Von der Süße der Melonen

oder: Was ich bei meinem diesjährigen Zuckermelonenanbau alles entdecken durfte.

Die Sonne hat das Tal durchschritten; es ist wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Dennoch sind wir dem kommenden Sommer noch ziemlich fern. Eine gute Gelegenheit also, sich noch einmal das Licht des vergangenen Sommers ins Gehirn scheinen zu lassen – und was ist dazu besser geeignet als das Gedenken an meine Melonen.

Klar, ich könnte mir jetzt sogar eine echte, sonnenverwöhnte Melone aus Südamerika einverleiben, aber wegen meiner Vorbehalte gegen diese „Weihnachtsmelonen“ vermeide ich das. Ich begnüge mich mit meinen Erinnerungen; die genieße ich dafür aber um so intensiver.

Vielleicht gelingt es mir ja, auch Dich damit zufrieden zu stellen. Mal sehen.

Meine Melonen – ihre Anzucht und Sorten

Da ich im letzten Jahr nur über die Anzucht meiner Paprika berichtet habe, führe ich meine letztjährigen Melonensorten mal in diesen Beitrag ein, indem ich mich kurz mit ihrer Anzucht beschäftige.

Wie ich mir ja hinter die Ohren geschrieben hatte, fange ich mit der Anzucht meiner Kürbisgewächse – und dazu gehören die Melonen – nicht mehr vor Ende März / Anfang April an. Sechs Wochen reichen, um sie kräftig aus ihren Anzuchttöpfchen herauswachsen zu lassen; danach rauben sie einem den letzten Platz. Vor Mitte Mai, den „Eisheiligen“, kann man diese frostempfindlichen Pflänzchen aber nicht ins Freiland entlassen – und auch nicht in einen offenen Folientunnel.

Bauplatz des Tunnels am 4. Mai

2018 stand mir ein kompletter Tunnel nur für die Melonen zur Verfügung (meine lieben Gäste hatten mich im Jahr zuvor an meinem runden Geburtstag reich genug beschenkt); deshalb wollte ich dieses Mal ein wenig übertreiben und je zwei Pflanzen von acht verschiedenen Sorten, d. h., insgesamt 16 Pflanzen dort sich ausbreiten und mischen lassen. Ich kann jetzt schon mal verraten, dass mir am Ende zwanzig Pflanzen im Tunnel das Leben versüßten.

Aber so weit bin ich ja noch nicht.

Erst einmal stecke ich drei bis fünf Samen pro ausgewählter Melonensorte in je drei Töpfchen, die mit meinem Kompost-Sand-Gemisch gefüllt sind. Ich verwende immer mehrere Samen, um sicher zu gehen, dass ich letztlich wenigstens eine Pflanze pro Topf habe. Falls zu viele keimen, zupfe ich die schwächsten in jedem Töpfchen nach und nach vorsichtig aus.

Mit Zusatzbeleuchtung, ein wenig Improvisation und jeder Menge Glück klappte die Anzucht; zumindest hatte ich am 18. Mai von allen Sorten zwei bis drei Pflänzchen am Start.

Doch nun mal zu den Sorten.

Sortenüberblick am 17. Juli

Samen von vier verschiedenen Melonensorten hatte ich im Mai 2017 aus Istanbul mitgebracht.

Zwei weitere interessante Sorten waren mir beim Lebensmittel-Discounter LIDL begegnet: 2016 eine ungewöhnlich große Galia-Melone, im November 2017 eine weiße Melone mit grünen Flecken, die ein Jahr zuvor als Dino-Melone(n-Ei) von dem brasilianischen Großproduzenten Agrícola Famosa auf den Markt gebracht wurde.

Die beiden letzteren waren ganz sicher F1- sprich: Hybrid-Melonen; aber da habe ich ja keine Berührungsängste – ich schau mir gern mal das Innenleben von solchen Pflanzen an.

Außerdem wollte ich die Berliner Netzmelone mal mit anderen Sorten in Kontakt bringen, ja, genau: hybridisieren.

Zu guter Letzt wollte ich noch gerne wissen, wie meine gelbe „Zuchtmelone“ mit dem orange-farbigen Fruchtfleisch von 2016, auch ein Mischling, genetisch ausgestattet ist: Diese Melone würde ich gerne samenfest machen. Um meine Chancen auf einen Erfolg abschätzen zu können, ist es nicht verkehrt zu sehen, in welche Formen sich ihre Nachkommenschaft aufspaltet.

Fruchtstil einer gekreuzten Kanarischen Melone

Nachkomme einer Gelben Kanarischen

Tiefer Einblick am 30. Juni

Weibliche Melonenblüte am 30. Juni

Hier die Namensliste der Melonensorten mit einer kurzen Beschreibung:

  • Kırkağaç-589 (sprich: Kirkahatsch) – langoval, mit feinen Rillen in der Schale, gelb mit grünen Flecken; Saatgut aus der Türkei
  • Kırkağaç-637 – abgerundet, mit feinen Rillen, gelb mit grünen Flecken; Türkei
  • Hasanbey – abgerundet, mit etwas tieferen Rillen, dunkelgrün; Türkei
  • Ananas – oval, fein genetzt, beige; Türkei
  • Galia – rund, grob genetzt, hellgelb; Samen aus Speisemelone von 7/2016
  • Dino-Melone – rund-oval, glatt, weiß mit grünen Flecken; Samen aus Speisemelone von 11/2017
  • Berliner Netz – rund, genetzt, weißgrün; Samen aus eigener Nachzucht 2017
  • Gelbe Kanarische (eigene Kreuzung) – rund-oval, wenige Längsrillen, ansonsten glatt, gelb, Fruchtfleisch hell-orange; Samen aus Nachzucht von 2016

Nur wer wissen will, wo der Ort Kırkağaç ungefähr liegt

Und hier die dazugehörige Bildergalerie:

Ein paar Details zur „Dino“-Melone

Zur „Dino-Melone“ will ich noch ein paar interessante Informationen anfügen, die ich auch eben erst erfahren habe:

„…Diese weiß gestreifte Melone mit dem offiziellen Namen White Honey Dew Melon, die in England unter dem Namen Schneeball-Melone durchs Leben geht… …ist keine Kreuzung der uns bekannten, sondern eine komplett eigenständige Sorte.“
FreshPlaza, 8. November 2016: Total Produce B.V. präsentiert Dino-Melone

Keine Kreuzung der uns bekannten Melonensorten, sondern eine komplett eigenständige Sorte? Was hatte das zu bedeuten? Ein Produkt der Gen-Tech-Labors?

Welche Melonen sind uns denn bekannt? Cantaloupe, Charentais, Kanarische?

Bei den Melonen ist die Sortenkunde ein schwieriges Kapitel. So konnte ich bei meiner Recherche zum Ursprung der „Dino-Melone“ alle möglichen Hypothesen entdecken: Sie stammt wahlweise aus Korea und Japan oder aus Frankreich und Algerien.

Die Vermehrung der Dino-Eier, 4. August 2018

An Namen trägt sie außer den schon genannten „Sweet Snowball“ und „White Honey Dew“ noch „Ivory Gaya“ und „Blanc d’Antibes“ mit sich herum.

Es ist schon ein Kreuz mit den Melonen und deren Namen! Und mit den erfinderischen Marketing-Abteilungen der Züchter und des Fruchthandels!

Auf jeden Fall habe ich mir nun mit dem „Dino-Ei“ noch eine weitere Melonensorte ins Nest gelegt, wie auch immer sie in „Wirklichkeit“ heißen mag.

Das Wachstum meiner Melonen

Am 18. Mai ist das Wetter heiß genug, um die Melonen dem Folientunnel anzuvertrauen. 21 Pflanzen setze ich ein; die Schnecken nehmen in diesem Jahr nur ein Pflanze zu sich, so dass Ihr bei der Betrachtung der folgenden Bildergalerie das Leben von 20 Pflanzen mitverfolgen könnt.

Am 6. Mai kann man hineinschauen

Ihr könnt dabei natürlich nicht sehen, wie ich einmal eine komplette Schwimmbad-Füllung in den Tunnel pumpen ließ und auch nicht, wie ich jede Pflanze einmal mit einer Gießkanne voll 10%iger Jauche-Lösung düngte; aber sonst könnt Ihr sehen, wie die Melonen dieses Mal abgingen wie die Raketen – kein langes Rumbibbern im unterkühlten Mai, wuchern und wuchern und wuchern, Wahnsinn, ich kam bald kaum mehr durch und hinterher, jeder Melone ein Unterlegscheibchen zu verpassen.

Hasanbey-Pflanze am 3. Juni

Es wird unübersichtlich ab 15. Juni

Zuerst verwendete ich dazu Stücke von Fußboden-Panele, die ich einem Berliner Bauschutt-Container entnommen hatte, dann Restfliesen aus dem Keller und erst zu allerletzt Dachziegelscherben von der Dauer-Luxus-Aus-Baustelle meines Nachbarhauses.

Nachkomme der Gelben Kanarischen von 2016

Melonen sollen ja, wenn sie sich zu voller Größe entwickeln, im hiesigen Klima nicht den Boden berühren – zu kalt, zu feucht, zu fäulniserregend – weshalb die Fachwelt zu einer Unterlage rät.

Kirkahatsch- und Ananas-Melone in friedlicher Koexistenz

Die Panelestücke sowie die Fliesen hatte ich dafür als perfekt angesehen; doch ich hatte nicht mit dem Bodenleben gerechnet. Auf jeden Fall wurden diese dünnen Grenzflächen in kürzester Zeit mit dem darunter befindlichen Erdreich zu einer einheitlichen Fläche verschmolzen, was natürlich den Melonen den gewünschten Abstand zu eben jenem nahm.

Verlust durch Fäulnis

Diese Unterlagen hätte ich mir also sparen können. Werde ich in Zukunft auch, habe ich doch jetzt einen ansehnlichen Vorrat an Dachziegel(scherbe)n. Der wird’s in diesem Jahr hoffentlich bringen, wenn es darum geht, meiner Melonenzüchtung zum Erfolg zu verhelfen.

Trotz beachtlicher Fäulnisverluste kann ich über die Melonenernte insgesamt nicht klagen; aber über etwas anderes.

Über Melonengeschmack

Über Geschmack lässt sich nicht streiten, wie es so schön heißt; aber heute will ich mal einen ordentlichen Streit darüber vom Zaun brechen.

In diesem Jahr ist mir nämlich klar geworden, wie die großen Saatzucht-Konzerne unseren (Melonen-)Geschmack beeinflussen.

Dino-, Gelbe Kanarische und Berliner Netzmelone

Wer weiß denn überhaupt noch, wie Melonen „wirklich“ schmecken?
Anders gefragt, wie süß können Melonen „natürlicherweise“ werden?

Ananas-Melone, aufgeschnitten und angenehm süß

Ich hatte mich ja schon 2017 bei der Berliner Netzmelone gewundert, dass sie nicht besonders süß war; darin wurde ich auch in diesem Super-Melonen-Jahr bestätigt.

Was glaubt Ihr, wie süß die türkischen Melonen waren?

Kirkahatsch-589

Ja, das war jetzt eine rhetorische Frage.
Genau, auch sie waren nicht annähernd so süß wie die gewohnten Supermarkt-Melonen (obwohl die Ananas-Melone ihrem Namen schon Ehre gemacht hat).

Aber jetzt kommt’s: Zwei oder drei Sorten meiner Hybrid-Nachzuchten waren dermaßen süß, dass man sie schon als ekelig, als ungenießbar bezeichnen musste.

Unheimlich süß: Nachkomme des Gelben Kanarischen Mischlings

Ein weiterer Nachkomme der „Gelben Kanarischen“, auch ungenießbar süß

Und damit wären wir bei den tollen Leistungen der Hybrid-Züchter.

Was machen die nun genau?

Im nachfolgenden Kasten lasse ich die Saatgut-Tochter Nunhems des Chemie-Konzerns BASF mal kurz, aber recht anschaulich erklären, was F1-Hybrid-Zucht genau ist.

„…Um eine Hybridsorte herzustellen und die erwünschten Eigenschaften zu kombinieren, werden zwei reinrassige Inzuchtlinien als Elterngeneration benötigt: eine weibliche und eine männliche Linie,… die die gewünschten Gene tragen. Dies erreicht man durch Inzucht (Selbstbestäubung) über bis zu 7 Generationen. Beide Linien müssen isoliert hergestellt werden, um die Genreinheit zu gewährleisten.

Sind die Elternlinien mit den gewünschten Genen reinrassig, können sie gekreuzt werden. Wenn der Züchter die richtigen Pflanzenpartner kombiniert hat, profitiert das resultierende Hybrid von der besonderen Vitalität des Heterosiseffektes. Je größer die genetische Distanz der elterlichen Zuchtlinien, desto größer ist in der Regel auch der Heterosis-Effekt. Daher müssen wir eine breite Keimplasmabasis und exotische Linien verwenden, um herausragende Hybride zu entwickeln.“
Nunhems Deutschland, BASF

Sie ziehen sich also zwei Elternlinien heran, eine Linie ist auf das Aussehen (und vielleicht ein paar andere Merkmale) getrimmt und die andere auf Süße, auf ekelhaft süße Süße.
Werden nun diese beiden Linien gekreuzt („verpaart“), entsteht die perfekte Melone mit großartigem Aussehen und – einer anständigen Süße, sehr süß, aber nicht ekelhaft süß; auf jeden Fall viel süßer als Melonen „normalerweise“ werden.

Die „Schneeball“-Melonen scheinen jedoch von Natur aus viel süßer als die meisten anderen Melonensorten zu sein. Möglicherweise dienen sie als Ausgangsmaterial für die „süße Inzuchtlinie“.

Die Galia-Melonen-Nachzucht war „normal“ süß

Der Verbraucher möchte es ja süß, sehr süß.

Scheiße, wir sind abhängig gemacht worden, zucker-süchtig, unser Geschmacksinn ist vom Zucker betäubt, vereinheitlicht, verdorben.

Es ist bei den Melonen wie bei dem anderen „Massenobst“, wie bei Äpfeln, Birnen, Pfirsichen: alles sieht perfekt aus und schmeckt gleich süß. Was nicht süß zu machen ist, verschwindet aus den Regalen. Stattdessen nehmen die süßen exotischen Früchte zu.

Ich kann auf jeden Fall sagen: Melonen können unterschiedlich schmecken, können verschiedene „Beigeschmäcker“ haben, können unterschiedlich duften, können einen ganz anderen Eindruck hinterlassen, wenn sie nicht nur süß schmecken.

Das war eine interessante Erkenntnis im Melonen-Jahr 2018.

Mal sehen, ob sich das irgendwie auf meine diesjährige Melonenzucht auswirkt, auf die Auswahl meiner „Lieblingsmelone“, ob sich mein Zuchtziel ändert. Ich werde die Zucht noch einmal mit den gelben „Kanarischen“ von 2015 beginnen.

Daneben werde ich auf jeden Fall Melonen kurdischen Ursprungs wachsen lassen (meine Freundin Sylke hat im Norden des Iraks an mich gedacht); sie sollen sich ruhig in mein Zucht-Programm einmischen.

Kırkağaç-Melone am 4. August

Die Blätter leben schon nicht mehr am 15. September

Euch empfehle ich auf jeden Fall – sofern Ihr die Möglichkeit dazu habt – in einem türkischen Supermarkt mal nach einer Kirkahatsch(Kırkağaç)-Melone Ausschau zu halten: sie ist leicht erkenntlich an ihrer gelben Schale mit den grünen Flecken; aber seid gewarnt: Sie ist nicht (nur) süß, ihr müsst auch auf andere Geschmacksnuancen achten!

Es nimmt kein Ende; dabei hatte ich doch schon längst genug von den Melonen

Der Rest vom Schützenfest: Restmelonen und Tomatenpflanzengewucher