wir in solchen Situationen rational handeln können?

Wenn wir plötzlich in derartige „Konfrontationen“ geraten, ist es möglicherweise schwer; doch als Gärtner:innen sind wir mit den Organismen, die unsere Ernte schmälern wollen, jahraus, jahrein konfrontiert, so dass wir uns in Ruhe überlegen könnten, wie wir mit ihnen umgehen, welches die wirksamsten Mittel und Methoden sind, sie in Schach zu halten.

Mit dieser Aussage bin ich am Ziel dieses Beitrags angelangt: Er soll zu derartigen Überlegungen anregen…

Wie das praktisch aussehen kann, habe ich ausführlich am Beispiel eines Tieres dargestellt, das bei den meisten Menschen heftigste Bekämpfungsreflexe auslöst: Die Wanderratte, wissenschaftlich „Rattus norvegicus (Berkenhout, 1769)“ genannt; der Beitrag heißt „Die Wanderrate und wir“.