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Geschichte > Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung unter Leitung Erwin Baurs (1928-1933)

Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung unter Leitung Erwin Baurs (1928-1933)

Institutsbau und Versuchsflächen

Zeitgenössischer Briefkopf
Der Bau der Hauptgebäude auf dem Schäferberg in hufeisenförmigem Grundriß erfolgte durch Baumeister Böhme (als Architekt von I.G. Farben gestellt). Zugleich entstand ein baulich eigenständiger Wirtschaftshof. Bei der Eröffnung des "Zentralen Instituts für Züchtungsforschung" mit Schlüsselübergabe durch den Präsidenten der KWG war auch Reichsernährungsminister Herrmann Dietrich anwesend. Das Haupt der Pallas Athene schmückt seither die Haupteingangstür. 1929 pachtete das Institut den angrenzenden, bisher von Baur privat bewirtschafteten Brigittenhof hinzu, womit die Versuchsflächen verdoppelt werden konnte.

"In dem Hauptgebäude befinden sich die Arbeitsräume der einzelnen Abteilungen. Ferner sind dort die Verwaltungsräume, das Direktorenzimmer, die Bibliothek, der Vortragssaal und einige allgemeine Laboratorien [...]. Im Keller ist eine größere Kühlanlage für Gefrierversuche eingebaut. In der ausgebauten Mansarde befinden sich Wohnräume für die weiblichen Angestellten.
Im Seitenflügel des Institutsgebäudes ist das Kasino untergebracht. Die im ersten Stock gelegenen Wohnzimmer der Assistenten sind im Laufe der Jahre zum größten Teil zu Laboratorien umgebaut worden"
(Institutsführer 1933).

Wirtschaftshof (Vordergrund) und Hauptgebäude (rechts im Hintergrund)

Zu den ersten Gebäuden von Institut und Wirtschaftshof kam 1932 eine offene Dreschhalle im Felde; 1933 bestanden darüberhinaus 10 heizbare Gewächshäuser, 4 Sommer-Gewächshäuser, 5 transportable Fensterhäuser sowie eine feststehende Beregnungsanlage. Ferner bestand eine agrar-meteorologische Arbeitsgemeinschaft mit dem Meteorologischen Institut Berlin zur Untersuchung besonders der Taubildung sowie der Früh- u. Spätfröste.
Die Gründung einer ersten Zweigstelle in Ostpreußen in der Nähe von Königsberg diente der Klärung " ... welche von den neuen gezüchteten Sorten sich gerade für die besonderen Verhältnisse Ostpreußens eignen" (Institutsführer 1933). Dies zeigt zusätzlich zur Standortwahl Münchebergs die Ausrichtung auf Verbesserung der Erträge unter ostmitteleuropäischen Klimaten. Die Einrichtung weiterer geplanter Zweigstellen scheiterte zunächst an der allgemeinen Mittelknappheit.

Struktur und Personal

Prof. Dr. Erwin Baur vor dem Hauptgebäude
Das Institut war vollständig Baurs Plan. Es konnte von ihm Dank seiner charismatischen Persönlichkeit mit Erfolg zentral geleitet werden. Baur nahm seine Schüler aus Dahlem als junge, gering zu entlohnende und gut "formbare" Mitarbeiter mit nach Müncheberg. Zunächst bestanden 15 durchnummerierte Abteilungen ohne spezifische Abteilungsnamen. Nahezu jeder Wissenschaftler bildete dabei eine eigene Abteilung, so daß 16 Wissenschaftler mit nur 8 technischen Kräften die personelle Anfangsbesetzung bildeten.
1933 arbeiteten 18 Wissenschaftler, 10 technische Kräfte, 3 Verwaltungskräfte, 40 angelernte Gutsarbeiterinnen sowie 80 Sommersaisonkräfte im Institut. Der mit Institutsgründung errichtete, angeschlossene Gutsbetrieb (mit 16, im Sommer zeitweise 30 Kräften) arbeitete haushalterisch getrennt vom Institut; er verfügte 1933 über 18 Pferde und einen Lanz-Bulldogg.
Ein Kuratorium überwiegend aus Bankiers, Industriellen, Regierungsbeamten sowie Vertretern landwirtschaftlicher Organisationen und ein 13-köpfiger Verwaltungsausschuß (Minister, Gutsbesitzer, Industrielle, ein Bankier, ein Vertreter der KWG) unterstützten Baur bei der Leitung des jungen Instituts. Diese starke Praxisanbindung ließ die Beziehungen zu Universitäten sowie zur Preußischen Akademie der Wissenschaften (keine Aufnahme für Baur) lange zweitrangig bleiben.

Zusammensetzung des Kuratoriums des KWI Müncheberg 1928 (49 Mitglieder):

Schwierige Finanzierung

Der schon zur Ermöglichung der Institutsgründung unumgängliche Kampf Baurs um die Finanzierung fand während der Zeit seiner Leiterschaft vielfache dramatische Zuspitzungen.
"Das Institut wird [...] etwas über eine Million Mark kosten, aber wenn wir nicht in wenigen Jahren dem Deutschen Reich durch unsere Arbeiten ein Vielfaches dieser Summe eingebracht haben, dann sind wir alle miteinander nicht wert, daß uns noch weiter Gehalt gezahlt wird" (Baurs Festrede zur Institutseinweihung).
Die vielleicht ohnehin übersteigerte Zuversicht auf baldige Selbstfinanzierung erfüllte sich infolge der wirtschaftlich ungünstigen Situation der ausgehenden 20er Jahre, seiner - wissenschaftlich verzeihlichen - Maßlosigkeit, der Langsamkeit der Generationsfolgen vieler Züchtungsvorhaben sowie infolge persönlicher Querelen mit dem Reichsernährungsministerium nicht. Zeitweise drohte der Einrichtung die Schließung.

"Daß Professor Baur diese in ihrer Bedeutung heute noch gar nicht abzusehende Tat [die Institutsgründung] gelang, hat seinen Grund darin, daß er vorzurechnen verstand, wie millionenfach sich jede kleinste in die Vererbungslehre gesteckte Summe verzinsen kann" (Zischka 1940).
"Wie viele geniale Erfinder schritt Baur über jede Hemmung bürokratischer Art hinweg und kannte kein Denken in Etatpositionen." Damit "hatten die Beamten in den Ministerien direkt Angst vor ihm" (Brocke 1990).
"Aus den Erfahrungen der Gegenwart erscheint es unvorstellbar, daß er nach nie aufhörenden Vorträgen, Besprechungen und Sitzungen bei Behörden, Industriemagnaten oder international bedeutenden Gesellschaften die Mittel für die Weiterführung des Instituts buchstäblich sammelte. Wie oft berichtete er dann, ermattet nach Müncheberg zurückgekehrt, welche Summen ihm am Tage zugeflossen waren" (Stubbe 1959).

Der damalige Abteilungsleiter der Beerenobstzüchtung erinnert sich in diesem Zusammenhang: " 'Herr Gruber, Sie können zu mir nach Müncheberg kommen - für's Beerenobst hab' ich noch niemand. Zahlen kann ich nix, und wann ich was zahlen kann, weß ich auch nicht.' Unter diesem verheißungsvollen Angebot meines Doktorvaters Erwin Baur fand mein Einzug in das vor etwas mehr als einem Jahr gegründete Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung in Müncheberg [...] statt. [...]Eine weniger erfreuliche Erinnerung haben bei mir die in den ersten Jahren periodisch stattgehabten Pleitesitzungen hinterlassen, unter dem Motto: 'Wer hat noch was und wieviel?' (nämlich Geld! Die Redaktion.) [...] Doch unermüdlich und mit nie erlahmendem Optimismus verstand es Baur immer wieder, neue Geldquellen aufzuspüren und mehr oder weniger sprudelnde Bächlein in den ausgetrockneten Bronnen der Institutsfinanzen zu leiten" (Erinnerungen F. Gruber, nach 1955).

Forschungsschwerpunkte

Praktische Zuchtziele waren Weizen für leichte Böden, krankheitswiderstandsfähige Kartoffeln und Reben. Weltreisen zum Sammeln wilder Sorten (u. a. frostbeständiger Kartoffelsorten) führten Baur u. a. 1930/31 nach Südamerika, von wo "über 1000 kultivierte und nichtkultivierte Kartoffeln" (Kuckuck & Schmidt 1948) mitgebracht werden konnten.
Der erste Institutsführer von 1933 nennt als Hauptaufgabenfelder die

Dabei wird zur Beruhigung privater Züchter und Finanziers ausdrücklich der vollständige  Verzicht auf Saatgutproduktion und -verkauf betont.
Die für den "hohen Norden" überraschende Rebenzüchtung galt der Krankheitsresistenz und war daher an einem Standort fern der ansteckungsgefährdeten Weinbaugebiete zweckmäßig.
"Dadurch, daß die im Vordergrund stehenden Aufgaben der Immunitätszüchtung die Einkreuzung qualitativ wertloser, aber hochgradig krankheitswiderstandsfähiger Wildreben notwendig machten, werden für den Anbau außerordentlich umfangreicher Sämlingspopulationen so große Landflächen benötigt, wie sie im Weinbaugebiet infolge der hohen Land- und Landbearbeitungskosten nicht zur Verfügung gestellt werden könnten. [...] Das Klima von Müncheberg und seine Lage weitab vom Weinbaugebiet eignen sich sehr gut für alle Arbeiten mit Pilzkrankheiten, tierischen Schädlingen und für die Auslese auf Frostfestigkeit" (Institutsführer 1938).

Weinreben vor Hauptgebäude

In der theoretischen Arbeit konzentrierte sich Baur auf das Löwenmäulchen (Antirrhinum), das für die Untersuchung von Vererbungserscheinungen wie Kopplungen, Spaltungen, Neuauftreten, Abänderung und Verlust besonders gute Eignung zeigte.
"Bei Antirrhinum wuchsen die Untersuchungen zur experimentellen Erzeugung von Mutationen und damit gleichzeitig die Arbeiten zur Chromosomentopographie in einem Maße, das nur selten bei höheren Pflanzen erreicht sein wird" (Stubbe 1959).
"Aber auch der Mensch sorgte zeitweilig für eine bunte Welt, denn [diese Flächen] wurden zur Genetikforschung verwendet oder direkt zu Züchtungen. Besonders schön waren Lein, Lupinen und Mohnfelder und ganz besonders die Riesenfelder von Löwenmäulchen, die die Forschungspflanze von Prof. Baur war" (Erinnerungen der Familie v. Wettstein).

Der erste beeindruckende Züchtungserfolg war die Entwicklung einer bitterstoff-freien Futterlupine. Der schon 1930 mögliche Verkauf von Süßlupinensorten an Saatzuchtfirmen bestätigte zunächst die Hoffnung auf baldige Selbstfinanzierung des Institutes.
"Prof. Baur vermutete, daß es möglich sei, unter Millionen von Einzelpflanzen bitterstoff-freie zu finden. Dies gelang in den Jahren 1928 und 1929 [...] R. v. Sengbusch. Unter eineinhalb Millionen Pflanzen wurden drei bitterstoff-freie gelbe und zwei blaue gefunden" (Institutsführer 1938).

Weitere Schwerpunkte der überaus breit gefächerten Forschungen galten Obstsorten, Erdbeeren, Forstbäumen, aber auch Korbweiden oder der Zucht nikotinarmer Tabaksorten. Topinambur als weitere neue Pflanze des leichten Bodens wurde bereits 1928 in Bearbeitung genommen. Besonders bei der bisher im argen liegenden Bearbeitung von Obst- und Forstpflanzen konnte das Institut langwierige, der Privatwirtschaft kaum mögliche Züchtungen einleiten.
Kulturpflanzen mit hohen Ansprüchen an Boden bzw. Feuchtigkeit wie Zuckerrüben und Kohl blieben bewußt von der Bearbeitung ausgeschlossen.

Die - auch für alle Folgeeinrichtungen charakteristische - wechselseitige Durchdringung von Wissenschaft und Praxis fand Ausdruck u. a. in alljährlichen Fortbildungskursen für Saatzuchtbeamte und der Gründung der Arbeitsgemeinschaft für Reben-, Obst und Forstpflanzenzüchtung.
Wirtschaftliche Probleme des Agrarexportlandes Ägypten ließen 1929 König Fuad von Ägypten anläßlich eines Staatsbesuches in Berlin eine Institutsvisite in Müncheberg wahrnehmen:
"Das besondere Interesse des Königs [Fuad von Ägypten] an den Arbeiten des Müncheberger Instituts und an seinen Einrichtungen ist leicht erklärlich: In noch höherem Maße als wir in Deutschland, sind die Ägypter von der Rentabilitätsgestaltung des Ackerbaus abhängig. Durch Hunderte von Generationen überlieferte Anbau- und Erntemethoden müssen im Nilland noch weit schneller aufgegeben werden, als es in den sechs Jahrzehnten geschehen ist, seit der Deutsche Max Eyth den Dampfflug in den Überschwemmungsgebieten des 'Vaters der Ströme' eingeführt hat" (Tageszeitung vom 10. 6. 1929).
 
Bodenuntersuchungen und forschungskonzeptionelle Fragen - bis hin zu mathematischen Auswertungsmethoden - waren Gegenstand des Versuchswesens.
"Die Aufgabe besteht darin, eine für hiesige Verhältnisse geeignete Versuchstechnik auszuarbeiten, geeignete Teilstückgrößen, Anordnungen, Wiederholungen, Pflegemaßnahmen und Rechenmethoden zu erproben. [...] Es wurde eine Reaktionskarte vom Gesamtversuchsgelände angelegt, um die Kalkung planmäßig vornehmen zu können. [...] Es wurde festgestellt, daß die Böden vorwiegend schwach sauer bis stark sauer sind und die Kalkung gesteigert werden muß" (Versuchsführer 1933).

Erwin Baur

Baur blieb ein engagierter Verfechter einer Autarkie der Ernährung, wobei er in agrarischer Planwirtschaft mit Importbeschränkungen zugleich ein Mittel gegen die fortdauernde Landflucht sah. Diese Haltung führte - verbunden mit persönlichen Animositäten - zu Spannungen gegenüber dem Reichsministerium für Ernährung, erschwerte zusätzlich die Fremdfinanzierung des Institutes und stellte Baurs weitere, auch politische Karriere in Frage.

Darüber hinaus rückten die Hoffnungen auf stärkere Eigenfinanzierung in weite Ferne, so daß Baur schließlich unablässig (selbst nach Vorträgen etc.) um Mittel werben mußte und zeitweise die Bezahlung seiner Mitarbeiter in Frage gestellt war.
"Baur wirkte durch die Kraft seiner Persönlichkeit und durch die starke Ausstrahlung seines Wesens. Obwohl er in den letzten Jahren seines Lebens immer stärker in den Malstrom nie aufhörender Vorträge, Sitzungen, Besprechungen bei Behörden, Industriemagnaten oder auf internationalen Zusammenkünften gezogen wurde und mit großer Zähigkeit um die erforderlichen Mittel für sein Institut kämpfen mußte, blieb er bis zuletzt der erste wissenschaftliche Arbeiter in seinem Kreis ...." (Stubbe 1975).

Baur verstarb unerwartet im Alter von nur 58 Jahren nach einem Vortrag in Berlin. Eine Welle engagierter Nachrufe bezeugte, daß seine international herausragende Stellung in Züchtung und Genetik den zeitgenössischen Fachkollegen gegenwärtig war. In den Nachrufen wird aber auch die Absicht des gerade etablierten Nationalsozialismus deutlich, die vielschichtige Forscherpersönlichkeit postum zu vereinnahmen:

"Man hat Baur verschiedentlich zum Vorwurf gemacht, daß er durch seine Ideen zu humangenetischen Problemen und seine Zusammenarbeit mit Fischer und Lenz bestimmten nationalsozialistischen Ideen Vorschub geleistet hätte. Das ist sicherlich nicht richtig, wenn man weiß, das alles, was er geschrieben und gesprochen hat, seinen umfassenden Erfahrungs- und Wissensschatz zur Grundlage hatte, den er mit großer Verantwortung vertrat" (Stubbe 1975).
"Zur gerechten Beurteilung Baurscher Auslassungen zur Rassenhygiene muß freilich berücksichtigt werden, daß er mit allen Europäern seiner Generation das Vorurteil von der Höherwertigkeit der weißen Rasse teilt und Ausdrücke wie ‘Minderwertigkeit', ‘Entartung', ‘Ausmerze' noch als termini technici [...] gelten dürfen [...]. Das Gutachten hofft gezeigt und im einzelnen detailliert belegt zu haben, daß Erwin Baur eine geistige Urheberschaft an den historischen Verbrechen, die der Nationalsozialismus begangen hat, nicht angelastet werden kann, er aber Teil hat an der historischen Schuld seiner Generation [...]" (Kröner, Toellner & Wiesemann 1994; Gutachten zur Frage der Verstrickung Baurs in die geistige Urheberschaft der Verbrechen des Nationalsozialismus; Herausgegeben von Max-Planck-Gesellschaft).

Erwin Baur findet eine Grabstätte in dem von ihm selbst angelegten Wäldchen nahe des  Brigittenhofs. Darüber hinaus hält eine schlichte Steinsäule im Institut das Gedenken wach. Zu seinen Ehren wurde 1938 - bereits fünf Jahre nach seinem Tode - anläßlich des zehnjährigen Bestehens der Institutsname um den Zusatz "Erwin-Baur-Institut" ergänzt.

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